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Angst ist nur eine Grenze im Kopf

Schokofeh Kamiz’ Filmdokumentation „After Sabeen“ erinnert an die ermordete pakistanische Menschenrechtsaktivistin Sabeen Mahmud

Von Natalie Mayroth

Es wird das letzte Foto sein, das sie auf Instagram postet. Darauf zu sehen ist eine Gesprächsrunde über die pakistanische Provinz Belutschistan. Niemand wollte im April 2015 einer Veranstaltung zu diesem Thema Raum geben. Nachdem auch eine Universität absagte, öffnete Sabeen Mahmud die Türen ihres Projekt­raums „The Second Floor“ (T2F) in Karatschi. Selbst Drohungen konnten sie nicht davon abhalten. „Einer muss es machen“, erinnert sich Mutter Mahenaz an die Worte ihrer rebellischen Tochter. Sie kam am Wochenende eigens zur Vorführung der Dokumentation „After Sabeen“ nach Berlin.

Als Mutter und Tochter nach der Diskussion am Abend des 24. April zusammen im Auto nach Hause fahren, feuern Unbekannte Schüsse auf die beiden Frauen ab. Sabeen stirbt im Alter von 40 Jahren. Ihre Mutter überlebt. Nach der Tat regt sich Betroffenheit. Denn Sabeen war über die Landesgrenzen hinaus für ihre Arbeit bekannt, vor allem in Sachen Frauenrechte und Netzaktivismus. Nachts verdiente sie ihr Geld mit Programmieren, tagsüber arbeitete sie als Direktorin der von ihr gegründeten NGO Peace Niche, die sich bis heute für freie Meinungsäußerung einsetzt. Ihr 2006 eröffneter Projektraum T2F wurde zur Plattform für Andersdenkende. Musik, Performances und Lesungen etwa über die Teilung von Indien und Pakistan finden statt. Besonders für die queere Community der pakistanischen Millionenstadt Karatschi bietet er einen Austauschort.

Die Mauern im Café im zweiten Stock und an der Fassade erinnern noch an sie. „#UnsilencePakistan“ ist darauf zu erkennen. Diese Bilder hat die iranische Regisseurin Schokofeh Kamiz in ihrer ersten Filmdokumentation mitgebracht. Über den gemeinsamen Freund Omar Kasmani erfährt sie von dem Attentat. Kamiz ist von der selbstlosen Persönlichkeit fasziniert. „Das Thema Belutschistan war zu dieser Zeit sehr provokativ“, sagt Kamiz. Sie kennt den Konflikt um Unabhängigkeitsbestrebungen der Belutschen aus ihrer eigenen Heimat, dem Iran. Doch Sabeens letztes Engagement wurde für die Regisseurin bald zur Nebensache. Sie wollte wissen, wer Sabeen Mahmud war. Mit einer Kamera und einem Tonrekorder reiste sie nach Karatschi.

Unverheiratet, unabhängig

Kamiz lässt im Film die Frauen aus Mahmuds engstem Umfeld zu Wort kommen. Aus den Begegnungen wird klar: Sabeen wuchs in einer Freiheit auf, wie sie Frauen in Pakistan selten genießen. Sie ist unabhängig, unverheiratet und lässt sich nicht widersprechen. Vor schwierigen Themen schreckte sie nicht zurück.

„Angst ist nur eine Grenze im Kopf. Du kannst wählen, auf welcher Seite du sein möchtest“, sagte sie einmal in einem Interview. Damit verkörpert Sabeen eine Riege von Frauen, die ihren eigenen Weg gehen, was nicht ungefährlich ist. Denn „die Einstellung der Männer hat sich nicht verändert“, kommentiert auf der Leinwand der Schriftsteller Mohammed Hanif die Situation für Frauen in Pakistan.

Dennoch würde sie ihre Tochter wieder genauso erziehen, sagt Mahenaz Mahmud in der an den Film anschließenden Podiumsdiskussion im Rollbergkino. Die Frau mit grauem Haar ist trotz Trauer voller Tatendrang. Demnächst eröffnet die pensionierte Lehrerin eine Stiftung im Namen ihrer Tochter, die sich für psychische Probleme von Jugendlichen einsetzen soll. Im Büro ihrer Tochter stand die Tür „zum Stören“ offen. So möchte sie ihr Anliegen weiterführen.

Auch wenn vom Wunsch nach Vergeltung nichts zu spüren ist, macht die Geschichte von Sabeen wütend, denn es ist ihre Progressivität, die ihr zum Verhängnis wurde. Die Todesumstände sind bis heute unklar, auch wenn ein Verdächtiger verurteilt wurde. Was von Sabeen bleibt, ist die Erinnerung, die von Frauen wie Kamiz, Mahenaz und Freund*innen am Leben gehalten wird.

Weitere Filmvorführungen sind vorerst in Hamburg und Frank­furt geplant. Im September kommt der Film nach Karatschi.

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