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die nachrichtPeking schließt einen Militäreinsatz nicht mehr aus

Hongkong kommt nicht zur Ruhe. Trotz Demonstrationsverboten gingen auch am Wochenende wieder Zehntausende auf die Straße. Beide Seiten radikalisieren sich

Das Neue

Die Hongkonger Behörden hatten den Protestmarsch verboten. Doch die DemokratieaktivistInnen widersetzten sich und sind am Sonntag erneut zu Zehntausenden auf die Straße gegangen. Sie starteten vom Bankenviertel im Zentrum der Stadt und wollten auch an der Vertretung der chinesischen Führung vorbeiziehen. Tausende Polizisten schirmten das Gebäude weiträumig ab. „Nieder mit dem bösen Gesetz“ und „Hongkong, gib Gas!“, riefen die Protestierenden. An mehreren Stellen der Stadt wurden danach Barrikaden errichtet. Die Polizei reagierte mit Tränengas, Schlagstöcken und Gummigeschossen.

Der Kontext

In der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong kommt es seit nunmehr sieben Wochen fast täglich zu Protestmärschen mit zum Teil Hunderttausenden Teilnehmern. Auslöser war ein von der Hongkonger Regierungschefin Carrie Lam eingebrachtes Gesetz, das es ermöglicht hätte, beschuldigte Personen bereits auf Verdacht an China auszuliefern. Mittlerweile hat Lam das Gesetz „für tot“ erklärt, doch anders als von ihr erwartet flaute der Protest nicht ab. Die DemonstrantInnen misstrauen ihr, zumal sie den Gesetzentwurf nicht formell zurückgezogen hat. Sie fordern ihren Rücktritt.

Immer mehr richtet sich der Protest auch unmittelbar gegen die kommunistische Führung in Peking. Bereits am Samstag gingen mehrere Tausend in dem Hongkonger Außenbezirk Yuen Long auf die Straße. Sie demonstrierten gegen Schlägertrupps, die am vergangenen Wochenende Demonstranten und Pendler brutal attackiert hatten. 45 Menschen wurden teils schwer verletzt. Hinter den Angriffen werden Triaden vermutet, mutmaßliche Mitglieder der Mafia, die enge Beziehungen zur Volksrepublik pflegen. Ordnungskräfte griffen erst eine Stunde nach der Attacke ein.

Beobachter berichten von einer Radikalisierung auf beiden Seiten. Die Protestmärsche waren verboten. Schon am Samstag hatte die Polizei Tränengas und Gummigeschosse eingesetzt, nachdem die Protestierenden Barrikaden errichtet hatten. Viele hatten sich zudem mit Wanderstöcken bewaffnet und Bretter als Schilde benutzt.

Die Reaktionen

Die frühere britische Kronkolonie wird seit der Rückgabe 1997 an China nach dem Grundsatz „Ein Land, zwei Systeme“ als eigenes Territorium autonom regiert. Hongkongs Sonderstatus sieht vor, dass sich die chinesische Führung in Peking daher nicht in Belange einzumischen hat, sofern sie auf Hongkonger Boden stattfinden. Aktionen wie das Zeigen der britischen Kolonialfahne sieht die chinesische Führung allerdings als Provokation an, die Hongkongs Loslösung von der Volksrepublik impliziert. Das ist aus Sicht der chinesischen Führung „Separatismus“. Nachdem es in der vergangenen Woche zu Ausschreitungen auch vor der chinesischen Vertretung in Hongkong kam, haben einige Regierungsmitglieder einen Militäreinsatz nicht mehr ausgeschlossen. Am Montag will Peking sich offiziell zu den Protesten in Hongkong äußern.

Die Konsequenz

Zwar droht Peking offen mit Intervention. Erpicht ist die chinesische Führung darauf aber nicht. Am 1. Oktober begeht sie den 70. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik.Bilder, die der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung vor 30 Jahren auf dem Tiananmenplatz ähneln, will sie vermeiden. Sollte sich der Protest in Hongkong aber weiter radikalisieren, wird dieses Szenario immer wahrscheinlicher. Felix Lee

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