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Nach der Parlamentswahl in GriechenlandKonservative Wende in Athen

Nach viereinhalb Jahren im Amt wird Premier Alexis Tsipras abgewählt. Konservativen-Chef Mitsotakis will das Land im Eiltempo umkrempeln.

Bereits am Montag wird Kyriakos Mitsotakis (mittig) als neuer Ministerpräsident vereidigt Foto: ap

Athen taz | Es kam fast wie erwartet: Mit knapp 40 Prozent der Stimmen fuhr Mitsotakis bei der Parlamentswahl am Sonntag einen Erdrutschsieg ein und darf nun im Alleingang regieren. Immerhin kommt die Linkspartei Syriza auf über 31 Prozent. Das ist deutlich mehr als bei der jüngsten Europawahl und auch mehr als von den Meinungsforschern erwartet. Für Tsipras kein Grund, aufzugeben – im Gegenteil: „Unsere Partei soll zu einer modernen progressiven Bewegung weiterentwickelt werden und ich werde mit aller Kraft dafür eintreten“, erklärte der Linkspolitiker auf einer Pressekonferenz am Sonntagabend.

Tsipras hat die Wahl deutlich verloren, aber sein Minimalziel erreicht: Syriza dauerhaft zur größten politischen Kraft links der Mitte zu etablieren. Die Linkspartei soll „verantwortliche Arbeit“ in der Opposition leisten und zum richtigen Zeitpunkt an die Macht zurückkehren, mahnt der abgewählte Linkspremier. Rücktrittsforderungen an Tsipras sind nach der krachenden Niederlage nicht zu erwarten. Dafür droht ihm rabiate Opposition von links. Denn ausgerechnet sein einstiger Vertrauter Yanis Varoufakis hat es mit seiner Partei Diem25 über die Dreiprozenthürde geschafft und wird als Abgeordneter in die Vouli, das griechische Parlament, einziehen. Am Sonntag erklärte Varoufakis, er wolle „unnachgiebig dafür kämpfen“, dass Griechenland aus dem „Gefängnis der Schulden“ ausbricht.

Angriffsflächen wird Wahlsieger Mitsotakis mehr als genug bieten. Der Spross einer mächtigen Politdynastie, der nach seinem Studium in den USA lange Zeit als Unternehmensberater und Investmentbanker in London arbeitete, lässt keinen Zweifel daran, dass er Griechenland von Grund auf umkrempeln will. Bereits am Montag wird er als neuer Ministerpräsident vereidigt, anschließend will er seine Regierungsmannschaft vorstellen. Als künftiger Finanzminister wird Christos Staikouras gehandelt – auch er ist Zögling einer mächtigen Politikerfamilie.

Noch vor der Sommerpause im Parlament will Mitsotakis seine ersten Reformpakete durchboxen. Dazu gehören ein neues Steuergesetz sowie ein Gesetz zur Modernisierung der öffentlichen Verwaltung. Vorgesehen ist zudem ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren für Investoren. „Weniger Staat, weniger Steuern und mehr Investitionen“ verspricht der neue Hoffnungsträger. Syriza wirft dem Konservativen-Chef vor, er wolle tausende Beamte entlassen und wichtige Stellen mit eigenen Leuten besetzen. Mitsotakis bestreitet dies. Sein Reformeifer ist nicht zuletzt auf taktische Überlegungen zurückzuführen: Mitsotakis will bei den internationalen Gläubigern punkten, um anschließend die finanzpolitischen Vorgaben für Athen neu zu verhandeln.

Eine kleine Überraschung am Rande: Mit 2,93 Prozent der Stimmen hat die Neonazi-Partei Goldene Morgenröte den Einzug ins Parlament knapp verpasst. Dafür wird der konservative Teleevangelist und Putin-Vesteher Kyriakos Velopoulos neuer Liebling der Rechten. Seine Partei Griechische Lösung zieht mit neun Abgeordneten erstmals ins Parlament ein. Er freue sich, dass die Goldene Morgenröte nicht mehr dabei ist, ließ Velopoulos am Sonntag mitteilen. Rechts – das sind immer die anderen.

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6 Kommentare

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  • Angesichts der nach wie vor exorbitanten Verschuldung Griechenlands möchte man die Steuern senken?! Welch tollkühnes Versprechen. Sollte da jemals wirklich was gesenkt werden, dann bestenfalls kurz vor der nächsten Parlamentswahl in vier Jahren, als Wahlkampfgeschenk für die arme Bevölkerung. Bis dahin heißt es weiterhin Zähne zusammenbeißen und weiter Schulden abbezahlen.

    • @Grandiot:

      ND gehört zur Parteienfamilie der EVD und wird deshalb in Brüssel nicht so viel Widerstand erfahren, wie Syriza.



      Ich könnte mir vorstellen, dass da im Hinblick auf irgendwelche "positiven Entwicklungen und Perspektiven" so einiges durchgewunken wird.

      • @Stadtkind:

        Sie meinen bestimmt die Parteienfamilie EVP.

        Wenn ich mich nicht irre, waren (und sind) es gerade die konservativen Kräfte, die Griechenland ein Reformpaket nach dem anderen und damit verbunden immer neue Steuererhöhung auferlegt haben.

        Sollten Sie mit "positiven Entwicklungen und Perspektiven" also eine etwas ausgewogenere Wirtschafts- und Sozialpolitik zugunsten der griechischen Mittel- und Unterschicht meinen, so frage ich mich, wie Sie darauf kommen, dass nun ausgerechnet eine konservativ-liberale Partei wie die ND sich über die erdrückenden Forderungen der EU hinwegsetzen wird.

        Die Griechen mögen es vielleicht noch nicht ganz verstanden haben, aber mit der Wahl der ND zur neuen Regierungspartei haben sie nichts anderes getan, als ihrem "Peiniger", der EU-Troika, einen Freifahrtschein auszustellen, die griechische Gesellschaft weiter zu schröpfen.

        Demokratie ist schon ein lustiges Geschäft :)

  • Die griechischen Parteien bewertet man besser nach Nepotismus/Klientelpolitik.



    Und da hat Syriza zu den Vorgaengern (ND/Pasok) noch eine Schippe draufgelegt.



    Das ist auch der Hauptgrund fuer die Abwahl.

  • Syriza hat sich erst Richtung Mitte entwickelt; die kamen von ganz links. So wie NeoD sich nun in der Mitte die Mehrheit geholt hat und ... wir nun mal schauen wohin deren Reise geht.

    Die Parteien an den Rändern sind notwendig um die Mitte insgesamt zu bewegen bzw. die Gesellschaft meinungsseitig so zu verändern um die zukünftige Mitte zu definieren für die größeren etablierten Parteien. Randparteien sind somit wichtig für einen gesamtgesellschaftlichen Wandel und tragen indirekt zum sozialen Frieden bei. Interessant und aller Ehren wert, dass das Syriza in Griechenland geschafft hat dort anzukommen, gleichwohl das bedeutet, dass sich neue Parteien an den Rändern etablieren werden.



    Grün hat das bei uns auch geschafft, gleichwohl 30 Jahre länger dafür gebraucht. Das schafft nun ggf. wieder Platz für Randparteien, die sich noch mehr dem Umweltgedanken verpflichtet sehen oder auch sozialen Themen. Schaumermal.

  • Konservative Wende? Mitnichten. Erstens fiel der Abstand der Wählerstimmen der ND mit 39,85% zu Syriza mit 31,53% deutlich geringer aus, als zuvor vermutet worden war. Zweitens kommen die Parlament vertretenen Parteien mit links-sozialdemokratischem Anstrich auf zusammen 48,37%, während die ND und die rechtsnationalistische Elliniki Lysi nur 43,35% der Stimmen erhielten. Nur durch das seltsame Wahlsystem, dass der siegreichen Partei zusätzlich 50 Sitze beschert, erreicht Mitsotakis die absolute Mehrheit im Parlament.



    Richtig lustig wird es, wenn der ND-Chef Steuern für die Mittelschicht und die Unternehmen senken will - wovon das bezahlt werden soll - Fragezeichen. Börsenspekulanten freuen sich, die an den Rand gedrängten werden es bezahlen dürfen. Privatisierung lautet Mitsotakis Zauberwort - dabei hat Griechenland sein Tafelsilber bereits verkauft - schon unter der Zipras-Regierung.



    Respekt gilt den Griechen dafür, dass sie die Nazipartei Chrysi Avghi nicht mehr ins Parlament gewählt haben - wenn es auch knapp war. Bei uns würde mit griechischen Verhältnissen Höcke - alias Bernd das braune Brot - längst die Regierung stellen.