Salzburger Festspiele: Katharsis im Plastikmüll
Von Schiffbrüchigen und Menschenopfern: Peter Sellars inszeniert Mozarts frühe Oper „Idomeneo“ in Salzburg als Utopie der Versöhnung.
Vor zwei Jahren war bei den Salzburger Festspielen die radikal dekonstruierte Mozart-Seria-Oper „La Clemenza di Tito“ eine starke Setzung zum Auftakt der Intendanz von Markus Hinterhäuser. Denn Regisseur Peter Sellars und Dirigier-Derwisch Teodor Currentzis verschnitten Mozarts Spätwerk mit seiner c-Moll-Messe und deuteten die Handlung auf der Folie der Flüchtlingskrise.
In seinem dritten Festspieljahr setzt Hinterhäuser nun erneut auf das Dreamteam, das ihm 2017 einen so markanten Start bescherte, diesmal mit „Idomeneo“, den Mozart bereits mit 24 Jahren komponierte. In der Kunst gehen Fortsetzungen, die mit der Vorhersehbarkeit eines Erfolgs spekulieren, ja häufig schief. In Salzburg kriegt das Team die Kurve zwar, aber nur knapp. Denn die schon bei „Tito“ ausgemachte Nähe zur rituell überhöhten Folklore ist noch stärker ausgeprägt.
Bereits in seiner Rede zur Eröffnung der Festspiele – flankiert von Grußworten der österreichischen Interimskanzlerin Brigitte Bierlein und des Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen – fokussierte Regisseur Peter Sellars das Festspielmotto, das sich den Mythen der Antike verschrieben hat, auf die globalen Krisen der Gegenwart: Klimawandel, Müll und Migration. Tatsächlich ist ja Mozarts „Idomeneo“ eine Oper über das Meer, das in der Partitur schäumt und brodelt und als Schicksalsgewalt allgegenwärtig ist in den hoch dramatischen Chören.
Erneut haben Sellars und Currentzis kühn in Mozarts Partitur eingegriffen, die Secco-Rezitative einfach gestrichen – was ein Gewinn ist, weil es Tempo bringt –, einen Chor mit Soli aus „Thamos, König in Ägypten“ und eine Konzertarie mit obligatem Klavier ergänzt.
Verhör bei der Einwanderungsbehörde
Bühnenbildner George Tsypin hat auf der 40 Meter breiten Riesenbühne der Felsenreitschule transparente Objekte verstreut, die sowohl an bizarr vergrößerten Plastikmüll als auch an urtümliches, molluskenartiges Meeresgetier erinnern. Beim ersten Chorauftritt verweisen Absperrungen an das Flüchtlingsszenario des „Tito“, denn auch die trojanische Prinzessin Ilia, der die erste Szene gehört, ist als Flüchtling auf Kreta gelandet. So wird ihr ausuferndes Accompagnato-Rezitativ zum Verhör bei der kretischen Einwanderungsbehörde.
Das fatale Liebes- und Eifersuchtsgeflecht der Handlung zwischen Prinzessin Ilia, dem tot geglaubten Idomeneo, seinem Sohn Idamante, der sich spontan in Ilia verliebt, aber bereits der dem Atridendrama entkommenen Elettra versprochen ist, verdichtet Sellars als Kammerspiel stilisierter Gesten und Haltungen, das die Personen auf der Bühne eng aneinanderkettet.
Der schiffbrüchige Kreter-König Idomeneo (Russell Thomas mit brüchigem, kraftlosem Tenor) tritt in heutiger Befehlshaber-Uniform auf und ist zunächst durchaus bereit, das für seine Rettung dem Meeresgott Neptun versprochene Menschenopfer ausgerechnet an seinem Sohn Idamante zu vollziehen. Ist dieser doch – Paula Murrihy singt die Hosenrolle mit zunächst flirrendem Mezzo, nach der Pause dann mit wachsender Glut – in seinen Augen ein Schwächling.
Ergreifendes Quartett
Der Trojaner-Prinzessin Ilia, die Ying Fang mit lyrisch strömendem Sopran, aber wenig akzentuiert singt, verordnet Peter Sellars überwiegend statuarische Passivität, ihre letzte lange Arie, „Zeffiretti lusinghieri“, etwa singt sie bewegungslos am Bühnenrand sitzend. Wesentlich mehr passiert dagegen zwischen Idamante und der mit ihm in Hassliebe verbundenen Elettra, die Nicole Chevalier mit koloraturblitzendem Sopran, scharfer Rhetorik und stilistisch makelloser Diktion singt und auch mit ihrem darstellerischen Furor alles überstrahlt.
Die dichtesten und mit feinem Gespür für die subtilsten Mozart-Schwingungen inszenierten Momente ereignen sich in den Szenen des Liebesringens zwischen Idamante und Elettra. Auch das finale Quartett, das zu den ergreifendsten Schöpfungen der Operngeschichte zählt, glückt Sellars als dichte und psychologisch wahrhaftige Erzählung.
Aber es gibt immer wieder auch gewaltige Hängepartien, und vor allem die Chorregie, die sich schon bei „Tito“ eurythmischen Ertüchtigungen gefährlich näherte, erstarrt nun vollends zur Sportgymnastik. Für deren Perfektion hat Sellars sich Verstärkung in Gestalt des aus Samoa gebürtigen Choreografen Lemi Ponifasio geholt, der vor einigen Jahren mal schwer angesagt war. Ponifasio beruft sich auf traditionelle Riten und kommt damit im finalen Ballett erst richtig zum Zuge, indem er ein Duo auftreten lässt (Brittne Mahealani Fuimaono und Arikitau Tentau), das mit einem Heilungsritual für das erwünschte Eine-Welt-Gefühl sorgen soll.
Selbst die an ihren eisigen Koloratur-Zacken erstickte Elettra wird von der lächelnden Tänzerin aufgesammelt, alle reichen sich die Hände und stehen am Ende in einer langen Reihe aufgereiht.
Selbst beim Schlussapplaus bleiben alle beisammen, es gibt keine Soli. Das ist dann doch ein bisschen viel Versöhnungsmilde, obwohl der Abend trotz seiner Kitschmomente im Ganzen durchaus einen höheren Ernst atmet. Zumal der junge Mozart mit seinem Mut zur Utopie den Versöhnungsgedanken ja teilt.
Teodor Currentzis beglaubigt den Mozart’schen Furor am Pult des Freiburger Barockorchesters über weite Strecken nur mit gebremstem Schaum. Mag auch sein, dass die Felsenreitschule für die Dynamik der alten Instrumente einfach zu groß ist. So ist vieles genau gearbeitet, fein austariert, klug zugespitzt und dramaturgisch durchdacht. Aber die archaische Wucht der Chöre will sich nicht recht entladen. Das Fazit bliebt zwiespältig.
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