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Zunahme psychischer DiagnosenOuting ist immer noch heikel

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Früher wurden seelische Beschwerden oft hinter anderen Diagnosen versteckt. Doch in der freien Wirtschaft ist ein Outing nach wie vor problematisch.

Psychische Krisen: Der Arbeitgeber muss nicht alles wissen Foto: dpa

D ie Zahl der Fehltage wegen psychischer Diagnosen hat sich in den vergangenen 20 Jahren in Deutschland verdreifacht – und das ist auch Zeichen einer Liberalisierung. Denn früher wurden seelische Beschwerden oft hinter den Diagnosen von Rückenbeschwerden oder Magengeschwüren versteckt, heute hingegen geht eine psychische Krise oftmals als „Depression“ durch. Das ist gut, denn eine gewisse Entstigmatisierung seelischen Leidens ist nötig. Erst recht in einem Land, in dessen Vergangenheit Durchhalteparolen das Menschenbild prägten und psychisch Kranke sogar gezielt ermordet wurden.

Aber man soll sich nicht täuschen lassen: Es ist nach wie vor sehr heikel, sich einem Arbeitgeber mit einem seelischen Leiden zu offenbaren. Wer einen sicheren Job hat im öffentlichen Dienst, am Ende seines Berufsweges steht und – etwa im Schulbereich – auch von anderen KollegInnen weiß, die wegen einer Depression ausfielen, für den oder die ist es vielleicht weniger folgenreich, sich als seelisch angeknackst zu outen.

In jüngerem Alter und in der freien Wirtschaft hingegen ist ein Outing durchaus immer noch problematisch, denn wenn der Arbeitgeber einen Untergebenen erst mal als „wenig belastbar“ verortet hat, kann es mit den Karrierehoffnungen eher mal vorbei sein.

Insofern ist es richtig, wenn Menschen in psychischen Krisen zwar die Pflicht haben, über das Ausmaß ihrer aktuellen Arbeitsunfähigkeit zu informieren, aber auch das Recht besitzen, nur das preiszugeben, was sie wollen.

Der Begriff „Burnout“ als mündliche Begründung für einen Arbeitsausfall kann da hilfreich sein. Denn „Burnout“ klingt nach Krise, aber offenbart nichts Genaueres: ob man die Arbeit aus schierer Überlastung nicht mehr schafft, ob man im Großraumbüro Angstattacken bekommt oder den Verlust des Liebsten nicht verkraftet hat. Geht ja schließlich auch niemanden etwas an.

Gerade seelisch Vulnerable haben ein Recht auf ein schützendes Narrativ, über das am Ende nur sie selbst entscheiden.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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6 Kommentare

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  • Sorry - sommerlochbemüht hingehudelt - weil irgendwas in die Richtung passendes “vorgeschwommen“ kam. 🕳 🕳 🕳

    unterm——paschd scho —



    Kann den verlogenen Heisenberg einschl. seiner verwaltungsadligen Apologeten nicht ab.



    Aber stimmt schonn - In seiner Unschärfe relationiert sich das denn doch ganz prima - wa!

  • 9G
    97088 (Profil gelöscht)

    Ich kann mit diesem Kommentar - der was kommentiert? - recht wenig anfangen. Es stimmt: Im öffentlichen Dienst können Beschäftige mit psychischen Problemen ein begrenztes Outing betreiben und sich auch mit dieser Diagnose krank melden. In der sogenannten „freien Wirtschaft“ ist das tatsächlich mit Risiken behaftet und führt zu Karrieredellen. Das hat ganz sicher etwas mit Leistungsdruck z. B. durch hohe Verantwortung zu tun und sicher auch mit der Mentalität, dass ein verbeamteter Arbeitsplatz deutlich risikoärmer ist. Dafür sprechen die Fehlzeitenstatistiken der Versicherer, denn die Ausfälle durch Erkrankungen sind im gesamten öffentlichen Beschäftigungssektor höher als im privaten. Vielleicht liegt es aber auch an der grundlegenden Arbeitsmoral. Der öffentliche Dienstherr hat sich häufig als wenig affiner und fachlich geeigneter Vorgesetzter gezeigt. Warum sollte ich da als Mitarbeiter „alles“ geben? Und in der älteren BeamtInnenschaft ist der vorzeitige Dienstaustritt durch „einen an der Klatsche haben“ durchaus eine Option.



    Positiv anzumerken bleibt doch, dass sich Erkenntnis, das Arbeit Menschen psychisch belasten kann, komplett durchgesetzt hat und durch die gesetzlichen Unfallversicherer getragen wird.

    • @97088 (Profil gelöscht):

      Interessant, dass Menschen mit einer psychischen Erkrankung 'einen an der klatsche haben'...

      • 9G
        97088 (Profil gelöscht)
        @Sebas.tian:

        Habe ich übernommen - anscheinend Selbstsicht.

  • Gerne gelesen. Danke.

    "Die Zahl der Fehltage wegen psychischer Diagnosen hat sich in den vergangenen 20 Jahren in Deutschland verdreifacht – und das ist auch Zeichen einer Liberalisierung."

    Liberalisierung in diesem Kontext klingt recht freundlich, entsprechend der "Unschärferelations Theorie Werner Heisenberg "Nichts Genaues was man nicht".

    Aber was auf die Atomphysik gemünzt scheint, muss für die Arbeitswelt so nicht gelten, da gilt bei Lichte des Menschenrechts am Arbeitsplatz betrachtet vieles klarer, entschiedener:

    Dazu gehört Hinweis auf Folgen fehlender Beschwerdekultur in der Arbeitswelt, samt rechtlicher Aufklärung, Entschädigungsmechanismen, zunehmend krankmachendes Unwissen, Ignoranz in rechtlichen Angelegenheiten vor allem auf der Leitungsebene in Balance zu bringen, die Zunahme an Mobbinggeschehen von oben nach unten, wie umgekehrt von unten nach oben zumindest lokalisiert adressiert einzudämmen.

    "Denn früher wurden seelische Beschwerden oft hinter den Diagnosen von Rückenbeschwerden oder Magengeschwüren versteckt, heute hingegen geht eine psychische Krise oftmals als „Depression“ durch. "

    Mit der Folge, dass sich die Medikation der Behandlung von Rücken- , Magenbeschwerden hin zu Medikation von bipolaren Erkrankungen verlagert, die für den Arbeitgeber den Vorteil hat, dass Ärzte im Verlauf der Behandlung, als wären sie gebrieft, zunehmend Frühverrentung empfehlen, statt therapeutischer Behandlung, Aufdeckens von Mobbingggeschehen am Arbeitsplatz, weil die Arbeitswelt immer noch, mangels Transparenz durch Demokratisierung, eine Welt sui generis ist, zu der die Zivilgesellschaft der Zugang verschlossen bleibt.

  • 9G
    98983 (Profil gelöscht)

    ein soziokulturell sicherndes bge kann hier durchaus helfen.