: Die Grenzen des Eigenen erfahren
Migrationen verbinden Italien und Senegal seit vielen Jahrzehnten. Auf deren Spur begaben sich Künstler bei einem Austausch zwischen Florenz und dem Senegal. Zu sehen in der Ausstellung „Seeds for Future Memories“
Von Katrin Bettina Müller
Es migrieren nicht nur die Menschen, es migrieren auch die Samen. Das interessiert Leone Contini, Philosoph, Kulturanthropologe und Künstler aus Florenz, schon lange. Er kennt am italienischen Fluss Piave einen Garten, in dem Früchte aus senegalesischen Samen reifen. Er sammelt Samen seit zehn Jahren und ist interessiert an der Geschichte ihrer Migration.
Im Galerieraum des „Acud macht neu“ ist jetzt von ihm ein Tisch aufgebaut, mit Samen, Kürbisfrüchten, getrockneten Früchten, Nüssen, Rindenstücken und Hölzern, versehen mit kleinen Zetteln, auf denen ihre Wanderung verzeichnet ist, ihre unterschiedliche Nutzung, der Wechsel ihrer Namen. Da gibt es die Tubaco oder White-Man-Tomato, eine langgezogene Frucht, die in Asien grün und unreif gegessen wird. Rot und reif ist zwar ihr Fruchtfleisch giftig, aber die konservierten Kerne sind nahrhaft und lecker, so werden sie im Senegal genutzt.
Ein Video zeigt einen Garten in Senegal. Contini tauscht sich mit dem Gärtner aus über Kürbisse, Gurken, Melonen, sie vergleichen die Kultivierungsformen, die sie kennen. Das Video entstand bei einem Austauschprojekt zwischen der Stipendiaten-Villa Romana in Florenz und der Künstlerresidenz Thread, die im Südosten Senegals liegt. Genauer gesagt, im Dorf Sinthian in der Region um Tambacounda, die seit Jahren die höchste Migrationsrate in Westafrika hat. Italien hat eine große afrikanische Diaspora, aber zwischen den Kulturen gibt es wenig Austausch, keine gemeinsamen Erzählungen.
Das war der Ausgangspunkt für den Austausch, an dem sich 13 Künstlerinnen und Künstler aus Benin, Deutschland, Finnland, Frankreich, Italien, Kamerun, Mexiko und dem Senegal beteiligten. Die Ergebnisse sind nun im Acud macht neu, im Freiraum in der Box und der ifa-Galerie ausgestellt.
Mario Pfeifer hat in Sinthian den Rapper und Aktivisten Negga Dou Tamba kennengelernt, der selbst eine Zeitlang in Europa lebte: Er sah die Enttäuschung über nicht eingelöste Erwartungen und das Leben vieler junger Migranten in Wartestellung. Eine große Verschwendung, denkt er. Auf einem Video von Pfeifer, das in der ifa Galerie zu sehen ist, rappt er „Backways“, einen Song, der jungen Leuten ins Gewissen redet, das Bleiben zu wagen, im Senegal ihre Aufgabe zu sehen: „It’s we africans who are responsible. Every generation’s got a mission, either you accomplish it or you betray it. Let’s dare to stay and create a home.“
Johanna Bramble lebt als Textildesignerin in Dakar, sie hat eine Werkstatt für traditionelle senegalesische Webtechnik und ein Label, das auf Inneneinrichtungen spezialisiert ist. In der ifa-Galerie zeigt sie eine große Installation, ein symbolisches Monument für die Menschenrechte. Sie hat die drei Texte auf Papier geschrieben – die Erklärung der Menschenrechte von 1948, eine französische Deklaration von 1789 und eine hier kaum bekannte aus Mali aus dem Jahr 1235. Erkennen kann man das nicht, aber nachlesen in der ausliegenden Erklärung. Denn das beschriebene Papier ist zu Fäden einer gewebten Skulptur geworden, in welche die Fäden der drei Texte eingehen. Viele schwarze Hände halten ihre Enden fest. Ein Wunsch nach Verbindung von Texten, Rechten, Wissen, Geschichten.
Aus Berlin nahmen an dem Austausch Judith Raum und Lerato Shadi, die in Südafrika geboren wurde, teil. Shadi hat aus einer leuchtend roten Wand Buchstaben herausgemeißelt, nur ein Wort springt rot leuchtend hervor – „not“ – und den Betrachter an. Der ganze Satz lautet: „Who is not included in the structure of this institution.“ Das zielt deutlich auf Institutionskritik und die so oft Ausgeschlossenen, deren Gruppen eine Minderheit zu nennen ein Euphemismus ist.
Judith Raum hat mit Fischernetzen, Steinen, Neonlicht, Fotografien, kleinen Hockern und Texten zum Hören eine kleine Bühne eingerichtet, auf der man sich historische Dokumente aus der Kolonialzeit über die Fischereirechte anhören kann. Sie privilegieren Frankreich und führten Methoden ein, die bis heute zur Überfischung führen. Es ist eine traurige Geschichte von historischer Ungerechtigkeit und ihren Folgen bis heute.
Nach Sinthian reiste auch Juan Pablo Macias, der in Mexiko geboren ist und heute in Livorno lebt. In Texten, Videos und in einer Zeitschrift beschäftigt er sich mit der Kommunikation, zwischen Menschen, aber auch zwischen Menschen und Pflanzen, mit Sprachen und mit Musikinstrumenten. Es ist der Versuch, die Grenzen der Semiotik, die wir kennen, zu erfahren und ein wenig darüber hinauszugelangen. Dazu erzählt er eine Geschichte, vom Hören nicht verständlicher Sprachen und wie ihm doch die Beobachtung der Redenden etwas über sie mitteilt. Es ist keine abgeschlossene Arbeit, die er von diesem Austausch mitbringt, sondern Dokumente des Nachdenkens und Fragens, der Erkenntnis über die Grenzen des eigenen Wissens.
Die Ausstellungen: Freiraum in der Box, Do. bis Sa.. 14 bis 18 Uhr, bis 17. August. Ifa-Galerie, Di. bis So., 14 bis 18 Uhr, bis 18. August. Acud macht neu, Do. bis Sa., 14 bis 19 Uhr, bis 3. August
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