Datenschutz und FaceApp: Immer mitten in die Fresse rein
Nebensache Datenschutz: Die App zur Modifikation von Gesichtern, FaceApp, wird in den USA als Sicherheitsrisiko angesehen – weil sie aus Russland ist.
Während wir nun schon seit Jahren mit jedem neuen Login in die weltumspannende digitale Sozialität ein Stück privaten Kernbereichs stillschweigend kommerzieller Verwertung preisgeben, fällt jetzt sogar dem Chef-Demokraten im US-Senat Chuck Schumer auf, dass es eventuell ein Problem mit dem laxen Datenschutz geben könnte. Eine bestimmte App könne wegen ihres Umgangs mit persönlichen Daten gar ein „nationales Sicherheitsrisiko“ sein. Das FBI solle eine Untersuchung in der Sache starten.
Es geht nicht um eine der vielen Anwendungen aus dem Silicon Valley, nein, der Russe steht mal wieder vor der Tür und gefährdet auf ganz heimtückischen Wegen die staatliche Integrität der Vereinigten Staaten. FaceApp heißt das trojanische Pferd der St. Petersburger Firma Wireless Lab. Überaus populär ist das Programm gerade wieder einmal, mit dem Gesichter überaus realitätsnah modifiziert werden können. Viral gehen vor allem die algorithmisch gealterten oder verjüngten Porträts der Nutzer*innen, auch vieler Prominenter. So weit, so unschuldig.
Die Nutzungsbedingungen der App aber haben es in sich. Die Daten der Nutzer*innen, also auch ihre Bilder, werden FaceApp dauerhaft, ohne Vergütung, unwiderruflich und weltweit vermarktbar für jede nur erdenkliche und auch noch nicht erfundene Verwertungsoption zur Verfügung gestellt.
Fast wortgleich lesen sich jedoch die Nutzungsbedingungen anderer Anbieter, Facebook zum Beispiel. Das ist also gar nicht so ungewöhnlich für die digitale Wirtschaft. Bis auf den russischen Hintergrund des Anbieters vielleicht. Das allein scheint Schumer zu genügen, FaceApp einfach in die gegen Präsident Trump gerichtete Erzählung vom bösen Russen zu integrieren. Was man eben so tut, wenn grad keine mitreißende politische Programmatik zur Hand ist und Wahlen vor der Tür stehen.
Lobbyist aus dem Bilderbuch
Denn dass es Chuck Schumer mit der Privatsphäre der Bürger*innen sonst nicht ganz so ernst ist, beweist er immer dann, wenn seine Kolleg*innen in Abgeordnetenhaus und Senat versuchen, gegen Facebook zu ermitteln. Wiederholt nutzte er sein Amt, Untersuchungen zu unterminieren. Schumer ist laut der Nachrichtenseite The Intercept der Senator mit dem höchsten Spendenaufkommen von Facebook-Mitarbeiter*innen. Seine Tochter arbeitet im Marketing des Unternehmens.
Wenn es um Facebook geht, kann Schumer sogar über die vermutete russische Einflussnahme auf US-Wahlen hinwegsehen, wie eine Recherche der New York Times eindrucksvoll nachgewiesen hat. FaceApp scheint im Vergleich einfach nicht genug Kapital für politischen Einfluss in Washington aufzuwenden.
Der Anbieter Wireless Lab beeilte sich immerhin, zu betonen, dass die Daten der amerikanischen Nutzer*innen nicht auf russischen Servern gespeichert würden. In den Nutzungsbedingungen wird sich jedoch vorbehalten, genau das zu tun, Daten beliebig durch die Welt zu schicken und zu speichern, wie jedes andere Internetunternehmen auch.
Keine Datensouveränität
Schumer werden diese Details letztlich gleichgültig sein, seinen billigen pseudopolitischen Punkt hat er trotzdem gemacht. Genau in dieser Gleichgültigkeit aber liegt das Problem: Es gibt noch immer keinen praktikablen Umgang damit, dass Nutzer*innen weltweit keine Souveränität über ihre Daten haben. Die meisten nehmen nicht einmal zur Kenntnis, welchen materiellen Wert ihre Privatsphäre haben kann und wer daran auf welchen Wegen verdient.
Die goldene Regel des digitalen Zeitalters ist ja: Lass es sein! Jede neue App, jedes Quiz, jeder lustige Fotofilter – nein, nein, nein. Aber wer hat schon Zeit, sich mit goldenen Regeln aufzuhalten oder gar die „Terms of service“ und Datenschutzrichtlinien zu lesen? Genau, niemand. Würde Facebook (oder jede andere beliebige App) in den Nutzungsbedingungen festlegen, dass das Unternehmen mit Anlegen eines Accounts die exklusiven Rechte auf Vermögen und Seelenheil der User*in erlangt, würden wir erst am jüngsten Tag bemerken, dass es Schlimmeres als Himmel und Hölle gibt. Motivationsreden der humanoiden KI „Mark Zuckerberg“, für FaceApp-Nutzer*innen optional „Wladimir Putin“, in ewiger Videoschleife zum Beispiel.
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