: „Nicht genug zugehört“
Sommerinterview III: Der Spitzenkandidat der CDU, Marcus Weinberg, über Frauen in der Partei, den Kampf gegen den Klimawandel und seine heimlichen Bürgermeister-Träume
Interview Sven-Michael Veit und Marthe Ruddat
taz: Herr Weinberg, Sie sind der erste Nicht-Bürgermeister-Kandidat der Hamburger CDU. Wie gehen Sie mit dieser Degradierung um?
Marcus Weinberg: Ich fühle mich als Spitzenkandidat gut. Und jeder Spitzenkandidat der CDU ist auch immer Bürgermeisterkandidat.
Aber die CDU traut sich nicht, das so zu nennen.
Ich glaube, die Hamburger mögen den politischen Realismus. Und mit Blick auf die letzten Wahlergebnisse liegt die Betonung bei „Spitzenkandidat“. Nach der Wahl freue ich mich aber auch, wenn Sie mich als Bürgermeister begrüßen.
Und wenn Sie scheitern, schlachten die Hardliner in der Partei Sie erneut wie 2015 schon mal?
Ich wurde nicht geschlachtet, sondern habe selbstbestimmt meinen Rücktritt als Landesvorsitzender erklärt, frei und aus eigenen Stücken. Für mich ist es ein normaler Vorgang, dass man nach einem Wahlergebnis, das man in einer besonderen Funktion auch mit zu verantworten hat, auch die Verantwortung übernimmt und Haltung zeigt.
Seit Jahren gibt es Debatten über den Frauenanteil in der Partei. Bleibt die Hamburger CDU ein Männerverein?
Nein. Richtig ist, dass wir zu wenige Frauen in Führungspositionen haben. Es ist gut und richtig, endlich die Beteiligung von Frauen durchzusetzen. Und es ist in unserer Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit.
Muss Mann Frau beteiligen?
Frauen müssen beteiligt sein, nicht Mann muss sie beteiligen. Diese Formulierung wäre ja wieder eine Hierarchisierung. Es ist eine Selbstverständlichkeit für mich, dass wir gleiche Chancen haben zwischen Männern und Frauen. Aber in Hamburg haben wir dieses nicht erreicht und damit bin ich unzufrieden. Deshalb werde ich mir diese Sache zu eigen machen.
Und wie? Bei der kommenden Wahl sind in 17 Wahlkreisen nur drei Frauen auf dem ersten Listenplatz.
Da werden wir nachsteuern. Auf der Landesliste wird der Frauenanteil sehr hoch sein. Wenn es nach mir geht, werden die ersten zehn Plätze jeweils zur Hälfte mit Männern und Frauen besetzt.
Der Kreisvorstand der Frauen Union Hamburg-Nord fordert die Einführung von Doppelspitzen ab der Landesebene, um mehr Frauen in diese Positionen zu bekommen. Kann dieser Vorschlag vielleicht Wunsch und Wirklichkeit zusammenbringen?
Ich finde das erst einmal gut, wenn über solche Vorschläge diskutiert wird. Aber das ist jetzt momentan bis zur Bürgerschaftswahl nicht das Thema für mich. Wir werden danach darüber debattieren und darauf bin ich gespannt.
Marcus Weinberg, 52, seit März Spitzenkandidat für die Bürgerschaftswahl am 23. Februar 2020. Der Lehrer ist seit 2005 Bundestagsabgeordneter. Von 2011 bis 2015 saß er der Hamburger CDU vor.
Die CDU hat neulich das Klima-Thema entdeckt. Wollen Sie Ihren jahrzehntelangen Kampf gegen die Schöpfung aufgeben?
Richtig ist, dass die CDU das Thema Klima und Umwelt, also anders formuliert, die Schöpfung zu bewahren, schon seit vielen Jahrzehnten und früher als andere auf der Agenda hatte. Auch in der jetzigen Diskussion nimmt Deutschland unter der CDU eine führende Rolle ein. Angela Merkel hat als Umweltministerin das Kyoto-Protokoll und als Bundeskanzlerin das Pariser-Abkommen führend angetrieben und unterzeichnet.
Trotzdem gilt die CDU seit Jahren als die Partei der Auto-, Kohle- und Atomindustrie.
Wie unsere Position dargestellt wird, können wir ja nur begrenzt beeinflussen. Richtig ist aber, dass wir uns nicht so radikal mit einem Thema beschäftigen wie andere Parteien. Radikalität hilft nie. Richtig ist aber auch, dass das Thema Klima jetzt eine ganz neue Diskussionsebene erreicht hat. Da haben wir als CDU vieles verschlafen.
Hamburgs Landesvorsitzender Roland Heintze forderte Ende Juni, die CDU müsse beim Klima „auch mal eine steile These wagen“ – wir hören.
Gerne. Ich möchte beim Thema Bekämpfung des Klimawandels einen Schwerpunkt setzen. Ich bin Mitverfasser eines Papieres von 16 CDU/CSU-Abgeordneten, welches eine CO2-Bepreisung fordert. Wir müssen es schaffen, bis 2050 die Emissionen von CO2 auf Null zu reduzieren. Dabei muss natürlich das Thema sozialer Ausgleich eine Rolle spielen. Es dürfen nicht die belastet werden, die zusätzliche Kosten nicht tragen können. Und es muss gewährleistet sein, dass viele betroffene Branchen der mittelständischen Wirtschaft geschützt werden.
Die Kieler Klimaforscherin Friederike Otto forderte vor wenigen Tagen im taz-Interview, jede Stadt müsse bei jeder Entscheidung den verbindlichen Klimacheck machen – alles müsse der CO2-Neutralität dienen. Sinnvoll? Machbar?
Ich glaube, dass eine Stadtgesellschaft den CO2-Ausstoß nachhaltig reduzieren muss. Das muss klug, nachhaltig und akzeptabel sein. Nicht akzeptabel sind Fahrverbote wie in der Stresemannstraße, in deren Folge die wegen ihrer Umweltbelastung betroffenen Autos einfach einen 1,6 Kilometer langen Umweg fahren können. Damit ist umwelttechnisch und mobilitätstechnisch nichts gewonnen.
Bei den Europa- und Bezirkswahlen am 26. Mai ist die CDU in Hamburg ganz schön abgeschmiert: nur noch 18 Prozent, nur noch dritte Kraft.
Wir haben massiv verloren und das hat zu denken gegeben. Wir müssen auch für uns kritisch überlegen: Wo stehen wir gesellschaftspolitisch und wie werden wir wahrgenommen? Gerade mit Blick auf die junge Generation müssen wir feststellen, dass wir nicht rechtzeitig und nicht gut genug zugehört haben, was die jungen Menschen uns zu sagen haben.
Ihr Wahlziel für die Bürgerschaftswahl 2020: 18plusX?
Wir wollen einen Gestaltungsauftrag bekommen. Deswegen müssen wir inhaltlich und strategisch in der Stadt anschlussfähig sein. Was will die Stadt? Was muss uns leiten? Und wir müssen Regierungsfähigkeit zeigen.
In einem grün-schwarzen Senat?
Ich sehe mich eher als die Prinzessin, um die alle werben. Auf eine Koalition lege ich mich nicht fest.
Aber einen Bürgermeister Weinberg wird es nicht geben?
Die These müsste im Februar empirisch belegt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen