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Adorno-Vortrag über RechtsradikalismusDrastische Namen für Propaganda

Soeben ist ein bisher unveröffentlichter Vortrag von Theodor W. Adorno erschienen: „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“.

Gedenktafel für Theodor W. Adorno an seinem früheren Wohnhaus im Frankfurter Kettenhofweg Foto: Wikimedia Commons/Frank Behnsen

Auf Einladung des Verbandes „Sozialistischer Studenten Österreichs“ hielt Adorno am 6. April 1967 einen Vortrag über „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“. Adorno referierte frei, das heißt, er hatte nur sieben handschriftliche Seiten mit Notizen und Stichworten vor sich. Jetzt erscheint der Vortrag erstmals gedruckt.

Den historisch-politischen Hintergrund der Aktualität des Themas Rechtsradikalismus bildeten die wirtschaftliche Rezession von 1966/67, die Große Koalition und der Aufstieg der 1964 gegründeten NPD, die es bis 1968 in sieben Landtage schaffte, aber 1969 bei den Bundestagswahlen an der Fünfprozenthürde scheiterte und sich seither nicht mehr erholt hat beziehungsweise von der AfD abgelöst wurde.

Adorno bot ausdrücklich keine Theorie des Rechtsradikalismus, sondern schloss an seinen Vortrag „Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit“ von 1959 an, in dem er die These vertrat, dass die gesellschaftlichen Voraussetzungen für den Faschismus nach wie vor existierten – wenn auch nicht mehr „unmittelbar politisch“ nach dem Übergang zu Demokratie und Rechtsstaat nach 1949.

Zu den sozialen Voraussetzungen des alten wie des neuen Faschismus zählt Adorno die Existenz einer Gruppe von „Deklassierten“, das heißt Opfern von Kapitalkonzentration, Monopolbildung und Arbeitslosigkeit, die „die Schuld“ an ihrer eingetretenen oder potenziellen Deklassierung „nicht auf die Apparatur, die das bewirkt, sondern auf diejenigen, die dem System […] kritisch gegenübergestanden haben“, schieben. So geriet die Linke, also die Sozialdemokratie, in die Rolle des Sündenbocks in der Weimarer Republik wie in der BRD.

Boden für Nationalismus

Die Delegitimierung der Linken geschah klassen- und schichtenübergreifend, denn Arbeiter stießen sich an der Fortexistenz von Arbeitslosigkeit trotz Vollbeschäftigung, Bauern an der europäischen Agrarpolitik als Bedrohung ihrer Existenz und gut situierte Bürger an der Beschränkung der Kompetenzen des Nationalstaats. Diese wirtschaftlich-politischen Trends bereiteten den Boden für Nationalismus und die „manipulierte Astrologie“ von Untergangsfantasien, die Adorno etwas leichtfertig als „eine Verzerrung der Marxschen Zusammenbruchstheorie“ interpretiert.

In der Propaganda, mit der der Neufaschismus „Massen einspanne“, sieht Adorno ein Schlüsselelement, mit dem rationale Mittel zu irrationalen Zwecken verwendet würden, was – ein für Adornos Spätwerk typischer Befund – einer „zivilisatorischen Gesamttendenz“ entspreche, obwohl offen antidemokratische Politik mit der Gegenwehr der Demokratie und der Justiz rechnen müsse. Adorno riet in seinem Vortrag zu „drastischen Namen“ für die rechtsradikale Propaganda, mit der die „Massen geimpft“ würden mit nationalistischen Parolen wie etwa der, dass Deutsche „in der Welt diskriminiert“ würden.

Trotz solcher Einsichten und Ratschläge enttäuscht Adornos Vortrag. Vielleicht hätten sich der Herausgeber und der Kommentator an Adornos Misstrauen gegen den Nachdruck von mitgeschnittenen Vorträgen halten sollen. Ador­no äußerte den Verdacht, mit dem Nachdruck sollte „der Redende“ auf das mündlich Vorgetragene gleichsam „vereidigt“ werden. Ratlos macht auch ein Widerspruch in Adornos Vortrag. Zum einen hält er Propaganda „für eine Art organisierter Gedankenflucht“, die Appelle an den Agitator für sinnlos. Gleichzeitig bekennt er sich – im Spätwerk sonst eher selten – zur „durchschlagenden Kraft der Vernunft“.

Das Buch

Theodor W. Adorno: „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus. Ein Vortrag (1967)“. Mit einem Nachwort von Volker Weiß. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019, 90 Seiten, 10 Euro

Obendrein entließ Adorno die Zuhörer mit der an sich selbst gestellten Frage nach der Zukunft des Rechtsradikalismus mit dem Hinweis, solches Fragen sei zu „kontemplativ“ und darin stecke „bereits eine Art von Resignation. […] Wie diese Dinge weitergehen und die Verantwortung dafür, wie sie weitergehen, das ist in letzter In­stanz an uns.“ Dass zur „Historisierung der Kritischen Theorie kein Anlass“ bestehe, wie Volker Weiß im Nachwort versichert, wird durch solche Sätze bündig widerlegt.

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11 Kommentare

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  • Online zum Nachhören: Der von der Österreichischen Mediathek 1967 aufgenommene Originalvortrag:



    www.mediathek.at/a...-00000D5C-014E5066



    (www.mediathek.at)

  • Implosion des Kapitalismus geht stets zu Lasten jener, die unter diesem unterfinanziert gelitten, statt jenen, die unter diesem subventioniert prosperieren, solange der Kapitalismus Herrschaftsmodell staatlich alimentiert Weniger und nicht Gesellschaftsmodell der Vielen wird und noch stets Posttraumatische Belastungssyndrome verbreitet, wie Phoenix aus der Asche steigt

    Zum einen hält er Propaganda „für eine Art organisierter Gedankenflucht“, die Appelle an den Agitator für sinnlos. Gleichzeitig bekennt er sich – im Spätwerk sonst eher selten – zur „durchschlagenden Kraft der Vernunft“.

    Das muss für den kein Widerspruch sein, wer säkulare, klerikale u. a. Herrschaftsmodell, -mechanismen über Jahrhunderte ergründet, die von Schuldumkehr in Köpfen Gläubiger leben, wie bei Kindern, die durch Unachtsamkeit, Missbrauch Fürsorgender, Vater, Mutter, Priester ins Abseits auf die schiefe Bahn geraten, vermisst, wiederaufgegriffen, nicht den Eltern, Fürsorgern Vorhaltung machen, weil sie sie unbeaufsichtigt gelassen, emotional missbraucht haben, sondern sich selber schuldbeladen sprachlos bezichtigen, unachtsam, unartig gewesen zu sein, weshalb sie elterlichen Liebesentzug erfahren, dass sie nicht durch eigene Schuld abhanden kamen, erfahren sie nicht, also machen sie sich Sorge durch ihr Abwesenheit Eltern, Fürsorgern Leid angetan zu haben. Wer da in Anwesenheit der Kinder Eltern Missachtung der Fürsorgepflicht vorwirft, wird von Kindern erleben, dass sie Eltern loyal zur Seite springen.

    Vielleicht ist es ähnlich mit Pegida, AfD, NPD, Rechtsradikalen, sie wollen als Lieblinge Herrschender gelten, kritisierter Obrigkeit loyal zur Seite springen. Dafür geliebt sein. Wenn sie von dieser Zurückweisung erleben, was im Eifer demokratischer Streitkultur häufig en passant passiert, geraten sie im Gefühl "ungeliebt, zu sein", womöglich bis zur Selbstverletzung rasend außer Rand und Band im Land?

  • Im Jahre 2000 ist eine kommentierte Neuausgabe des "Hexenhammers" erschienen. Der Autor dieses Machwerkes war heinrich Kramer, ein Mönche aus einer kleinbürgerlichen Familie. Der Kommentar arbeitet ziemlich genau die sozial-politische Situation auf, in der die dieses Buch einschlig. Und ja, es sind die Existenzängste des Kleinbrgertums und der von ihnen Abhängigen, bzw. derer, die kleinbürgerlich denken.



    Mit der lektüre dieses Buchech begreift ma, dass die Hexenverfolgung eine frühe Form des Faschismus war. Eine Angst-gesteuerte Aggression, die von den herrschenden für ihre Zwecke missbraucht wurde.



    Wer dazu noch Gisela Bleibtreu-Ehrenbergs "Homosexualität. Geschichte eines Vorurteils" liest, begreift auch, wiesolche Aggressionen durch atavistischen Rückgriff auf nicht verstandene Traditionen hochkocht.



    Dasalles ändert nichts an den Analysen zum Beispiel Georgii Dimitroffs, der 1935 den damals aktuellen faschismus in den Zusammenhang mit den damaligen Krisen des Kapitalismus brachte. Dimitroff erklärt, warum die Herrschenden des faschismus brauchen und wollen, Adorno und andere erklären, wie faschistische Bewegungen individuell motiviert sind.

  • Zitat: „‘Wie diese Dinge weitergehen und die Verantwortung dafür, wie sie weitergehen, das ist in letzter Instanz an uns.‘

    Womöglich war Adorno nicht ohne Grund misstrauisch gegen den Nachdruck seiner mitgeschnittenen Vorträge. Den meisten Menschen geht es schließlich weniger um Inhalte, als vielmehr um Formen. Die nämlich können auch solche-welche kritisieren, die das Risiko des Selber-Denkes nicht eingehen möchten, sondern sich lieber auf ihr Gedächtnis und das von Autoritäten gesagte verlassen. Etwa in Bezug auf den Aufbau von Texten und das grammatisch Richtige.

    Nein, das Problem mit den Rechten ist kein „Gegenstand des Zeitgeschehens“. Es ist eindeutig ein „Gegenstand des Geschichtsinteresses“. In sofern wäre eine „Historisierung der Kritischen Theorie“ dringend geboten – wenn sie denn nötig wäre. Was sie nie war. Zum Glück wandeln sich die Adorno-Wahrnehmung und seine Interpretation gerade. Nune wissen nicht nur Einzelne: Der Mann hatte ganz einfach recht. Der Faschismus hat Ursachen, die wenig mit der „Magie“ einzelner „Verführer“ zu tun haben und viel mit konkreten gesellschaftlichen Zuständen.

    In sofern war Adornos Skepsis dann vielleicht doch nicht berechtigt. Er kann sich gut „vereidig[en]“ lassen auf seinen mündlichen Vortrag. Von denen, meine ich, denen der Inhalt über die Form geht. Auch weil sie in Adorno einen Philosophen sehen, keinen Lektor.

    Übrigens: Die „Delegitimierung der Linken“ wäre schwieriger gewesen, hätten „die Linken“ mehr auf Inhalte und weniger auf Formen geachtet. Dass ihre Anführer zu oft beim Weintrinken erwischt wurden, obwohl sie kurz zuvor noch Wasser gepredigt hatten, hat ihrer Glaubwürdigkeit geschadet. Die Rechten haben viel besser Wort gehalten: Ein Mann, ein Schlag, kein Hirn. Damit konnten ihre Fans was anfangen.

    Ach ja: Und was Adornos angeblich leichtfertige Interpretation angeht, so scheint auch hier der Makel eher im Auge des Betrachters zu liegen. Ein Zusammenbruch sieht offenbar auch für jeden anders aus.

  • 0G
    05344 (Profil gelöscht)

    Komplexe Materie.



    Diese ganzen Begriffe haben es in sich, wie ich merke, wenn ich nur verstehen könnte..

    Und was hat das nun wieder zu bedeuten?

    www.spektrum.de/ne...gefaehrden/1659300

  • Adornos Analyse ist für die heutige Situation schlicht unpassend- um nicht zu sagen falsch.

    Der einzige Existenzgrund für die AfD ist die Zuwanderung . Alle anderen 'Adorno'-Gründe mögen kumulativ wirken, aber selbst das halte ich für unwahrscheinlich. Zu deutsch: Ohne Zuwanderung keine AfD, erst recht keine Lega oder Orban und Co.







    Auch die Erklärung warum SPD und Linkspartei so dermassen kaputt sind, bietet Adorno nicht. Hier bietet sich mMn das Personal als Erklärung an. Das Parteipersonal kennt die eigene Klientel nicht mehr, oder wenn dann nur vom Hörensagen. Die sind ihrer Klientel fremder als es Gauland und Höcke je sein könnten.

    • @el presidente:

      Oh! Das nenne ich Chuzpe! Sie haben sich nach dem mächtigsten Mann der Welt benannt? Da müssen Sie sich aber noch gewaltig anstrengen, werter El. So ganz kommen Sie an Ihr großes Vorbild nämlich noch nicht ran, auch wenn ich zugeben muss, dass Sie sich große Mühe geben.

      Nein, nicht "die Zuwanderung" ist der "Existenzgrund für die AfD". Schon gar nicht "der einzige". Das sieht nur so aus für Leute, die nie gelernt haben, unter die Oberfläche zu schauen, weil sie sich immer nur im Lack spiegeln wollten.

      Die Zuwanderung war nur ein Anlass, ein Auslöser des Rechts-Schubs, den wir grade erleben. Die Ursachen liegen sehr viel tiefer. Die AfD hätte auch jeden anderen Anlass nutzen können, denn die Lage war, wie sie nun einmal war. Aber wie soll ich das jemandem erklären, der sich nichts erklären lassen will? Und dann auch noch in 2.000 Zeichen?

    • @el presidente:

      Die Lega in italien gab es schon sehr viel früher als die Zuwanderung. s war immer eine Angrenzung gegen den armen italienischen Süden.



      Der Existenzgrund für alle rechten Strömungen in Deutschland seit der NPD ist die Angst der Mittelschichten vor Degradierung. "Die nehmen uns unseren Wohlstand weg" - das wird gegen die ärmsten gewendet und nicht gegen die, die tatsächlich die klassische Mittelschicht zerstören bzw. den Sozialstaat abbauen, sprich den entfesselten Turbokapitalismus

  • Von der AfD abgelöst? Ich denke die hat eher die CDU abgelöst, abermit der NPD haben die nicht mehr gemeinsam alsdie SPD, solche Diffamierungen bringen niemandem etwas.

    • @Lutz Maximilian:

      Mag sein, dass Sie das denken. Aber wer sonst?

  • danke für den hinweis. werde sofort die buchhändlerin meines vertrauens aufsuchen