: Kämpfen hoch fünf
Schwimmen, fechten, springreiten, laufen, schießen: Annika Schleu macht das alles erfolgreich, nur die Wertschätzung für den Fünfkampf fehlt – die Finals könnten das ändern
Von Carlotta Rust
Moderner Fünfkampf? „Das ist doch das mit dem Fahrrad“, oder: „Das ist was in der Leichtathletik.“ Solche Antworten ist Annika Schleu gewohnt, wenn es um ihre Sportart geht. „Ich bin positiv überrascht, wenn jemand mir die Disziplinen nennen kann“, sagt die 29-jährige Berlinerin. Auch bei den Finals in ihrer Heimatstadt werden viele Zuschauer vermutlich erst lernen müssen, was es mit dieser Sportart – die weder Fahrräder beinhaltet noch ein Leichtathletikwettkampf ist – auf sich hat: 200 Meter Freistil-Schwimmen, ein Fechtturnier jeder gegen jeden, Springreiten durch einen Parcours und der Laser-Run, eine Kombination aus 4x800-Meter-Lauf und vier Schießdurchgängen mit der Laserpistole.
Annika Schleu selbst kam mit zehn Jahren über eine Bekannte ihrer Eltern, die selbst Fünfkampf betrieb, zu dieser Sportart. Viele andere Nachwuchstalente fangen eher mit einer der Einzeldisziplinen an und erweitern dann ihre Bandbreite. Ungewöhnliche Fähigkeiten sind gefragt, beim Reiten zum Beispiel die Einstellung auf das vorher unbekannte Pferd.
Denn im Gegensatz zum Reitsport bringt nicht jede*r ein eigenes Pferd mit, sondern diese werden vom Ausrichter des Wettbewerbs gestellt und zugelost. „Es geht darum, zu zeigen, dass man in der Lage ist, sich auf das Pferd einzustellen, das man erst zwanzig Minuten vor seinem Start kennengelernt hat“, sagt Schleu. Es gehe nicht um Perfektion, der Teil des Wettbewerbs sei nicht so planbar wie das Schwimmen, wo man sich nur auf seine eigene Form verlassen müsse.
Eigene Pferde würden den Fünfkampf außerdem noch kostenintensiver machen, als er es ohnehin schon ist. Bei fünf Sportarten kommt peu à peu einiges zusammen: „Mal ist das eine kaputt, dann das andere, mal braucht man einen neuen Fechtanzug, dann neue Laufschuhe.“ Um das zu finanzieren, ist Annika Schleu bei der Bundeswehr als Sportsoldatin angestellt, zudem bekommt sie Förderung von der deutschen Sporthilfe und hat im Mai einen der sogenannten Beraterverträge des Landessportbundes Berlin (LSB) bekommen. Sponsoren aber hat sie keine, wie die anderen Fünfkämpfer*innen auch. Und das, obwohl sie seit Jahren zu den Top Zehn der Welt zählt, Einzel- und Teammedaillen bei Europa- und Weltmeisterschaften gesammelt hat, seit 2016 durchgehend Deutsche Meisterin ist.
Die Person Annika Schleu wurde am 3. April 1990 in Berlin geboren, wo sie bis heute lebt und beim TSV Spandau trainiert. Die 29-Jährige ist Sportsoldatin und studiert an der Humboldt-Universität zu Berlin Sport und Biologie auf Lehramt.
Die Sportlerin In Team- und Staffelwettbewerben wurde Schleu viermal Welt- und dreimal Europameisterin im Modernen Fünfkampf. 2018 errang sie mit einem zweiten Platz ihre erste Einzelmedaille bei einer Weltmeisterschaft. Außerdem wurde sie 2012 und 2016–2018 Deutsche Meisterin und erreichte bei Olympia 2016 den 4. Platz.
Die Finals Am 3. und 4. August 2019 finden in Berlin zum ersten Mal „Die Finals“, eine Parallelaustragung der Deutschen Meisterschaften im Bahnrad, Bogensport, Boxen, Kanu, Modernen Fünfkampf, Schwimmen, Turnen, Triathlon, Trial und in der Leichtathletik, statt. An einem Wochenende kämpfen mehr als 3.300 Sportler*innen binnen 48 Stunden um insgesamt 202 Entscheidungen. Die Wettkämpfe des Modernen Fünfkampfs können kostenfrei besucht werden. Mehr Informationen unter:
Die Serie Die taz berlin stellt bis zum Beginn der Finals jeden Dienstag eine*n Teilnehmer*in der Wettkämpfe vor. Nächste Woche geht es um den Schwimmer Melvin Imoudu.
Die wenige öffentliche Wertschätzung falle ihr innerhalb ihrer Fünfkampfblase gar nicht so sehr auf. Wenn sie jedoch bei Veranstaltungen auf andere Sportler trifft, „merkt man erst mal, wie die gleichen Leistungen in einer anderen Sportart wertgeschätzt werden“. Als sie ehrfürchtig zwischen den anderen Athleten herumgegangen sei, habe ihre Schwester ihr ins Gewissen geredet: „Annika, du wurdest aus den gleichen sportlichen Gründen eingeladen wie die anderen auch.“ Das hat sie seitdem etwas mehr verinnerlicht, denn sie stellt klar: „Ich leiste mindestens genauso viel und habe eine Sportart, die vielleicht sogar aufwendiger ist.“
Zumal viele ihrer Erfolge noch mehr unter den Tisch fallen, weil sie sie im Team oder in der Staffelwertung erreicht hat. Olympisch ist beim Fünfkampf allerdings nur das Einzel, dadurch zählen die Staffeln nicht für die Sportförderung. So hat sie bisher nur einen vierten Platz bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro vorzuweisen – im Wettkampf war sie Fünfte geworden, durch die Disqualifikation der Chinesin Chen Qian rückte sie im Nachhinein einen Rang vor. In Rio wurde sie vom DOSB als „Hero de Janeiro“ geehrt, aber auch hier merkte sie die Unterschiede in der Wahrnehmung: „Andere Sportler wurden für einen sechsten Platz ins Deutsche Haus eingeladen.“ Gefreut hat sie sich über die Ehrung trotzdem.
Es gibt Sportler*innen, die anders damit umgehen, bei denen Verbitterung, Wut oder Unzufriedenheit über die ungerechte Verteilung im Sport den Blick auf die eigenen Leistungen trübt. Annika Schleu gehört nicht zu dieser Sorte. Sie neide keinem der anderen Athleten etwas, aber sie kämpft um Wertschätzung.
Immerhin trainiert sie drei, vier, manchmal sogar fünf Disziplinen täglich. Sechsmal die Woche steht das Laufen, ihre selbsternannte „Schokodisziplin“ auf dem Plan, fünfmal Schwimmen, dreimal wird gefochten, dazu noch dreimal die Woche Schießen und zweimal Reiten. Und ganz nebenbei studiert Annika Schleu noch Sport und Biologie auf Lehramt. Das normale Studentenleben kennt sie kaum. Dafür hofft sie darauf, den Fünfkampf beliebter zu machen.
Als Chance dazu sieht sie auch die Finals in Berlin. Der Fünfkampf sei „in jedem Fall eine Disziplin, die davon profitieren kann“. Zum einen hofft sie auf Laufpublikum, vor allem aus der Leichtathletik für den Laser-Run. Zum anderen übertragen die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender das komplette Event. Natürlich ist der Fünfkampf auch für Zuschauer ein zeitintensiver Wettbewerb inklusive mehrmaliger Ortswechsel. Das lässt Annika Schleu allerdings nicht als Ausrede gelten. Sie erwähnt als Modell die Olympischen Spiele in London 2012, wo man Einzeltickets für die Disziplinen oder ein gesamtes Tagesticket kaufen konnte. Außerdem schlägt sie den Sendern vor, zum Beispiel Fechten und Schwimmen nur als Zusammenfassung zu zeigen, um dann den abschließenden Laser-Run in voller Länge zu übertragen.
Annika Schleu, Frau mit starken Meinungen und Vorstellungen, will sich selbst nicht zu sehr in den Mittelpunkt zu drängen. Nicht zu sehr fordern, Vorschläge äußern schon. Das Fechten, wo es um den direkten Kampf gegen den Gegner geht, ist eben auch nicht ihre Lieblingsdisziplin. Am Ende erfolgreich ist sie trotzdem.
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