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Die WahrheitZweizweiundzwanzig

Überall in Supermärkten gibt es neuerdings ebenso hippe wie schräge Produktpreise. Wachsam bleiben heißt hier das Gebot der Stunde.

„Preise zum Wegducken“: Auch zu Mark-Zeiten stand der Wühltisch hoch im Kurs Foto: ap

Der deutsche Konsument ist bekanntlich äußerst preissensibel. Er oder sie wittert kleinste Unterschiede, spürt feinste Schwingungen und lässt sich bereits von geringfügigen Preiserhöhungen in die Flucht schlagen. Diejenigen Bundesbürger, die es ganz hart trifft, sind inzwischen richtiggehend preisallergisch. Nicht wenige von ihnen reagieren auf alles über 99 Cent mit verstopfter Nase, dickem Hals und Flecken auf der Haut – den sogenannten Preisausschlägen.

Tatsächlich gibt es ausgezeichnete Gründe, dem Treiben in den Supermärkten und Warenhäusern gegenüber wachsam zu bleiben, insbesondere dem Preistreiben. Wiederholt wird Verbrauchern im sanften Licht der Ladenlokale schwindelig. Aber nicht, weil die Luft stickig wäre oder eine gewünschte Ware vergriffen. Sondern weil die Preise seltsam, teilweise kurios, oft geradezu grotesk erscheinen!

Gewiss, sie existieren noch zuhauf, die braven Langeweiler zu 0,79 oder 3,29. Auf sie ist Verlass wie auf treue Freunde, die seit Jahren dieselben Geschichten erzählen. Doch dazwischen prangen an den Stiegen, Regalen und Truhen jetzt immer wieder schillernde Preisblüten, die Empfindlichkeiten hochkitzeln. Vor allem ein Preis sticht hier hervor: 2,22. Ein ums andere Mal, ganz gleich, ob an Eiscreme, Käse oder Fruchtsaft: Ist 2,22 das neue 1,99?

Ästhetisch ist der Preis mit den drei Zweien auf alle Fälle ein Gewinn und erzeugt als humorige Schnapszahl gern mal Schwindelgefühle, gerade bei Freunden des Hochprozentigen. Diese vergehen jedoch, je häufiger man als Konsument der kleinen Schwester jener smarten Summe ansichtig wird: der 1,11. Sie wirkt nicht nur blasser, simpler gestrickt und emotional weniger ansprechend, sondern reizt prompt zum kühlen Preisvergleich in den Regalen und auf den Sonderverkaufsflächen.

11 Cent draufgesattelt?

Das Ergebnis: Bei 1,11 schwingt der Verdacht mit, man habe auf den Euro, den das Produkt kosten müsse, einfach 11 Cent draufgesattelt. Dagegen macht die 2,22 den Eindruck, als habe man zur Feier des Tages von den erforderlichen drei Euro großzügig einen Batzen abgeschlagen. Bei 1,11 möchte man dem Preisgestalter zurufen: Komm! Gib dir einen Ruck! Geh runter auf die 0,99! Bei 2,22 ahnt man: Hier ist jemand bereits bis zum Äußersten gegangen.

Wer sich derart tief in ihr Gefüge eingefühlt hat, sieht die Preiswelt anschließend wie durch einen anderen Filter. Die auf 99 endenden Preise erzeugen dann nur noch Überdruss. Solche normalen Preise sind Preise zum Wegducken. Zum Weglaufen. Zum Wegwerfen! Heute noch in irgendeiner Schütte, morgen in der Wertstofftonne …

Doch verwöhnte Kunden haben durchaus auch mal das Recht auf was Schrilles, zum Beispiel Prim-, Bilanz- oder Unfallzahlen. So was wie 2,17 eben – ein derart bepreistes Produkt packt fast jeder begeistert in den Einkaufswagen. Erinnert diese Summe doch an einen grauen DDR-Preis, der durch ein schräges Hipster-Revival unverhofft wieder schick geworden ist.

Zu würdigen ist freilich auch die Mühe, die man sich auf der anderen Seite gibt. Gewiss werden die neuesten Preise von hochbezahlten Spezialkräften kreiert, international renommierten Preisdesignern, die keine Kosten scheuen, um den passenden Preis für die passende Zeit zu finden. Und für das passende Publikum erst recht: Das ganz große Ding der Zukunft sollen ja handgeschnitzte Craft- und maßgeschneiderte Custom-Preise werden.

Bis es aber so weit ist, werden uns die Preisgestalter sicher noch mit etlichen extravaganten Preiswellen verwöhnen. Vielleicht entdecken sie die zwischenzeitlich von den Ein-Euro-Läden desavouierten glatten Preise wieder – wie auf dem Wochenmarkt kurz vor Schluss: „1 Kilo Erdbeeren – 1 Euro!“ Vielleicht arbeiten diese Preisgestalter bereits an uns heute noch unvorstellbar erscheinenden Mondpreisen, die auch in fernen Galaxien gelten. Und vielleicht erleben wir demnächst sogar preisverdächtige, ja preisgekrönte Preise, und die 2,22 erhält irgendwann verdientermaßen den Nobelpreis für Wirtschaft.

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