Auf Spurensuche in Polen: Am Sehnsuchtsort meiner Oma
Unsere Autorin ist auf den Spuren ihrer Vorfahren rund um Stettin unterwegs. Auf den Geschmack gekommen, ist sie nun bis Posen gefahren.
D ass wir während unseres letzten Sommerurlaubs, unterwegs von Stettin nach Danzig, die Autobahnabfahrt verpassten, war ein Glücksfall. Denn als ich die Namen der vorbeiziehenden Ortsschilder las, fiel mir ein Gespräch mit meiner Oma wieder ein, das wir vor Jahren über ihre Flucht aus Hinterpommern geführt hatten.
Fast bis Kriegsende 1945 hatte meine Familie in einer kleinen Ortschaft, 30 Kilometer südlich von Stettin, gelebt. In meiner Erinnerung hatte meine Oma, damals 20-jährige Lehramtsreferendarin, an jenem Januartag 1945 den Zug nach Schneidemühl (heute Piła) nehmen wollen. Doch kamen ihr schon auf halber Strecke, im Umsteigebahnhof Stargard, Bekannte entgegen, die aufgeregt berichteten, dass die Stadt in Flammen, weil unter Beschuss der gen Westen vorrückenden Roten Armee stand. 73 Jahre später rauschte die Vergangenheit meiner Vorfahren nun an mir vorbei, bis wir die nächste Ausfahrt nahmen.
Bahn (heute Banie), die frühere Heimat meiner Oma, zeigte sich als trostloses Dorf, in dem der Realsozialismus tiefe Spuren hinterlassen hatte. An der einzigen Hauptstraße des Ortes reihten sich marode Wohnhäuser aneinander, auf einigen Fensterbänken dösten BewohnerInnen in Unterhemden. Außer einer Kirche und einem Badesee gab es nicht viel zu sehen. Dies sollte bis ins hohe Alter der Sehnsuchtsort meiner Oma gewesen sein? Ich war enttäuscht und doch fasziniert, wie unmittelbar sich meine Wurzeln von Berlin aus erkunden ließen.
„Western style und Eastern energy“
Vergangenes Wochenende bin ich wieder über die Oder gefahren. Knapp drei Autostunden ostwärts von Berlin, auf halber Strecke nach Warschau, liegt Posen (Poznań), die 560.000-Einwohner-Stadt, über die es heißt, sie vereine „Western style und Eastern energy“. Und tatsächlich wirkt die Stadt an der Warthe, die bis 1919 zum Deutschen Reich gehörte, so modern und dabei unfertig, wie es Berlin vor 20 Jahren einmal war.
In den vielen Jugendstilhäusern mit ihren unverputzten Fassaden reihen sich Friseursalons, Concept-Stores und unzählige Pierogarnias aneinander, an deren langen Tischen AnwohnerInnen gefüllte Teigtaschen essen. In ehemaligen Ladenlokalen zeigen internationale KünstlerInnen ihre Arbeiten und an den Häuserwänden SprayerInnen Street-Art. Rund um den restaurierten Altmarkt mit seinen prächtigen Patrizierhäusern werden Tapas und regionale Slow-Food-Küche serviert. Auf den abgerockten Hinterhöfen dahinter treffen sich Posens Kreative zu Wodka-Shots, Musik vom Plattenteller und Johannisbeeren aus dem Garten.
Sowieso dreht sich in der Universitätsstadt viel um Kunst und Kultur. In den Museen und Schlössern wird polnische Stadtgeschichte verhandelt, in den örtlichen Galerien zeitgenössische Themen wie Zivilisationsmüll, Konsumfreude oder die osteuropäische Flüchtlingspolitik. Im Posener Nationalmuseum sind sie stolz auf die Rückkehr ihres „Strand von Pourville“, des einzigen Bildes Claude Monets in polnischem Kulturbesitz, das ein Kunststudent so sehr verehrte, dass er es aus dem Rahmen löste und durch eine Kopie ersetzte. Erst Jahre später wurde der spektakuläre Raub wiedergefunden – im Kleiderschrank des Diebes.
Stark eingenommen von so viel osteuropäischem Temperament, traten wir unsere Rückreise an und wurden abermals überrascht. Denn dass die Lichtmaschine unseres Autos kaputtgegangen war, realisierten wir erst, als wir den Zündschlüssel umdrehten. Doch kaum da wir das Fahrzeug über den Parkplatz schoben, sprang ein junger Mann auf den Fahrersitz und brachte den Wagen zum Laufen. 150 Kilometer später erhielten wir dann von einer Gruppe polnischer Bauarbeiter Starthilfe. Gerührt von so viel Hilfsbereitschaft, drückte ich den Männern eine Flasche Wodka in die Hand und staunte, da sie sogleich geöffnet wurde, um gemeinsam anzustoßen.
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