: Wo der Kunstknoten platzt
Das Museum Kunst der Westküste auf der Insel Föhr feiert sein zehnjähriges Bestehen. Klassische Moderne mit zeitgenössischen Werken zu mixen und dabei eigensinnig zu sein, ist der Kern seiner Erfolgsgeschichte
Von Frank Keil
Ja, es ist auch ein Museum. Aber auch viel mehr. Das kompakte Haus im Inseldorf Alkersum auf der Insel Föhr, das einen so nüchternen wie exakten Namen trägt: „Museum Kunst der Westküste“. Entstanden auf dem Korpus eines ehemaligen Gasthofes, in dem sich um 1900 herum Künstler getroffen hatten, vor allem Maler. Erweitert um eine ausgebaute Scheune als Ausstellungshalle plus passenden Anbau; erbaut übrigens vom Architekten Gregor Sunder-Plassmann, der in Istanbul für Orhan Pamuk dessen „Das Museum der Unschuld“ realisierte.
Getragen wird es von der Stiftung des Unternehmers Frederik Paulsen – eine Geschichte für sich: Sein Vater gleichen Namens, 1909 geboren, der viel Zeit bei seinen Großeltern auf Föhr verbracht hatte, kam als junger Student mit den Nazis in Konflikt, konnte 1935 in die Schweiz entkommen, zog weiter nach Schweden und gründete ein erfolgreiches Medizinunternehmen – um sich gleich nach dem Krieg mit einer Stiftung am Beleben des nordfriesischen Kulturlebens zu beteiligen. Was sein Sohn aufgriff und der Insel ein Museum nebst Sammlung als Grundstock schenkte.
Ein Blick zurück, der lohnt, denn das Museumshaus war keinesfalls ein Selbstgänger, als es im Juli 2009 öffnete. Besonders die FöhrerInnen waren skeptisch: Moderne Kunst, wo man sich zur Erholung die salzhaltige Luft in die Lungen zieht und barfuß durchs Watt wandert, was soll das denn?
Schließlich ist die gesamte Westküste Schleswig-Holsteins nahezu kunstfrei; gibt es in Husum, Heide und auch auf Föhr selbst zwar volkskundliche Museen, aber wer sich für Kunst im Sinne eines durchaus anstrengenden Diskurses mit den Bildern und Vorstellungen unserer Wirklichkeit interessiert, wer sozusagen auch mal wildes Zeug sehen will, der muss schon nach Kiel fahren oder gleich nach Hamburg.
Vergnügen trifft Wissen
Doch die Geduld des ersten Museumsleiters Thorsten Sadowsky, der heute das Museum der Moderne in Salzburg leitet und immer wieder dafür warb, klassisch-moderne und aktuelle Kunst zu zeigen, zahlte sich aus: Die Insulaner verloren ihre Scheu, folgten den Inselgästen, die Kunst gewohnt waren.
Und langsam verfestigte sich von Saison zu Saison die Erfahrung, dass es Spaß machen kann und auch unterhält, eben eine wuchtige Fjordlandschaft im Goldrahmen zu betrachten und danach ein Video, in dem ein Künstler mit seinem Kind mitten in seiner Küche eine Insel baut und Seemann spielt und der damit auch die Lage des Künstlers als Hausmann und Kinderbetreuer thematisiert.
Der Knoten platzte, als das Museum im Januar 2012 die beiden Zwillingsschwestern Christine und Margaret Wertheim und damit ihr „Institute for Figuring“ aus dem fernen Australien einlud, über einen längeren Zeitraum ein Häkelprojekt zu organisieren, dass im folgenden Sommer in einer Ausstellung mündete.
Der Hintergrund war durchaus ernst und ambitioniert: Hergestellt werden sollten von Kunstlaien, aber Häkelexpertinnen hyperbolische Korallen; eine Spezies, die sehr vielfältig, aber auch sehr empfindlich ist. Es ging also um Mathematik, um Ökologie und Umweltschutz und um Kunst – auf Grundlage des Häkelns.
Der Clou: Die Landfrauen von Föhr, von Amrum, von Sylt, vom Festland auch und dann hoch bis ins Dänische trafen sich in Alkersum und häkelten eine Koralle nach der anderen. Dass dabei zeitgenössische Kunst entstand, so wie jüngst die Wertheim-Schwestern mit ihrem Korallen-Projekt auf der Kunst-Biennale in Venedig vertreten waren, sickerte entsprechend unaufgeregt nach und nach durch, während die Frauen und einige wenige Männer sich durch Berge von buntem Häkelgarn kämpften. Auf die Zahl von 700 Beteiligten kam das Haus im Sommer 2012, als die fulminante Ausstellung „The Föhr Reef“ eröffnete.
Danach ging man entspannt zu Werke – und verstand es zugleich, weiterhin echte Kunst-Coups zu landen, klug zugeschnitten auf das eigene Haus und nicht irgendwo schnell eingekauft. Seine Eigensinnigkeit bewies das Haus etwa im Frühjahr 2016 mit der Fotoausstellung „Lipadusa“ des jungen italienischen Fotografen Calogero Cammalleri, der sich neun Monate auf die Insel Lampedusa zurückgezogen hatte. Zurückgekehrt war er mit beeindruckend verstörenden, fast schon abweisenden Schwarz-Weiß-Arbeiten über das dortige Inselleben, die man danach nirgendwo sonst in Deutschland zu sehen bekam.
Susanne Kessler wiederum fand ihr Thema vor Ort in Gestalt des Berichtes über die Kap-Horn-Fahrt eines Föhrer Kapitäns von 1905, der sie zu raumgreifenden Installationen inspirierte, während die dänische Künstlerin Trine Søndergaard sich vor Ort von den Hauben der friesischen Trachten künstlerisch leiten ließ.
Echte Kunst-Coups
„Wir sind ein unglaublich attraktiver Anlaufpunkt geworden, der für hochkarätige Kunst steht, für ästhetisches Erleben; aber auch für Spaß im positiven Sinne; dass man sich vergnügen kann und gleichzeitig Wissen vermittelt bekommt“, sagt Ulrike Wolff-Thomsen, die das Haus seit dem Sommer 2013 leitet. Und weiter: „Unser Generalthema ‚Meer und Küste‘ spiegelt sich sowohl in unserer Sammlung wider wie in den Ausstellungen; wobei bei den aktuellen Werken wichtig ist, was die gesellschaftlichen Themen sind, die aufgegriffen werden – wie etwa der Umgang der Künstler mit dem Klimawandel.“
Und genauso wird es nach den offiziellen Feierlichkeiten Ende Juli zum dann amtlichen Zehnjährigen auch weitergehen: Ab dem 16. Juli präsentiert das Haus unter dem Slogan „10 Jahre MKdW – Contemporary!“ zeitgenössische Fotokunst. Der Däne Joakim Eskildsen, Anja Jensen aus Deutschland, die Niederländerin Ellen Kooi und Mette Tronvoll aus Norwegen werden die klassischen Motivlagen der Menschen an den Küsten aufgreifen und zeitgemäß reflektieren.
Und einige Tage später steigt mit „Meisterwerke“ die Klassische Moderne hinzu; werden Gemälde und Zeichnungen der Jahre 1830 bis 1930 verglichen: Werke von Johan Christian Dahl, Anna Ancher und Peder Severin Krøyer bis hin zu den Evergreens von Max Liebermann und Edvard Munch.
Und es sei versprochen, dass die Begegnung wie Konfrontation von Gewesenem und Aktuellem auch diesmal aufgehen wird. Und ansonsten ist Föhr ja überhaupt sehr schön.Und auch die FöhrerInnen werden gewiss sehr stolz sein, so wie sie längst von „ihrem“ Haus sprechen und auf der Fähre nach Wyk stets die aktuellen Ausstellungsflyer ausliegen.
Ausstellungen bis 12. 1. 2020, Museum Kunst der Westküste, Alkersum/Föhr. Infos: www.mkdw.de
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