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Nicht in der Kapuzenjacke verheddern

René Lück baut Modelle. Von Ölplattformen, Tankstellen und Raketen. In seinen Objekten verarbeitet er die emblematischen Eckpunkte seiner Polit-Sozialisation – das grüne und greenpeacige Gedächtnis einer Generation

In der Holzwerkstatt des Künstlerhauses Bethanien ist eine Pershingrakete aufgebahrt, mindestens drei Meter lang. Ein Modell aus Holz und Pappe. Der Leim muss noch anziehen, die Verschalung ist so lange mit Stecknadeln fixiert. Auf dem Tisch liegt ein Handbuch zur Berechnung von Kegelschnitten. René Lück sitzt ruhig auf der Werkbank, beäugt kritisch sein Tagwerk und raucht. Die Leitwerke müssen noch montiert werden.

René Lück ist Perfektionist. Seit Jahren kreisen seine Arbeiten um ein einziges Thema: politische Sozialisation. Die versucht er zu verstehen und zu erinnern – modellhaft, emblematisch. Für die Ausstellung „… es gibt kein ruhiges Hinterland“ im Künstlerhaus Bethanien hat Lück eine Pershing II gebaut – und das von Startbahn-West-Gegnern modifizierte Wappen von Hessen. Der Löwe darauf trägt Polizeihelm und Schlagstock.

Mit archäologischer Kühle forscht er nach schon leicht mit Staub bedeckter politischer Ikonografie und Symbolen des Widerstands, die mittlerweile mehr oder weniger ins kollektive Unbewusste abgesunken sind. Dabei treibt ihn immer eine große Frage um: Wo gehen sie hin, die Lebensgefühle, die kollektiven Herrensignifikanten, die geliebten Ideologien eines Zeitabschnitts? Wieso ist „No Future“, obwohl doch alles so aussichtslos wirkt zurzeit, trotzdem nicht mehr die Konsenslosung wie in den Achtzigern? Hat man doch die Zukunft gerettet, weil man begann, den Müll zu trennen? René Lück zuckt mit den Achseln und baut weiter an seinen Objekten, auf der Fährte nach den Spuren einer sich fast unmerklich wandelnden Gesellschaft.

René Lück hat Freie Kunst in Hamburg studiert, konnte aber – wie er das mit süddeutschem Dialekteinschlag entschuldigend sagt – das Wetter dort nicht ertragen. „Außerdem gibt es in Hamburg nicht genug Ausstellungsmöglichkeiten: Man schafft es entweder gleich in den Kunstverein oder bleibt im ‚Unterbau‘ stecken. Berlin ist da besser ausdifferenziert“, sagt er, ruhigen Pragmatismus in der Stimme. Die Wahrscheinlichkeit, einem Kunstvermittler zu begegnen, der das Rentenalter noch nicht erreicht habe und der sich interessiere, sei in Berlin einfach sehr viel größer. Seit vier Jahren arbeitet Lück jetzt an seinem „Standing“ in der Stadt der dicht an dicht akkumulierten Jungkünstler: „Netzwerk ist ein abgedroschener Begriff. Er klingt nach Künstler-Selbsthilfe und Workshop. Ich sage, ich habe hier Künstler-Kumpels.“

Der Titel seiner letzten Berliner Ausstellung – im Juni im WBD auf der Brunnenstraße – kopierte den Befehlston der Protestrhetorik, wie sie zu seinen Arbeiten besser nicht passen könnte: „WBD bleibt!“ Was dort zu sehen war: der Nachbau einer Shell-Tankstelle, behängt mit Greenpeace-Protestfahnen. Die Erinnerung springt herzklopfend an. Toll war das: Ziviler Ungehorsam hieß 1995 einfach Brent Spar. René Lück erinnert daran, ohne bloß dokumentaristisch oder nostalgisierend vorzugehen. Sein Umgang mit der politischen Vergangenheit ist fein ironisch. Er schmälert nicht die Emphase der Erinnerungen, stellt sie aber in einen rätselhaft autonomen Kontext, den der Kunst, den des Modellhaften, Nachträglichen. Eine Inventur der bundesdeutschen Protestvergangenheiten.

„Natürlich bin ich parteiisch“, sagt René Lück lakonisch. Aber trotzdem geht es ihm nicht um das Verkünden politischer Manifeste. Er möchte politbewegte Vergangenheit als Objekt inszenieren, möchte sie als gesellschaftlichen Code analysieren, ohne sich dabei in der eigenen Kapuzenjacke zu verheddern. Deswegen winken seine Arbeiten nicht denunziatorisch von erhabenen Kunsthochständen herab. Lücks Privileg ist es, so normal wie möglich zu sein, mitgemacht zu haben, was viele 35-Jährige erlebten. Die Erfindung der Grünen und andere öffentliche Erregungszustände.

Wiedererkennung ohne sentimentales Getüddel, das funktioniert bei ihm über sein Material. Er baut mit dem Zeug, das zu einer ehemaligen Geisteshaltung gehörte. Man begreift etwas – im Wortsinne, mit den Händen. „Ich arbeite zum Beispiel mit Materialien, die die entsprechenden Leute vor gar nicht langer Zeit zum Hochbetten-Bau benutzt haben.“ Hochbetten zu Raketen: Bei René Lück läuft die persönliche Erinnerung mit den kodifizierten Formen ihrer medialen Darstellung in der perfekt nachbildenden Bastelei zusammen.NORA SDUN

René Lück: „… es gibt kein ruhiges Hinterland“, bis 28. 8., Mi–So 14–19 Uhr, Künstlerhaus Bethanien, Studio 3

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