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Mittenmang-Festival in BremenInklusiv ist subversiv

Höchst unterhaltsam geht es beim Bremer Mittenmang-Festival um die Frage: Wer spricht für wen, wenn Menschen mit und ohne Behinderung Theater spielen?

Die Late Night-Show „Himmel Possible II“ ist ausdrücklich kein Himmelfahrtskommando Foto: Niedervolthoudini

Bremen taz | Eine kunterbunte Invasion gelenkiger Wesen erobert den Touristenpfad vom Roland zum Theater am Goetheplatz. Professionelle Performer hat der österreichische Choreograf Willi Dorner mitgebracht, Bewegungskünstler von Tanzbar Bremen dazu gecastet, auch Blaumeier-Artisten sind dabei. Sie verschlingen und verknoten sich ineinander, kuscheln zusammen. Quetschen sich in Gebäudelücken. Hängen auf Automaten, umwickeln Schilder oder beten einen Baum im Kopfstand an. Nur für jeweils wenige Minuten erstarren alle zu Körper­skulpturen. Parkour als Streetart für Flaneure.

Durch wortwörtliches Auffüllen von Zwischenräumen, die frei gelassen wurden im Raumdesign der Stadtarchitektur, werden nicht nur Dimensionen sichtbar, sondern es wird auch herausgestellt, wie der Körper einen Gegensatz zur Architektur bildet und wie er deren Perspektive ändern kann“, hat Dorner zu seinem „Bodies in urban space“-Projekt angemerkt, das zur Gast ist beim „Mittenmang“-Festival.

Vom 29. Mai bis 2. Juni findet es im, am und um das Theater Bremen herum statt. Ein viriles Ereignis, bei dem ebenfalls Perspektiven verschoben werden sollen. Eben Behinderung nicht als defizitär wahrzunehmen, also etwas, das den hegemonialen Bildern von Schönheit, Professionalität und Perfektion widerspricht, sondern als Potenzial, eben diese Konventionen zu verändern.

Programm-Scout Georg Kasch findet derart arbeitende inklusive Theater „per se subversiv“, weil sie das Verständnis von Normalität angreifen und dabei ein hohes experimentelles Potenzial entwickeln. Denn Schauspieler, die sich mit ungewohnter Sprechweise und nicht normierten Körpern jenseits des klassischen Gesten-, Bewegungs- und Mimik-Repertoires ausdrücken, also etwas Ungewohntes einbringen, ohne es auszustellen, fügen jedem verhandelten Stoff unweigerlich eine andere Reflexionsebene hinzu. Es ist der Wert der Differenz zu feiern.

Das gewachsene Interesse an Zusammenarbeit äußert sich heute eher in Projekten

Andreas Meder, Kurator

Aber weniger die hübschen Überbaugedanken denn die konkreten Festivalereignisse verorten „Mittenmang“ ebendort in der Gesellschaft. Was ist neu bei der dritten Ausgabe des alle zwei Jahre stattfindenden Veranstaltungsreigens? Da es seit 20 Jahren zunehmend selbstverständlich wird, dass auch Menschen mit Behinderung auf der Bühne repräsentieren, geht es jetzt um die Frage: Wer spricht dort für wen? „Wir wollen uns verstärkt um die Zuschauer mit Handicap kümmern“, erklärt Andreas Meder, Kurator und Organisator des Festivals von der extra für solche Events gegründeten Kunst-und-Kultur-Abteilung der Lebenshilfe.

Damit erstmal alle verstehen, was von den Darbietungen zu erwarten ist, sind die Programmhefttexte in zwei Versionen abgedruckt. In der Performance „The way you look (at me) tonight“ fragen die schottische Künstlerin Claire Cunningham und der US-Choreograf Jess Curtis, wie Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen einander wahrnehmen und miteinander leben können. Dabei „entsteht eine soghafte Mischung aus philosophischem Essay, Kontaktimprovisation, Hommage an das Hollywood der 1930er Jahre und einer Liebesgeschichte, die niemanden kalt lässt“, behauptet der Werbetext.

Die Übersetzung in leichte Sprache klingt so: „Das Stück ist spannend und aufregend.“ Da muss schon mal gefragt werden, warum bereits in der Produktbeschreibung die Erlebnisebene vorgeschrieben wird. Gibt es das Eintrittsgeld zurück, wenn Besucher der Abend doch kalt lässt und sie ihn gar nicht aufregend finden?

Viel wichtiger sind aber zwei andere Serviceleistungen. Die Arbeit von Cunningham/Curtis wird per Audiodeskription für Sehbehinderte besser erlebbar gemacht, gleichzeitig auch der englische Stücktext in deutsche Gebärdensprache übersetzt. Des Weiteren bieten die Veranstalter den Abend als „relaxed performance“ an. Meder: „Jeder kann kommen und gehen, wann er will, und wer sich von der Darbietung überfordert fühlt, für den stehen Sitz- und Liegemöglichkeiten auf der Bühne bereit, eine Art miteinander zu leben als Beispiel gleichberechtigter Teilhabe.“

Zwei Drittel des „Mittenmang“-Etats von 240.000 Euro steuert Aktion Mensch bei, ein Drittel der Kosten teilen sich das Theater Bremen und das Blaumeier-Atelier. Das prägt das Festival: Die Blaumeiers machen Straßentheater auf dem Goetheplatz, veranstalten Konzerte, eine Lesung, stellen Kunst im Theater aus und gestalten die Eröffnungsshow. Bei den Gastspielen fallen bekannte Namen nicht zum ersten Mal auf. Etwa die Theater Hora (Zürich) und Thikwa (Berlin).

Wo sind die neuen Gesichter? „Es gibt seit Jahren keine Neugründungen inklusiven Theaters mehr“, antwortet Meder, „deswegen laden wir die Etablierten regelmäßig ein. Das gewachsene Interesse bei Künstlern an Zusammenarbeit mit Behinderten äußert sich heute eher punktuell in Projekten.“ Dabei entwickelten sich die Aufführungsformate weg vom klassischen Theater, hin zu Tanz und Performance. Auch das wird in Bremen zu sehen sein.

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