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Kolumne HabibitusScheinheilig und voller Doppelmoral

SexarbeiterInnen werden pauschal zu Opfern erklärt. Wer Menschenhandel erschweren will, sollte für offene Grenzen kämpfen.

Verbände warnen, die Registrierung von Sexarbeiter_innen könnte mehr schaden als nutzen Foto: dpa

Solange es einvernehmlich ist, hat niemand darüber zu bestimmen, unter welchen Umständen, wie häufig und auf welche Art Erwachsene miteinander Sex haben. Das sollte feministischer Konsens sein. Geht es jedoch um Sexarbeit, wird dies für so manch eine_n zu einer schwer akzeptierbaren Sache. Ähnlich wie beim Thema Kopftuch, Trans*Identität oder Fat-Liberation zeigt sich auch beim Sexarbeitsdiskurs, dass die Floskel „Mein Körper, meine Regeln“ eigentlich nur schlanken, bürgerlichen, weiß-christlichen cis Frauen zugestanden wird.

Sexarbeiterinnen – stets als weiblich begriffen, denn nichtbinäre oder (cis wie trans) männliche kommen in dieser Narrative schlicht nicht vor – werden von der Gesellschaft pauschal zu Opfern erklärt. Dabei sind die eigentlichen Opfer diejenigen Frauen, die ohne jegliche Kompensation mit ihren Partner_innen (für sie unbefriedigenden) Sex haben, während sie anderen Personen vorschreiben wollen, was eine gesunde oder moralisch (auf)richtige Sexualität ist.

Manche behaupten, Sexarbeit sei ein schmutziger Beruf. Mich wundert es, dass diese Arbeit als schmutzig gilt, aber beispielsweise Polizist_in, Politiker_in, Atomkraftlobbyist_in oder Fahrkartenkontrolleur_in nicht. Dabei sind dies allesamt Jobs, die in Korruption, Menschenfeindlichkeit und gruppenbezogener Gewalt münden können.

Verbot der Prostitution?

Um die Kriminalisierung der Sexarbeit zu rechtfertigen, höre ich oft das Alibi-Argument, viele Prostituierte seien von Menschenhandel betroffen. Menschenhandel gibt es auch in sehr vielen anderen Sektoren, wie etwa der Gastronomie, der Landwirtschaft, im Baugewerbe oder der Haushaltsarbeit. Offensichtlich kann ein Verbot von Prostitution Menschenhandel nur zu einem Bruchteil vorbeugen – wenn überhaupt.

Wer wirklich Menschenhandel erschweren will, kämpft für offene Grenzen und Dekriminalisierung von Migration. Bevormundende Maßnahmen wie das Prostituiertenschutzgesetz fügen Sexarbeiter_innen mehr Schaden zu als sie ihnen Schutz bieten können. Verbände und Aktivist_innen haben bereits mehrfach davor gewarnt, dass die Registrierung als Sexarbeitende faschistische Ausmaße annehmen kann. Im Nationalsozialismus wurden Sexarbeiter_innen verfolgt, ermordet und mussten Zwangsarbeit verrichten.

„Die Vagina ist kein Arbeitswerkzeug!“ sagen Sexarbeitsgegner_innen. Mir wäre es lieber, mehr Leute benutzten ihre Vagina nur um Geld zu verdienen, anstatt noch mehr rassistische Kinder in die Welt zu setzen. Außerdem hat nicht jede_r Sexarbeiter_in hat eine Vagina oder lässt die eigenen Genitalien zum Einsatz kommen.

Am 2. Juni ist Internationaler Hurentag. Der Kampf um die Rechte von Sexarbeiter_innen sollte ein feministisches und ein linkes Anliegen sein. Denn wer sich mit Arbeiter_innen solidarisiert, darf nicht jene vergessen, deren Arbeitsbedingungen mit am prekärsten sind.

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7 Kommentare

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  • 9G
    95309 (Profil gelöscht)

    Und dann gibt es noch die Beziehungen, bei denen im Laufe der Zeit der partnerschaftliche Beischlaf zum völligen Erliegen gekommen ist. Trotzdem besteht die Partnerschaft weiter und dafür kann es gute Gründe geben. Aber der Wunsch nach Körperlichkeit bleibt bestehe. Ein Rauslösen aus diesen Beziehung ist gar nicht gewünscht. Eine alternative Ménage-à-trois schon gar nicht.

    Die männlichen Partner werden dabei in Ihrem Wunsch nach körperlicher Zuwendung prinzipiell kriminalisiert. Die allermeisten davon suchen keine drogensüchtige versklavte minderjährige in Hinterzimmern auf. Alleine diese bizarre Verknüpfung in der eine völlig amoralische Männergesellschaft offensichtlich eine Sexualität unterstellt wird, die in den tiefsten Niederungen der menschlichen Seele ruht zeigt, das letztlich spießbürgerliche, moralisierende Bild, welches den Antagonisten zu eigen ist. Es ist immer schmuddelig, amoralisch, mit eine gewissen Priese Jekyll & Hyde. Der Mann in seinem Innersten ein Wüstling, der nur auf die Gelegenheit wartet sein wahres Ich zu zeigen.

    Es kann überhaupt keine Frage sein. Wie in vielen Bereichen gibt es massive kriminelle Machenschaften im Bereich der Prostitution. Aber die gibt es in durchaus vergleichbarer Weise sonst auch. Und natürlich gilt es da zu handeln.

    Aber es gibt auch genügend selbstbewusste starke Frauen, die sehr genau wissen, was sie warum tun und sich in keinem Fall als Opfer sehen. Das ist eine Stigmatisierung, die am Ende auch noch frauenfeindlich ist, weil Sie den Akteurinnen darüber hinaus ja die eigene Entscheidungsfähigkeit abspricht. Frauenfeindlich deshalb auch, weil niemals die nebenbei existierende männliche Prostitution mit den gleichen Argumenten eingebracht wird. Dort scheint den männlichen Akteuren wohl alles leichter zu fallen.

    Die Leistung die Prostituierte in unserer Gesellschaft leisten kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die Gesellschaft schuldet Ihnen einiges. Und vor allen Dingen Anerkennung.

  • Mir ist der Kommentar ein bisschen zu einfach gestrickt, weil er davon ausgeht, dass die Menschen, die im Sexgewerbe arbeiten, das mit Stolz und Würde tun können und mit allen Formen der arbeitsrechtlichen Absicherungen.



    Können sie aber oft nicht, weil ihre Arbeit in einen oft halbkriminellen Schmuddelbereich und in verschämtes Schweigen hineingedrängt ist, eine Mischung, in der Ausbeutung und Gewalt aller Art gedeihen. Das wird gerne romantisiert, aber davon betroffen sind insbesondere diejenigen SexarbeiterInnen, die sich am wenigsten wehren können: Drogenabhängige, sehr junge Menschen, Menschen ohne aufenthaltsrechtlichen Status und Menschen, die in hohem Maße auf den Verdienst angewiesen sind. Hier werden sie oft Opfer, das muss man nicht kleinreden. Und auch nicht kleinreden sollte man den Umstand, dass Sexarbeit unter schlechten Bedingungen doch nochmal anders unter die Haut geht als Scheißjobs in der Landwirtschaft oder in der Gastronomie.



    Eigentlich sollte einE SexarbeiterIn ihren/seinen eigenen Laden aufmachen können, wie ein Friseur oder eine Physiotherapeutin, mit einer Liste der angebotenen Dienstleistungen und meinetwegen den Preisen dabei, und sie sollte ausbilden können, und sie sollte beim Elterntag der Kita sagen können: "Ich bin Katja, die Mama von Janni, und ich bin Sexarbeiterin.", ohne das gleich Getuschel losgeht und der kleine Janni nie mehr eingeladen wird.



    Aber solange es noch nicht so ist, muss man schon anerkennen, dass im gegenwärtigen Sexgewerbe Opfer produziert werden, die auch Solidarität und Unterstützung benötigen.

  • "Dabei sind die eigentlichen Opfer diejenigen Frauen, die ohne jegliche Kompensation mit ihren Partner_innen (für sie unbefriedigenden) Sex haben, während sie anderen Personen vorschreiben wollen, was eine gesunde oder moralisch (auf)richtige Sexualität ist."

    Als ich das gelesen habe, musste ich sofort an eine Internetberühmtheit von der anderen Mainseite denken.

    "Ich sach ja immer wieder: Die Nutten sin raffiniert. Die nehmen die Kohle an. Die sin raffiniert, die andern lassen sich so ficken"

    Der erste Satz hätte aber eigentlich gereicht, der ist top und sagt alles zum Thema.

  • 9G
    95309 (Profil gelöscht)

    Na da verweis ich doch auf das Interview mit Stefanie Klee vom 18.4.18.

    www.taz.de/Archiv-...ee%2Bprostitution/

    Guter Beitrag. Nicht ganz leicht zu lesen wegen den viele_n Unterstrichen....

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    "Menschenhandel gibt es auch in sehr vielen anderen Sektoren, wie etwa der Gastronomie, der Landwirtschaft, im Baugewerbe oder der Haushaltsarbeit."

    Menschenhandel ist gleich Menschenhandel ist gleich Menschenhandel.

    Ich glaube nicht, dass das stimmt. Wer ein bisschen sucht, findet flugs Beschreibungen körperlicher und sexualisierter Gewalt gegen die weiblichen Opfer des Prostituionsmenschenhandels.

    Ich kann mir schwer vorstellen, dass Frau Yaghoobifarah das nicht weiß.

    55 - 60 % der Opfer des weltweiten Menschenhandels sind Frauen, die zu Prostitution gezwungen werden. Eine ganze Menge also.

    Für 65tsd Dollar gehen sie übrigens über den Ladentisch.

    Ich weiß nicht ob Frau Yaghoobifarah durch diese ganze verharmlosende Relativiererei den Opfern einen Gefallen tut.

    • @88181 (Profil gelöscht):

      Bei aller berechtigter Kritik verallgemeinerst du das Thema Sexarbeit aber erneut (wie innerhalb des Diskurses üblich) auf das Thema Menschenhandel und das ist genau der Punkt, den der Artikel mMn. versucht zu machen. Ich glaube kaum, dass der Artikel dafür plädiert, das Thema zu ignorieren oder zu relativieren. Vielmehr versucht er für eine differenzierte Debatte zu werben und Argumente zu liefern, weshalb die Dinge eben nicht so einfach liegen, wie sie häufig verkürzt dargestellt werden. Natürlich kann man der Autorin vorhalten, hier nicht ausführlicher und (selbst) differenzierter argumentiert zu haben, aber die Kritik sehe ich wirklich nur bedingt.

      Zumal man bei der Debatte auch unterscheiden sollte, dass die Probleme des weltweiten (!) Menschenhandels sicher nicht die gleichen sind wie innerhalb Deutschlands. Insofern müsste alleine bei diesem Argument geklärt werden, über was wir eigentlich sprechen, wenn wir solche Zahlen und Aspekte zur Argumentation nutzen wollen, weil sie mMn. ansonsten wertlos sind - und zwar nicht zuletzt, weil die Gesetzeslagen für Sexarbeit, für Freier*innen usw. extrem divers sind.



      Abgesehen davon wirbt die Autorin ja gerade für Lösungsstrategien, die den Problemen des Menschenhandels im Kontext der Sexarbeit etwas entgegen setzen, was den ausführenden Sexarbeiter*innen hilft, wie bspw. offene Grenzen, Anlaufstellen, ein nicht-moralisierender Diskurs usw.

  • Wow. Das erste Mal in der Geschichte dieser Kolumne, dass da nicht nur provokativer und rassistischer Schwachsinn steht. Hier kann ich nur voll und ganz zustimmen.