: Alarm für vermisste Kinder
Eine Initiative fordert schnellere Information der Bürger, wenn Kinder gesucht werden. Eine große Werbefirma stellt dafür auch ihre Stadt-Bildschirme zur Verfügung
Koorosh Armi, Werbefirma Ströer
Von Kaija Kutter
Sollte Hamburg mehr tun, um schneller nach vermissten Kindern zu suchen? Flimmern bald Fotos von Kindergesichtern über die Großbildschirme der Stadt?
Lars Bruhns fordert das. „Was für Katastrophen gilt, sollte auch für vermisste Kinder gelten“, sagt er mit Anspielung auf eine Vereinbarung zwischen Stadt und der Außenwerbungsfirma Ströer, im Falle von amtlichen Sicherheitswarnungen wie einer Sturmflut Warnhinweise über deren große Werbetafeln flimmern zu lassen. „Wir bieten der Polizei an, alle unsere Kanäle auch bei akuten Fällen von vermissten Kindern zu nutzen“, ergänzt Koorosh Armi, Leiter der Abteilung Stadtmarketing in Hamburg bei der Firma.
Bruhns leitet die „Initiative vermisste Kinder“. Zur Pressekonferenz zum Tag für vermisste Kinder am 25. Mai hat er Kulleraugen als Aufkleber dabei. Das Symbol für die Kampagne „Augen auf“, die auch im U-Bahn-Fernsehen um Spenden wirbt.
Über die Medien bekannt wurde der Fall der zehnjährigen Hilal aus Lurup, die seit 1999 verschwunden ist. Wie viele vermisste Kinder es gibt, wird in Hamburg nicht erfasst. Die Polizei nennt die Gesamtzahl der „Vermisstenvorgänge“, die sich auch auf Erwachsene und mehrfach Verschwundene beziehen. 6.430 waren das 2018.
Das Bundeskriminalamt zählte landesweit 2018 12.762 Fälle von vermissten Kinder unter 13 Jahren, von denen rund 97 Prozent aufgeklärt wurden, wie die Deutsche Presseagentur berichtet. Es bleiben also fast 400 ungeklärt. Rückblickend seit 1951 gibt es rund 2.000 solcher offenen Fälle. Bei etwa jedem zweiten ungeklärten Fall handelt es sich laut BKA um Ausreißer oder unbegleitete Flüchtlinge, die selbstständig unterwegs sind. Bei den übrigen ist zu befürchten, dass sie Opfer einer Straftat oder eines Unglücks wurden.
Der 1997 gegründete Verein arbeitet für die Familien und betreibt eine Hotline (11 60 00). „Wenn Eltern anrufen, ist unsere erste Frage, ob schon die Polizei informiert wurde“, sagt Bruhns. Denn viele dächten, sie müssten erst eine gewisse Stundenzahl abwarten, bevor sie das tun. „Dem ist nicht so.“ Eine Studie aus den USA zeige, dass eine schnelle Suche wichtig ist, denn wenn Kinder zu Schaden kamen, dann meist in den ersten 24 Stunden.
Bruhns regt an, bei der Polizei eine schnelle Risikoeinschätzung einzuführen. Grün für keine, Gelb für mögliche und Rot für akute Gefährdung. Die Polizei sollte dann in akuten Fällen die Bevölkerung sofort informieren. Dies sei heute mit Warn-Apps wie „Katwarn“ möglich. Über die Apps könnten Suchmeldungen auch auf Straßenzüge begrenzt werden, was effektiver sei. Das Land Hessen setzt „Katwarn“ seit einem Jahr dafür ein. So seien drei Kita-Kinder im Wald gefunden worden.
Die Vermischung von Commerz und Charity ist transparent. Die Vereinsadresse ist identisch mit der Adresse von Stroeer in Hamburg. Die 25 Auszubildenden haben eine Kampagne „Ströer hilft“ ins Leben gerufen, um Bruhns zu unterstützen. Ströer sei Marktführer in Deutschland, sagt Koorosh Armi. Und Ströer ist Hauptpächter der Außenwerbeflächen der Stadt Hamburg. Das umfasst 30 riesige Bildschirme an Verkehrsknoten wie den Landungsbrücken, Bildschirme an Bahnhöfen und besagtes „Fahrgast- TV“ der U-Bahn. Insgesamt verfügt der Werbe-Riese über 2.500 Stadtbildschirme. Die zeigen nicht nur Werbung, sondern auch Wetter, Rätsel oder Nachrichten. Und nun auch Vermisstenmeldungen.
Als am 23. April eine 13-Jährige Bewohnerin eines Kinderschutzhauses in Bad Segeberg vermisst wurde, bat die dortige Polizei die Medien um Mithilfe. „Wir haben diese Meldung auf allen Screens in der Innenstadt ausgestrahlt“, sagt Armi. Das wolle er gern verstetigen, darüber sei er mit Behörden im Gespräch.
Doch die Innenbehörde beschränkt sich auf die Katastrophenwarnungen auf Großbildschirmen. Für die Suche nach Vermissten habe die Polizei eigene Social Media Kanäle, sagt Sprecher Daniel Schaefer. „Eine Kooperation zwischen der Polizei Hamburg und der Firma Ströer existiert nicht und ist derzeit nicht geplant.“ Auch Meldungen über „Katwarn“ seien „bislang nicht vorgesehen“.
Der Medienpolitiker der Linken, Stephan Jersch, kann verstehen, dass die Stadt zurückhaltend ist. Die Mischung von Werbung und Polizeiarbeit sei problematisch: „Da braucht man genaue Regelungen, was da laufen darf.“
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