: Entschuldung: Läuft!
Konsolidierung geschafft, Staatskredit-Uhr des Steuerzahlerbundes läuft jetzt rückwärts: Karoline Linnert (Grüne) warnt vor Neuverschuldung und Schattenhaushalten
Von Benno Schirrmeister
Ausgerechnet am FDP-Haus war gestern ein prima Wahlkampftermin für Bündnis 90 / Die Grünen. Genauer: Wäre es gewesen, zögen die Ökos wieder mit Finanzsenatorin Karoline Linnert in die Schlacht. So war es bloß ein verregneter Die-Bürgermeisterin-enthüllt-eine-Ehrentafel-Termin, wenn auch ohne Enthüllung: Der Bund der Steuerzahler hatte Linnert zur Umstellung der Schuldenuhr gebeten.
„Das ist ein historischer Moment“, sagte der Chef des Bremer Steuerzahlerbundes Carl Kau, der vor fünf Jahren noch aussichtsloser Bremer CDU-Kandidat für die Europawahl war. Die Uhr läuft nämlich jetzt rückwärts. Um 91 Cent pro Sekunde verringert sich die in roten LED-Ziffern angezeigte Zahl pro Sekunde. Gestern um 14.45 Uhr zeigte sie noch 21.611.001.209 (einundzwanzigmilliardensechshundertelfmillioneneintausendzweihundertneun). Am 31. Dezember soll sie bei 21.593.441.950 (einundzwanzigmilliardenkackkönntihreuchdochselbstauszählen) angelangt sein: Bremens öffentliche Hand tilgt jetzt mehr Darlehen, als die bisherigen Kredite durch Zinsen wachsen. „Das ist ein Verdienst der Finanzsenatorin“, lobt Kau.
Genugtuung? „Das bedeutet mir gar nichts“, knurrt Linnert am Rande der Veranstaltung noch. Später wird sie dann in die Mikros doch eine Spur weniger grimmig etwas von „ein wenig stolz“ erzählen. Auch off the record bleibt der lustigste Moment des Festakts: Kurz vorm entscheidenden Augenblick erhebt Linnert die Stimme und improvisiert durchs Regenrauschen eine sehr lustige und sarkastische Rede. Mit leicht gequältem Lächeln hören die Liberalen-Vortänzer Magnus Buhlert und Peter Bollhagen zu, wie Linnert darüber witzelt, dass der von der FDP angeregte Verkauf aller möglichen landeseigenen Gesellschaften die Uhr einen famosen Satz von einer Milliarde rückwärts machen ließe – spar pour spar statt l‘art pour l‘art.
Und vor allem kündigt sie mit dramatischem Tremolo an, dass man jetzt der „verheerenden Auswirkungen der Bremer Austeritätspolitik“ angesichtig werde – nämlich denen, dass der Zahlenwert auf der Uhr sich verringert, statt weiter zu steigen. Und dass dabei auch noch die Geschwindigkeit zunimmt: Zuletzt war die Last um 43 Cent pro Sekunde gestiegen.
Aber das werde ja „bald behoben sein“, spottete sie, „angesichts der geplanten Sondervermögen und Schattenhaushalte“: Eine Anspielung auf ein am Freitag von der CDU präsentiertes 100-Tage-Programm, das für den Fall einer Machtübernahme durch Carsten Meyer-Heder vorsieht, frisches Geld zu leihen, angeblich um Schulen zu sanieren: Wie das mit den gesetzlichen Prinzipien einer transparenten und vollständigen Haushaltsführung vereinbart werden soll, die Grundlage eines demokratisch organisierten Finanzwesens sind, war dabei rätselhaft geblieben. Zugleich würde es gegen die in Landesverfassung und Grundgesetz festgeschriebene Schuldenbremse verstoßen, die für Sondervermögen unmittelbar gilt. Fun-Fact: Die Christdemokraten unter Führung von Thomas Röwekamp waren es, die 2010 die rot-grüne Koalition dazu gedrängt hatten, die Schuldenbremse auch ins Bremische Staatsrecht zu überführen.
Später formuliert Linnert dann doch noch ein paar staatstragendere Sätze: „Sich immer weiter zu verschulden ist verantwortungslos gegenüber nachfolgenden Generationen“, wiederholt sie ein Mantra ihrer zwölf Amtsjahre. Es liege „ein steiniger Weg hinter uns“, so Linnert. Auf dem sei „viel Wünschenswertes nicht finanzierbar“ gewesen. Aber ihn einzuhalten sei Voraussetzung gewesen für die höchst vorteilhafte Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen. „Wir haben“, so Linnerts Fazit, „die Konsolidierung geschafft.“
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