: Wer ist denn nun dieser Mann?
Seit 70 Jahren ist Bremen in sozialdemokratischer Hand. Carsten Meyer-Heder von der CDU will das ändern. Dass seine Chancen nicht schlecht sind, sagt viel über die Lage der SPD
Aus Bremen Gesa Steeger
An einem trüben Märzmorgen steht Carsten Meyer-Heder auf dem Bremer Rathausplatz und schleppt sich durch die Strophen seines Wahlkampfsongs. Titel: Wer ist diese Mann? Nicht ganz textsicher, aber mit Schwung. Man könnte sagen: unverstellt.
„Wer ist dieser Bremer?
Carsten Meyer-Wer? Carsten Meyer-Wer?
Carsten Meyer-Heder. Unser Bremen kann mehr. Das weiß doch wirklich jeder.“
Begleitet wird er von zehn anderen Männern, Mitglieder eines Shanty-Chors. Einer schrubbt Gitarre. Der Sound ist hanseatisch, schunkelig und fährt direkt in die Knie. Es gibt ein Video dazu, das auf Twitter kursiert. Im Hintergrund sieht man die gläserne Fassade der Bremischen Bürgerschaft.
Noch knapp drei Monate, dann will Meyer-Heder dort auf der Senatsbank sitzen, als erster Mann der Stadt. Als erster CDU-Bürgermeister und Ministerpräsident seit 73 Jahren. Viel zu tun für einen 58-jährigen IT-Unternehmer im Vorruhestand. Für einen Mann ohne politische Erfahrung. Für einen Mann, den in Bremen kaum einer kennt.
Im Januar 2018 nominierte der CDU Landesverband Meyer-Heder als Spitzenkandidaten und machte ihn zum Hoffnungsträger einer ganzen Partei. Vor allem aus Mangel an mehrheitsfähigen Alternativen, so hört man aus Parteikreisen. Bei der Wahl im Mai 2018 erhielt er 98,5 Prozent der Stimmen. Ein überwältigendes Ergebnis für einen, der sich selbst als Bürgermeisterkandidat ins Gespräch brachte und erst acht Wochen nach seiner Nominierung in die Partei eintrat.
Über den Parteikollegen sagen, er habe ein frisches Gesicht. Über den es aus SPD-Kreisen heißt, man nehme ihn unbedingt ernst, trotz der politischen Unerfahrenheit. Der schaffen will, was keiner seiner Vorgänger bisher vollbracht hat: die SPD aus dem Rathaus vertreiben, nach mehr als 70 Jahren.
Seit 1946 ist Bremen SPD-Land, durchgängig. Sieben Bürgermeister in sieben Jahrzehnten. Der aktuelle Bürgermeister Carsten Sieling regiert seit 2015, schaut auf 40 Jahre politische Arbeit zurück, ein Fachmann. An ihm muss Meyer-Heder vorbei.
Deswegen steht er an diesem Morgen auf dem Marktplatz und singt. Nicht schön, aber laut. Authentizität, vielleicht ist das sein größter Trumpf im Kampf ums Rathaus. Es ist ein Kampf, den Meyer-Heder gewinnen könnte.
Monatelang lagen SPD und CDU gleichauf, bei 25 Prozent. Seit Anfang Mai liegt die CDU bei 26 Prozent. Die CDU hat also eine Chance. Das erste Mal seit sieben Jahrzehnten, und Meyer-Heder soll sie einfahren. Dafür braucht er aber vor allem eins: mehr Bekanntheit.
Einen Monat später, noch zwei Monate bis zur Wahl. Am Hinterausgang der CDU-Zentrale in Bremen knickt Carsten Meyer-Heder seinen zwei Meter langen Körper hinter das Steuer eines schwarzen Mercedes, der angesichts dieser Körpergröße wie ein Kleinwagen wirkt. Es ist Meyer-Heders Privatauto. Es sieht sehr hochwertig aus, deswegen möchte die Pressesprecherin das Modell nicht in der Zeitung lesen. Sie sitzt auf dem Beifahrersitz und blättert durch ein paar Papiere mit Infos zu der nächsten Veranstaltung. Eine Podiumsdiskussion mit Studenten der Wirtschaftswissenschaften. Thema: Kritische Erfolgsfaktoren der digitalen Wirtschaft in Bremen.
Laut einer am Donnerstag veröffentlichten ZDF-Umfrage liegt die SPD bei 24,5 Prozent (ein Viertel unter den 32,8 Prozent von 2015). Die CDU käme auf 26 Prozent, die Grünen auf 18, Die Linke auf 12 Prozent, die FDP auf 5,5 Prozent, die AfD auf 8 Prozent und die Bürger in Wut (BIW) auf 3 Prozent. Von den möglichen Zweierbündnissen hätte so nur eine Koalition aus SPD und CDU eine Mehrheit.
Heimspiel für Meyer-Heder. In den 1990ern gründete er in einem Bremer Hinterhof das Software-Unternehmen Team Neusta, mittlerweile ein bundesweit agierendes Unternehmen mit rund 1.000 Mitarbeitern. Ein glücklicher Umweg. Das Studium der Wirtschaftswissenschaften schmiss Meyer-Heder nach wenigen Semestern, dümpelte rum, spielte in Bands und trieb sich mit seinen WG-Genossen auf Demos gegen Atomkraft rum. In Interviews sagt er über diese Phase, dass er „ganz links“ war. Er wählte damals Grün.
Nach einer Krebserkrankung und einer Umschulung zum Programmierer fand Meyer-Heder zu seiner Bestimmung: Unternehmer. Mit dem Erfolg kamen auch die Kreuzchen für FDP und CDU. Ein Werdegang, den Meyer-Heder und die Bremer CDU gern heranziehen, wenn es um das Image des Kandidaten geht; Meyer-Heder, der Konservative mit den liberalen Ansichten. Dazu passen auch Meyer-Heders Lebensumstände. Er hat drei Kinder von zwei Frauen, ist nicht in der Kirche und findet Robert Habeck gut, den Bundesvorsitzenden der Grünen. Ein Image, so hofft die Bremer CDU, das auch links der Christsozialen verfängt.
Langsam steuert Meyer-Heder durch den Feierabendverkehr. Er wirkt etwas erschöpft. Seine Tage verbringt er momentan hinterm Steuer, auf Terminen oder in Interviews. Der Wahlkampf zieht an: Vorige Woche ein Talk mit dem Konkurrenten Carsten Sieling vor Publikum. Der Besuch der Bremer Osterwiese, ein Spaziergang mit RTL durchs Bremer Viertel, Interviews. Und jetzt die Studenten. Immer geht es um die Frage: Wer ist dieser Mann?
An einer Baustelle muss Meyer-Heder bremsen. Er stöhnt. Der Zustand der Straßen ist eines der Hauptthemen im Meyer-Heder-Wahlkampf. „Eine Katastrophe“, sagt er. Das Gleiche sagt er über den Zustand der Bremer Schulen, den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und die wirtschaftliche Lage des Landes.
Spricht Meyer-Heder über Bremen, dann entsteht das Bild einer Stadt, die zerbröselt. Das stimmt tatsächlich, aber eben nur in Teilen. Das Bremen 2017 das höchste Wirtschaftswachstum aller Bundesländer verzeichnen konnte, die Arbeitslosigkeit sinkt und die bröseligen Schulen auch Teil einer Sparpolitik sind, die den Bundesländern von einem Bundesfinanzminister der CDU auferlegt wurden, erwähnt er nicht.
Bremen am Abgrund. Dazu passt eine Anekdote die Meyer-Heder gern erzählt. Darin spricht ein Münchner Taxifahrer Meyer-Heder sein Mitleid aus. Weil er Bremer ist. „Das tut mir weh“, sagt Meyer-Heder. Deswegen will er ins Amt. Deswegen seine Eigenkandidatur bei der CDU. „Außerdem“, sagt er, „ist das eine spannende Herausforderung.“ Schon seit einiger Zeit zieht Meyer-Heder sich aus dem operativen Geschäft seines Unternehmens zurück. Anstatt nun segeln zu gehen, macht er Wahlkampf.
Im zweiten Stock eines weißen Flachbaus auf dem Bremer Universitätsgelände: Das Publikum sitzt bereits. Man trifft sich in einem Seminarraum der Wirtschaftswissenschaft. Meyer-Heder sieht erleichtert aus, als er die vielen jungen Gesichter sieht. Im Auto hatte er überlegt, ob überhaupt jemand kommen würde, wegen der schönen Abendsonne. „Wenn ich Student wäre, würde ich jetzt lieber im Park liegen.“
Die Studenten wollen aber lieber wissen, wer dieser Mann ist, dessen kahler Schädel seit ein paar Wochen als „klare Birne“ beworben wird.
Eine Art Antrittsrede
„Ich will Bremen nach vorne bringen.“ Meyer-Heder steht vorm Publikum und hält eine Art Antrittsrede. Er wirkt steif, muss erst warmlaufen, so ist das oft. Dann wird er biegsam, macht Witze, haut Sprüche raus. Am besten ist er, wenn er persönlich wird. Dann erzählt er von seiner Frau, der Leidenschaft für Musik. Von seinen Tränen, wenn es romantisch wird. In diesen Momenten wirkt er wie der nette Nachbar, der gleich eine Wurst auf den Grill schmeißt. Der nette Nachbar, der Bürgermeister werden will. Das macht ihn für viele greifbar. Spricht man mit Bremern über Meyer-Heder fällt immer wieder das Wort „erfrischend“.
Da macht es auch nichts, dass es manchmal dünn wird, wenn es um die konkrete Umsetzung der politischen Vorhaben geht. Meyer-Heder sieht sich vor allem als Mann am Steuer. Als derjenige, der Leute zusammenbringt, um neue Lösungen zu erarbeiten. So hat er es jahrelang in seinem Unternehmen gemacht. Wieso nicht auch in einer ganzen Stadt?
„Wir müssen uns gemeinsam an einen Tisch setzen“, „wir müssen das neu denken“; typische Meyer-Heder Sätze, die auf jedes Thema passen. Egal ob Digitalisierung, Verkehr oder Bildung. Wenn er mal richtig konkret wird, dann unterlaufen ihm gelegentlich Fehler. Er verwechselt dann Orts- und Stadtteile. Fordert mehr Sicherheit auf Straßenbahnlinien, die nicht existieren. An diesem Abend fordert Meyer-Heder die Rückkehr zum dritten Arbeitsmarkt, aber mehr aus Versehen, wie sich auf spätere Nachfrage herausstellt. Später wird ein anderer Podiumsgast sagen, dass er den Eindruck gewonnen habe, Meyer-Heder habe wenig Ahnung von institutionellen Prozessen.
Zwei Tage später. Wieder haben Studenten eingeladen, diesmal der Studiengang der Rechtswissenschaft. Man trifft sich im Haus der Wissenschaften, einem Altbau in der Innenstadt. Gekommen sind Meyer-Heder und der regierende Bürgermeister Carsten Sieling. Der Mann der Fakten, gegen den Mann, der seinen Quereinstieg zum Markenzeichen gemacht hat. Der über Kritik an seiner Person sagt: „Ich bin eben kein Berufspolitiker. Ich lerne noch.“
Das Gespräch dreht sich um die typischen Themen: Bildung, Verkehr, Wohnraum. Sieling kennt alle laufenden und anstehenden Projekte, jedes Detail. Das mag nicht jeder. Der SPD-Mann Sieling ist laut einer Forsa-Umfrage einer der unbeliebtesten Ministerpräsidenten Deutschlands. Wird er nach seinen Hobby gefragt, sagt er: Lesen und Fahrradfahren. Das wirkt blass, da hilft auch keine Erfahrung, vor allem nicht gegen den netten Nachbarn, der zwar faktisch nicht ganz auf der Höhe ist, aber innovative Gedanken auf den Tisch legt. Dem der Charme des Neuen anhaftet.
Anfang Mai. In weniger als einem Monat ist Wahl. Sollte Meyer-Heder gewinnen, wäre dies das Ende von 73 Jahren SPD. Wenn nicht, stehen die Chancen gut für eine rot-rot-grüne Koalition. Meyer-Heder wird in den kommenden Wochen viel unterwegs sein. Auftakt des Straßenwahlkampfs ist eine Veranstaltung mit dem Titel: Angrillen mit Carsten Meyer-Heder.
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