piwik no script img

Kolumne PressschlagDie Risikoliebe besiegt alles

Kolumne
von Johannes Kopp

Wieder mal der FC Bayern? Oder doch der BVB? Eintracht Frankfurt und RB Leipzig sind die wahren Sieger dieser Bundesliga-Saison.

Gegen Mainz spielte RB Leipzig am Freitagabend nur 3:3 – da litt Trainer Ralf Rangnick Foto: dpa

S eriosität ist Ralf Rangnick in seinem Auftreten stets wichtig. Was der Trainer von RB Leipzig sagt und macht, hat stets Hand und Fuß. Insofern wäre es nicht verwunderlich, wenn der eine oder die andere seinem jüngsten Anlagetipp folgen würde. 100 Euro auf den Titelgewinn von RB Leipzig in der Bundesliga zu setzten, teilte Rangnick mit, halte er angesichts der Quote nicht für „völlig wahnsinnig“. 140.000 Euro würde man derzeit dafür ausgezahlt bekommen. Rangnick sagte, die Meisterschaft sei zwar relativ unwahrscheinlich, aber auch nicht völlig unmöglich.

Sein Dortmunder Kollege Lucien Favre würde momentan vermutlich nicht einmal einen Euro auf sein Team setzen. Voreilig gab er vergangenes Wochenende bereits die Kapitulation von Borussia bekannt. Was er in diesem Moment nicht einkalkuliert hatte, war der Umstand, dass der FC Bayern den Dortmundern in puncto Verzagtheit und Destabilität durchaus die Stirn bieten kann.

Beim Spiel gegen den 1. FC Nürnberg mussten sich die Münchner Profis mit einem Remis und ihre Fans mit einem dürftigen Auftritt begnügen. Um guten Fußball geht es im Duell zwischen Bayern und Dortmund in den letzten Wochen nur in besonderen Momenten – beim direkten Aufeinandertreffen etwa. Und international haben die beiden vermeintlichen Spitzenvertreter des deutschen Fußballs mit ihrer Durchschnittlichkeit ohnehin nichts gewinnen können.

Die wahren Gewinner dieser Bundesliga-Saison heißen dagegen RB Leipzig und Eintracht Frankfurt. Das hat viel mit einer Grundhaltung zu tun. Während die Bayern gerade mit ihrem veralteten Team sich darauf verlegt haben, das zu verteidigen, was sie sich in den letzten Jahren aufgebaut haben, und die Dortmunder, das zu verteidigen, was sie sich in der Vorrunde erspielt haben, orientiert man sich in Frankfurt und Leipzig an dem, was nicht „völlig unmöglich“ ist (siehe Rangnicks Anlagetipp).

Leipzig hat über die Spielzeit hinweg den ausgereiftesten Kollektivfußball in der Bundesliga entwickelt

Beide gehen dabei mit sehr unterschiedlichen Strategien vor. Die Eintracht schöpft ihre Kraft aus der auch maßgeblich von den Fans getragenen Euphorie in der Europa League, die selbst so schwere Kaliber wie den FC Chelsea ins Wanken bringt. Trotz des nicht gerade komfortablen Remis am Donnerstagabend in Frankfurt möchte man lieber sein Geld nicht darauf verwetten, dass diese Eintracht in jedem Fall nicht ins Finale einziehen wird. Zu dynamisch und willensstark ist das Team, das in dieser Saison den ersten deutschen Treffer gegen eine englische Mannschaft erzielte.

Leipzig dagegen glänzt in der Bundesliga mit seinem gefürchteten Pressing und Tempo in der Endphase vielleicht gerade auch deshalb, weil Ralf Rangnick die Europa League wenig wertschätzte. Bei internationalen Spielen setzte er auf die totale Rotation. Beim entscheidenden Kräftemessen scheint Leipzig derzeit über die meiste Energie zu verfügen und über die Spielzeit hinweg den ausgereiftesten Kollektivfußball in der Liga entwickelt zu haben.

Bemerkenswert: Die Passquote ist ligaweit die viertschlechteste. Ralf Rangnick geht auf volles Risiko und hat das Gegenpressing perfektioniert. Das Erbe, das Rangnick da seinem Nachfolger Julian Nagelsmann hinterlässt, könnte kaum größer sein. Der hat in dieser Saison mit seiner Risikoliebe in Hoffenheim zwar viel Spektakel geboten, aber auch viele Punkte verloren.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

taz-Sportredakteur
Jahrgang 1971, bis Ende März 2014 frei journalistisch tätig. Seither fest mit dem Leibesübungen-Ressort verbunden.
Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    'Wahre Sieger' sind offenbar jene, die verlieren.

    Legen wir die Poesie der 'Meister der Herzen' und ähnlichen Schmalspur-Schmus mal kurz zur Seite und lassen die nackten Ergebnisse dieser Woche auf uns wirken. Kloppos Liverpool ausgenommen, gilt da das Motto der Tränendrüse: "Wenn die Gondeln Trauer tragen". Für Ajax und die launische Diva vom Main.

    Ich gehe jetzt kurz den Eimer ausleeren.