Mobbing in Hellersdorf: Rassismus im Briefkasten
Eine junge Mutter wird aus ihrer Wohnung gedrängt. Sie erhielt rassistische Drohschreiben – und einen Räumungstitel.
Jennifer Aladefa* kann nicht mehr. „Bitte helft mir, eine Wohnung zu finden“, sagt sie, während sie dem jüngsten ihrer drei Kinder sein Fläschchen gibt. Sie wirkt erschöpft. Seit Monaten sucht die junge Mutter erfolglos nach einer neuen Bleibe. Mittlerweile ist sie bereit, in eine Obdachlosenunterkunft zu ziehen.
Die Sozialarbeiter*innen im Frauenzentrum Matilde in Hellersdorf arbeiten häufig mit Frauen in schwierigen Lebenssituationen. Aber dieser Fall stellt sie vor eine besondere Herausforderung. Denn seit Aladefa 2017 in ihre Hellersdorfer Wohnung zog, versuchen Nachbarn die junge Frau nigerianischer Herkunft aus dem Haus zu drängen. Dabei gehen sie systematisch vor und handeln aus offenbar rassistischen Motiven. Die Nachbarn beschwerten sich so häufig über angeblichen Lärm und Geruch, dass die Vermieterin von Aladefas Wohnung zunächst mit Abmahnungen, dann mit Kündigungen reagierte. Nun schickte sie ihr einen Räumungstitel.
Dabei wollte die Vermieterin, eine ältere Dame aus Sachsen, Aladefa und ihre Kinder eigentlich nicht vor die Tür setzen. Sie ist Eigentümerin der Wohnung, auch alle anderen Wohnungen im Haus gehören Einzeleigentümern. „Man hatte ein Herz“, sagt sie zur taz. Auch sie geht davon aus, dass die Nachbarn Aladefa schikanieren. Vor ihr habe eine vietnamesische Familie in der Wohnung gelebt – sie sei ebenfalls aus dem Haus gedrängt worden, habe aber rechtzeitig eine Wohnung gefunden.
Die Nachbarn sind gut untereinander vernetzt. Bereits im April 2018 erstellten sie Lärmprotokolle, nachdem Aladefa ihr drittes Kind zur Welt gebracht hatte. Lärmprotokolle werden auch vor Gericht eingesetzt, um Belastungen nachzuweisen. Über Monate hinweg dokumentierten die Nachbarn angebliche „Lärmbelästigung durch lautes Knallen der Türen“ oder „Geschreie weit über Zimmerlautstärke“. Wegen der Beschwerden hatte die Vermieterin Aladefa bereits mehrere Abmahnungen geschickt.
Der Druck stieg weiter
Im Mai 2018 kündigte sie ihr zum ersten Mal – in den nächsten Monaten folgten weitere Schreiben. Aladefa wandte sich im Sommer an das Frauenzentrum Matilde, um Hilfe zu bekommen.
Da die Vermieterin keinen Grund nannte und die Kündigung somit nicht rechtskräftig war, riet das Frauenzentrum Aladefa mit Hilfe einer Anwältin zunächst, nicht auszuziehen. Sie unterstützten sie bei der Wohnungssuche und schalteten die Fachstelle Fairmieten – Fairwohnen unter Trägerschaft des Türkischen Bunds in Berlin-Brandenburg (TBB) und Urban Plus ein, die Beratung und Begleitung bei Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt bietet. Fairmieten – Fairwohnen und das Frauenzentrum setzten sich mit der Vermieterin in Kontakt und vereinbarten mit ihr, die Kündigung vorerst nicht weiter zu verfolgen – zumindest bis Aladefa eine neue Wohnung gefunden hat.
Aber der Druck stieg weiter. Im Herbst 2018 reichten die Anwälte der Hausverwaltung eine Unterlassungsklage beim Amtsgericht Lichtenberg gegen die Vermieterin ein. Bei der Hausverwaltung handelt es sich um die WoBeGe, eine Tochter der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land. Sie vertritt die Eigentümergesellschaft des Hauses.
Der Vorwurf der Klage: Lärm- und Geruchsbelästigung aus Aladefas Wohnung. Zudem sollen sich regelmäßig mehr als zehn Personen dort aufhalten. „Die Vorwürfe sind erfunden“, sagt Aladefa. In der Wohnung lebe nur sie allein mit ihren Kindern – und die verursachten vertretbare Geräusche. Kinderlärm ist in der Regel nicht justiziabel.
Drohschreiben im Briefkasten
Viel eher scheint die Belästigung von den Nachbarn selbst zu kommen. Erst nach und nach erkannten die Mitarbeiter*innen von Fairmieten – Fairwohnen und dem Frauenzentrum Matilde, welchen Zumutungen Aladefa im Haus ausgesetzt ist. Regelmäßig stopften Nachbarn Müll in ihren Briefkasten oder klebten ihn zu. „Vor ihre Haustür stellten sie Duftkerzen, um auf den angeblichen Geruch aufmerksam zu machen“, sagt eine Mitarbeiterin des Frauenzentrums. Ein Aushang im Treppenhaus im April 2018 bezeichnet Aladefa persönlich als Verursacherin. Im November nahm die rassistische Kampagne bedrohliche Züge an.
Der taz liegen neun Nachrichten und Drohschreiben vor, die Aladefa im Zeitraum von November bis Januar in ihrem Briefkasten fand. Ob sie von den Nachbarn stammen, ist nicht nachzuweisen. Da die Täter aber Zugang zum Briefkasten hatten, liegt die Vermutung nahe. Teilweise handelt es sich um Zeitungsartikel, die negativ über Schwarze Menschen und Geflüchtete berichten. Andere sind offen rassistische Grafiken oder Schreiben, eines bezeichnet sie als „Parasit“ und „Hartz4-Schmarotzer“. Schließlich fand Aladefa einen Artikel in ihrem Briefkasten, der von einem ausgebrannten Kinderwagen in einem Treppenhaus in Gesundbrunnen berichtet.
„Das ist eine eindeutige Drohung“, sagt Remzi Uyguner von Fairmieten – Fairwohnen. Die Fachstelle ist bestürzt darüber, dass die Tochter einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft nichts gegen solches Verhalten unternommen hat. Zum Beispiel hätte man die betroffene Mieterin durch einen eindeutigen Aushang im Haus in Schutz nehmen können. Das Projekt wandte sich im Januar in einem zweiseitigen Brief an die WoBeGe und bat sie, ihre Schutzpflicht allen Mietern gegenüber wahrzunehmen.
Die Antwort fiel knapp aus: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz werde umgesetzt, die WoBeGe sei nur für Gemeinschaftseigentum zuständig. Man werde das Schreiben zum Anlass nehmen, um mit den Mietern ins Gespräch zu kommen. Auch der Gang zur Polizei blieb erfolglos. Eine Mitarbeiterin des Frauenzentrums fragte, ob eine Strafanzeige möglich sei. „Dort erklärte man uns, dass die Anzeige gegen Unbekannt laufen würde“, sagt sie. Und Aladefa, die nur ihre Ruhe wollte, entschied sich gegen das juristische Prozedere.
Bezirksamt ist involviert
Stattdessen setzte die Hausverwaltung ihre Forderungen gegen die Vermieterin durch. Zu der Unterlassungsklage fand im März eine Anhörung statt. Laut Amtsgericht Lichtenberg erkannte die Vermieterin die Forderungen an, ohne dass der Richter ein Urteil sprach. Sie und ihr Mann entschlossen sich, ohne rechtlichen Beistand aufzutreten – ein Fehler, findet Fairmieten – Fairwohnen. „Die Anhörung hätte womöglich ganz anders ausgehen können“, sagt eine Mitarbeiterin, die zur Unterstützung des Paars im Publikum saß. Tatsächlich seien die Rassismusvorwürfe vor Gericht gar nicht verhandelt worden, es sei nur um Lärm- und Geruchsbelästigung gegangen. Nun soll die Vermieterin 250.000 Euro zahlen, sollten die Nachbarn sich wieder beschweren. Um dem zu entgehen, reichte sie den Räumungstitel ein.
In den Fall ist nun auch das Bezirksamt involviert. Die Registerstelle von Marzahn-Hellersdorf, die rassistische Vorfälle im Bezirk verzeichnet, nahm Kontakt auf mit dem Flüchtlingskoordinator Francisco Cárdenas Ruiz. Gemeinsam initiierten sie einen Brief, den Bezirksbürgermeisterin Dagmar Pohle (Linke) im März an die WoBeGe schrieb. Aus Datenschutzgründen verweigert das Bezirksamt die Herausgabe des Briefes an die taz. Ein Sprecher der Registerstelle erklärt jedoch, dass Pohle im Brief die Hausverwaltung bat, nach einer Ersatzwohnung für Aladefa zu suchen.
Auf den Brief hat nun die Stadt und Land reagiert und einen Ansprechpartner in Hellersdorf für Aladefa mit Aussicht auf eine Wohnung angeboten. „Wir haben unsere Unterstützung zugesichert“, sagt die Pressesprecherin der Stadt und Land der taz. Der Matilde e. V. hat bereits den Kontakt zur WoBeGe aufgenommen und will das Angebot mit Aladefa gemeinsam wahrnehmen.
Es wird höchste Zeit: „Hier zu leben, fühlt sich an wie im Gefängnis“, sagt Aladefa. Die Nachbarn würden bei jeder Gelegenheit gegen die Wände hämmern, die Kinder seien verängstigt. Und sollte der Räumungstitel vor Gericht Erfolg haben, hätte die junge Familie nicht mal mehr ein Dach über dem Kopf.
* Name aus Schutzgründen von der Redaktion geändert
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