piwik no script img

Kolumne Aufgeschreckte CouchpotatoesSinnkrise beim Jetset?

Edith Kresta
Kolumne
von Edith Kresta

Der Boom bei Fernreisen gilt immer mehr als uncool und sinnlos. Das ist eine neue Herausforderung für die Tourismusbranche.

Landung auf den Philippinen. Foto: imago images/ Xinhun

I st es sinnvoll, für Klimaschutz zu demonstrieren und immer öfter, immer billiger zu fliegen? Vegan zu essen und wie ein Schlot zu rauchen? Für autofreie Zonen im eigen Viertel zu kämpfen und passionierter BMW-Fahrer zu sein? Auf Facebook hundert Freunde zu haben und trotzdem allein ins Kino zu gehen?

Sinnkrisen werden immer mehr, kommen immer früher: Quarterlife-, Midlife- oder Alterskrise – wir bekämpfen sie auch durch Reisen. Das Leben als letzte Gelegenheit. Die Fernreise als Antidepressivum. Sie verspricht Aufregung, intensives Erlebnis. Neues statt Langeweile. Doch der Stress dieser Glückssuche über den ganzen Globus kommt immer mehr in Verruf. Was finden wir in Angkor Wat oder in Venedig?

Das Bad unter anderen Fremden bei drückend heißem Klima, mittelmäßigem Essen und in ungemütlichen Hotels? Enttäuschung vorprogrammiert. Das Jetten um die Welt könnte bald aus Frust und Überdruss völlig uncool und nicht nur bei Klimaschützern verpönt sein.

Die Flugreise ist ökologisch so ziemlich das größte Desaster, das Einzelne anrichten können. Klimagasemissionen fallen an, mit ­verheerenden Folgewirkungen des Klima­wandels für Ökosysteme und Artenvielfalt. Fluglärm und Luftschadstoffe kommen oben drauf.

Zertifikate für Vielflieger

„Die Lust-Vielfliegerei muss eingedämmt werden“, fordert konsequent der Grünen-Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek. Sein Vorschlag: Jeder Bürger bekommt pro Jahr drei Hin- und Rückflüge in Form von Zertifikaten. Wer mehr fliegt, müsse sich von anderen Bürgern Zertifikate kaufen. Das ist zumindest ein Versuch, das Fliegen einzuschränken.

Wir werden uns von der Vielfliegerei verabschieden müssen, trotz Bequemlichkeit, Gewohnheit, Verdrängung. Jugendliche gehen für das Klima auf die Straße, wütende Leserbriefe erreichen die taz, wenn Fernreisen beschrieben werden – der trendige Globetrotter gilt schon als Globetrottel!

Jugendliche gehen für das Klima auf die Straße, wütende Leserbriefe erreichen die taz, wenn Fernreisen beschrieben werden

Reiseangebote zur Sinnsuche könnten dann die Leerstelle füllen, denn sie sind unabhängig vom Reiseziel. Das Kloster zu inneren Einkehr kann auch in der Eifel stehen. Ein Ashram im Schwarzwald. Neue Herausforderungen, neue Geschäftsfelder für die Branche: Inszenierten Sinntourismus, der den intimen Kontakt mit der Wirklichkeit verspricht.

Denn auch in der Tourismusindustrie ist längst die Erkenntnis angekommen, dass künstliche Welten kitschig, auf Dauer langweilig sind. Künstliche Welten werden heute möglichst mit „echtem“ Leben gefüllt: Flow. Zeit für Erotik. Zeit für Muße, für Gefühle. Neben Erlebnisparks mit Wasserrutschen werden vielleicht Schweige-Offline-Parks mit wieder in Mode gekommen Tantra-Kursen gebaut. Teuer und ökologisch einwandfrei.

Wem das nicht gefällt, der könnte einfach von zu Hause loswandern: als wiederentdeckte Existenzform des gelassenen Loslassens.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Edith Kresta
Redakteurin
Schwerpunkte: Reise und Interkulturelles. Alttazzlerin mit Gang durch die Institutionen als Nachrichtenredakteurin, Korrespondentin und Seitenverantwortliche. Politologin und Germanistin mit immer noch großer Lust am Reisen.
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!