: Der Anti-Lobbyist
Bas Eickhout, Spitzenkandidat der Grünen für Europa, erzählt auf dem taz lab, wie man den Autobossen im Kampf für Klima und Gesundheit das Fürchten lehrt
Aus Berlin Ulrich Schulte
Publikumsmagnet
Nicht jeder konnte beim Talk von Moderator Peter Unfried mit Grünen-Chef Robert Habeck einen Platz ergattern. Schon eine halbe Stunde vor Veranstaltungsbeginn stand das Publikum für den Co-Bundesvorsitzenden an. Er selbst kam zunächst nicht rein – bis man ihm eine Gasse bis zur Bühne bahnte.
Klima zum Abendessen
Beim Thema Klimawandel setzt Habeck auf die Bevölkerung. Das Thema sei längst nicht mehr eine Zahl, sondern bekäme „Gesichter, die auch beim Abendessen sitzen“. Die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels sei eine Forderung, die radikalere Maßnahmen als die bisherigen erfordere. „Darauf sind wir alle nicht wirklich vorbereitet“, gibt Habeck zu.
Bündnisfähig bleiben
Habeck will vom Ziel her denken, dann an die Umsetzung gehen. „Nicht verzagen“, insistiert er und spricht von der Bündnisfähigkeit seiner Partei, zum Beispiel mit Fridays for Future. (taz)
Bas Eickhout ist der Typ, vor dem sich die deutschen Autobosse fürchten. Jene wissen ganz genau, dass die Gesetzgebung für Umwelt- und Klimaschutz, also das, was sie hassen, in Brüssel gemacht wird, nicht in Berlin.
Eickhout, 42, ein schmaler, jungenhaft wirkender Politiker, kennt die Tricks von Daimler, VW und Co aus dem Effeff. Der Niederländer ist der Spitzenkandidat der europäischen Grünen für die Europawahl – und einer der kundigsten Klimaschutzpolitiker in Europa. Eickhout sitzt seit Jahren im Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit des EU-Parlaments. In den 1990ern, als Dürresommer gefühlt noch weit weg waren, galt er als Aschenputtelausschuss. Das ist lange her.
Wortgefecht zwischen Moderator Peter Unfried und Juso-Chef Kevin Kühnert
Klimaschutz gilt heute als die entscheidende Frage des 21. Jahrhunderts, die zu verhandeln ist – und Eickhout sitzt mit am Tisch. Er fühlt sich wohl dort. Das wurde auf dem taz lab mehr als deutlich, zu dem ihn Martin Unfried eingeladen hatte. Unfried, an der Universität Maastricht in Sachen Klimaschutz tätig, kennt Eickhout seit Jahren. Jener erzählt am Samstag in der gut gefüllten taz-Kantine ruhig und selbstbewusst davon, wie er für engagierte CO2-Standards für Lkws kämpft, als Verhandlungsführer des Parlaments. Bis 2025 müssen die Hersteller den CO2-Ausstoß der Trucks um 15 Prozent verringern. Das, sagt Eickhout, könnten die Konzerne noch mit effizienteren Dieselmotoren schaffen.
Ungleichheit wird gemacht
Zustimmung erhält Katja Kipping, Bundesvorsitzende der Linkspartei, für ihre deutliche Aussage, europäische Länder fabrizierten durch die kapitalistische Produktionsweise permanent globale Ungleichheiten und Fluchtursachen. Sie plädiert für eine Energie- und Verkehrswende, einen Rüstungsexport-Stopp und eine auf Konfliktvermeidung ausgerichtete Außenpolitik.
Rettung tut not
taz-Panoramasaal, kein Platz mehr frei: Auf dem Podium wird darüber diskutiert, wie Seenotrettung Grenzen sichtbar macht.
Diskurs verschoben
Jana Ciernioch (SOS Mediterranée) meint, der Diskurs habe sich verändert. Hätten sich 2017 vor allem Rechtsextreme über die Rettung von Migrant*innen beklagt, sei nun der gesellschaftliche Konsens zur Seenothilfe weggebrochen.
Hexenjagd statt Humanität
Kipping spricht, mit Blick auf 2017, von ein paar Monaten gelebter Menschlichkeit, die in eine Hexenjagd auf Flüchtende und ihre Helfer*innen mündete. (taz)
Entscheidend sei deshalb der zweite Schritt: ein bindendes Ziel, bis 2030 die Emissionen um 30 Prozent zu verringern. Eickhout schaut freundlich in den Saal. Mit dem Diesel, sagt er, gehe das nicht mehr. Nun müssten die Unternehmen neue Technologien entwickeln, die auf Nullemissions-Lkws hinausliefen. „Das war für einige der Produzenten ein großer Schock.“
Harald Welzer, Publizist
Folgt man Eickhout, hat die EU ein heilsames Domino in Gang gesetzt: Sie zwingt die Konzerne, ihre Milliarden in Forschung zu investieren. Eickhout lächelt. Man kann sich in diesem Moment gut vorstellen, wie er mit AutomanagerInnen verhandelt. Freundlich, zugewandt, aber mit betonhartem Zahlenwissen, gegen das schwer anzukommen ist.
Bas Eickhout ist keiner, der Politik vor allem als Story verkauft. Verglichen mit den Selbstdarstellungsportalen anderer wirkt seine Homepage geradezu rührend altmodisch. Moderator Unfried erzählt, dass er in Porträts manchmal als „Technokrat“ bezeichnet werde. Und fragt: Vielleicht liegt es daran, dass da einer mal die technischen Details beherrscht? Eickhout jedenfalls empfindet offensichtlich Leidenschaft für sein Herzensthema. Seit den 1990er Jahren engagiert er sich bei GroenLinks, den niederländischen Grünen. Seit 2009 sitzt er im EU-Parlament.
Eickhout könnte, ebenso wie seine Co-Spitzenkandidatin Ska Keller, theoretisch sogar Präsident der EU-Kommission werden. Das EU-Parlament hat sich auf das Spitzenkandidatenprinzip verständigt. Nur wer Spitzenkandidat oder -in war, kann Kommissionspräsident werden. Vorher wurde der Topjob von den RegierungschefInnen ausgekungelt.
Eickhout ist nicht dumm, er weiß, dass ein Grüner keine Chance auf den Posten hat. Aber ein Wörtchen mitreden, das will er schon. Die EVP, die europäischen Christdemokraten, haben den CSUler Manfred Weber ins Rennen geschickt. Weber wird es schwer haben. Für eine Große Koalition wird es wohl dieses Mal nicht reichen. Es werde eine dritte oder vielleicht sogar eine vierte Partei für eine Mehrheit gebraucht, sagt Eickhout. „Wer immer Präsident der Kommission sein will, der muss uns mit einem Programm überzeugen.“
Die Grünen können also Bedingungen für ihre Stimmen stellen. Und sie können vielleicht sogar für eine kleine Revolution sorgen. Es werde wahrscheinlich ein „Er“, sagt Eickhout. Kurze Pause. „Aber es kann auch eine Sie sein.“ Das darf man als Anspielung auf die Dänin Margrethe Vestager verstehen. Die toughe und kluge Wettbewerbskommissarin wird als mögliche Kommissionspräsidentin gehandelt.
Die Theorie geht so: Wenn Weber scheitert, ist alles offen. Die Liberale Vestager wäre für die EVP-Fraktion eher wählbar als der Sozialdemokrat Frans Timmermans. Die Liberalen wären sowieso dabei, die Grünen ließen sich auch begeistern. Zum ersten Mal eine Frau an der Kommissionsspitze, das wäre schon was. Eickhout wäre wieder mal der gewesen, der eine kleine Delle ins Universum geschlagen hätte.
Er zieht in der taz-Kantine minutenlang sehr amüsant über die deutsche Autoindustrie her, die – Achtung, Ironie – wirklich „fun“ gewesen sei. In Brüssel, sagt er, gelte Deutschland als umweltfreundliches und fortschrittliches Land. „Aber irgendwie, sobald es um Autos oder Lkw geht, wenn es auf die Straße geht, passiert etwas in Deutschland.“
Wissendes Gelächter im Saal. Jahrelang habe die deutsche Autoindustrie die klimaschützenden Gesetze hintertrieben und geschwächt, wo sie konnte. Vor gut zwei Wochen dann die Wende: VW-Chef Herbert Diess kündigte an, in Zukunft radikal auf Elektromobilität zu setzen. Eickhout folgert: Nun, da die Gesetze existierten, habe man in den Gremien des Konzern wahrscheinlich erkannt, „dass sie bei der Wende besser mitmachen, statt sie zu bekämpfen“. Politik macht einen Unterschied.
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