piwik no script img

Die Nischen verschwinden

Bei der Sanierung von Fassaden gehen Jahr für Jahr Hunderte Nistplätze von Spatzen und anderen Gebäudebrütern verloren. Denn nicht alle Hausbesitzer schaffen den vom Gesetz geforderten Ersatz

Noch sind Spatzen in Berlin überall zu sehen, hier am Brunnen auf dem Alexanderplatz, das dürfte sich aber in den nächsten Jahren ändern Foto: Katja Hoffmann/laif

Von Jana Tashina Wörrle

Berlin braucht Wohnungen. Und wenn in einer Stadt immer weniger Platz für Neubauten ist, geht man eben statt in die Breite in die Höhe. Leer stehende Dachböden haben Potenzial. Weil man aber gleichzeitig etwas für den Klimaschutz tun will, werden Dächer nicht nur ausgebaut, sondern gedämmt. Fassaden auch. Jede noch so kleine Ritze wird dicht gemacht. Dann geht keine Wärme mehr flöten – aber dann zwitschert vielleicht auch bald kein Spatz mehr.

Der Spatz liebt Berlin – noch. Es ist der Vogel, der hier mit Abstand am meisten zu finden ist. Doch er braucht die Dächer, die alten, ungedämmten, und die Ritzen in den Fassaden. Er ist ein sogenannter Gebäudebrüter. Genau die haben es aber immer schwerer, wenn immer mehr Dächer saniert und zu Wohnraum umgebaut werden. Strenge Vorgaben für eine Dämmung von Dächern und Fassaden macht zudem die bundesweit geltende Energieeinsparverordnung. Und der Spatz – wo soll er hin?

Nest gefunden? Baustopp!

Das Naturschutzgesetz ist in diesem Fall eindeutig: Wer einen Vogel aus seinem Nest rausschmeißt, also während der Brutzeit stört, macht sich strafbar. Aber auch wer ein zwischenzeitlich leeres Nest – etwa im Winter – einfach entfernt oder so verbaut, dass die Vögel nicht zurückkönnen, begeht eine Ordnungswidrigkeit, wenn er keinen Ersatz beschafft. Das gilt für jeden privaten und auch öffentlichen Bauherrn – und auch für Bauunternehmen. Treffen sie mitten in der Bauzeit auf brütende Vögel, müssen sie den Bau stoppen.

Das Gesetz lässt wenig Spielraum und doch wird es kaum angewendet – geschweige denn kontrolliert. „Die Naturschutzbehörden sind auf Hinweise der Bürger angewiesen“, sagt die Wildtierexpertin Katrin Koch vom NABU Berlin und fügt hinzu, dass sich Bauherrn aber auch auf Antrag von den Pflichten des Natur- und Artenschutzes befreien lassen können. Voraussetzung wiederum: Sie schaffen Ersatz.

„Wir reden hier nicht von einem Nistkasten-Naturschutz“, fügt Koch beim Stichwort „Ersatz“ jedoch sofort hinzu. Zwar sind selbst gebaute Sperlingskästen – offiziell heißt der Spatz schließlich Haussperling – für das Balkongeländer oder die Hauswand nicht grundsätzlich schlecht. Einen Ersatz für die leerstehenden Dachböden und Mauerritzen sind sie aber nicht.

Stattdessen braucht man Nisthilfen, die schon bei der Sanierung mit bedacht werden. „Das sind Bauelemente, die in der Fassade eingelassen sind“, erklärt die NABU-Mitarbeiterin. Quasi künstliche Ritzen und Höhlen im Gebäude. Diese sieht man kaum, aber die Vögel nehmen sie gerne an. Denn Spatzen, Mauersegler, Dohlen und auch Fledermäuse sind schon seit dem Mittelalter, als in großem Stil Bäume gefällt wurden, in dunkle Höhlen unter Dächern und die Ritzen in den Mauern umgezogen – und heute darauf angewiesen.

Gebäudesanierung versus Naturschutz: Was scheinbar im Widerspruch steht, muss kein Widerspruch sein, wenn Bauherrn, Architekten und auch Handwerksbetriebe frühzeitig an die Alternativen denken und sie einplanen. „Wir setzen uns deshalb für eine Änderung der Bauordnung ein, so dass die Integration der Nisthilfen beim Bau Pflicht ist und auch eine Voraussetzung, um Förderungen zu bekommen“, sagt Katrin Koch. Dann müssten in jedes Gebäude, das saniert wird, von vornherein Nisthilfen – also fertige Bauelemente – integriert und nicht erst angebracht werden, wenn Nester zerstört werden.

Nach Kochs Vorstellung könnte zum Beispiel ein Prozent der gesamten Bausumme „zwingend für solche Maßnahmen“ vorgeschrieben werden. Sie nennt dies „Ökologisierung der Bauordnung“. Eine weitere Lösung wäre ein Baustoppp in der Brutzeit je nach Vogelart zwischen März und August. Die damit verbundene Verzögerung beim Baufortschritt ist allerdings undenkbar für viele Bauherrn.

Ersatzmaßnahmen

So setzen sowohl öffentliche als auch private Wohnungsbaugesellschaften lieber auf die Ersatzmaßnahmen. Auf Anfrage teilt die Degewo beispielsweise mit, dass sich der zunehmende Stellenwert von Natur- und Artenschutz auf die Gebäudesanierungen, insbesondere auf die Sanierung der Fassadenhüllen, auswirke. Bereits vorhandene Nistkästen würden dabei 1:1 wieder angebaut und dort, wo Vogelnester und Ruhestätten für Fledermäuse entdeckt würden und es keine Nisthilfen gibt, würden Ornithologen einbezogen, die neuen Nistersatz installieren. Allerdings gilt bei der Degewo: „Die Ersatznistkästen und Fledermaushöhlen werden nach Abschluss der Sanierung an unseren Gebäuden angebracht“, so das Unternehmen. Also nicht in die Fassaden integriert.

Auch die Gewobag berichtet von einer Zusammenarbeit mit Ornithologen und entsprechenden Ersatzmaßnahmen, wenn Nester entdeckt würden. In den nächsten zehn Jahren wird sie nach eigenen Angaben rund 150 Gebäude umfangreich sanieren und an rund 30 weiteren Gebäuden Fassaden und Dächer überarbeiten.

Die private Wohnungsbaugesellschaft Berolina hat ihren Gebäudebestand nach eigenen Angaben bereits in den vergangenen Jahren komplett saniert. „In mehreren Fällen haben wir zum Zeitpunkt der Fassadensanierung Nisthilfen angebracht“, berichtet der Vorstandsvorsitzende Frank Schrecker. Er weist zudem auf die genau 1.250 Bäume rund um die Berolina-Wohnungen hin – laut Schrecker Ausweichbereiche zum Nisten.

Koch widerspricht: Ein Ausgleich für fehlende Nistmöglichkeiten für Gebäudebrüter könne nicht durch neu gepflanzte Bäume entstehen. Die Ausführungsvorschriften des Naturschutzgesetzes würden eindeutig besagen, dass vorhandene Quartiere an Gebäuden, wenn sie nicht erhalten werden können, 1:1 ersetzt werden müssen. Bei Turmfalken und Fledermäusen liegt das Verhältnis sogar bei 1:2. Wenn es weniger Dächer und Mauerritzen für die Vögel gibt, sind also nur die wirklich baulich integrierten Nisthilfen ein Ausgleich.

Aber auch wenn die großen Wohnungsanbieter in Berlin diese Vogelschutzmaßnahmen umsetzen, geht der Sanierung meist eine Zerstörung der Nester voraus. Allein im Jahr 2017 wurden bei der Oberen Naturschutzbehörde Berlins 316 Anträge auf die Befreiung von den Vorgaben des gesetzlichen Vogelschutzes eingereicht, die rund 3.400 Niststätten betrafen. Laut Senatsbauverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz werden die verloren gehenden Lebensstätten durch Nisthilfen in mindestens gleicher Anzahl ersetzt.

Gebäudebrüter in Berlin

Arten Zu den Vögeln, die ihre Nester in oder an Gebäuden bauen und in Berlin häufig vorkommen, gehören Haussperling (Spatz), Mauersegler, Dohle, Turmfalke, Schwalbe und verschiedene Arten von Fledermäusen.

Wiederkehrer Lebt der Spatz ganzjährig in Berlin, so kommen die Rauchschwalben gegen Ende März, die Mehlschwalben ab Mitte April und die Mauersegler erst Ende April/Anfang Mai wieder aus wärmeren Regionen zurück.

Nestbau Meist suchen die Tiere über Jahre die gleichen Nistplätze auf. Außerdem sind sie Koloniebrüter, das heißt: Wird ein Gebäude so saniert, dass keine Ritze und kein Spalt mehr frei ist, gehen gleich 20 Nester verloren. (jtw)

Rettung Die „Berliner Spatzenretter“ bieten Workshops für Grundschulen. Viele Schulen werden in den kommenden Jahren saniert – die dort lebenden Spatzen aber sollen mithilfe der Kinder bleiben können. (sum)

www.berliner-spatzenretter.de

Hohe Dunkelziffer

Das Thema Artenschutz an Gebäuden sei seit Jahrzehnten ein besonderes Anliegen der Umweltverwaltung, erklärt Sprecher Derk Ehlert. Er weist zudem auf das neue Förderprogramm „1000 grüne Dächer“ hin, das gerade erarbeitet wird und noch in diesem Frühjahr verfügbar sein soll. Mit der Dachbegrünung auf Bestandsgebäuden in besonders stark verdichteten Stadträumen gehe indirekt auch die Förderung der Lebensräume der Gebäudebrüter einher, so Ehlert.

Dass die Berliner Politik schon einiges tut für den Artenschutz hat laut NABU auch dazu geführt, dass im Vergleich zu anderen großen Städten hier noch vergleichsweise viele Gebäudebrüter leben. Dennoch sei die Dunkelziffer der Sanierer hoch, die ohne vorherige Befreiung Niststätten zerstören. Bauherrn hätten nämlich keine generelle Verpflichtung, bei Baumaßnahmen an Gebäuden einen Gutachter hinzu zu ziehen, der erkennt, ob und wenn ja, welche Vögel dort nisten.

Nachbar frisst Mücken

„Alles, was wir für die wilden Tiere in der Stadt tun können, tut auch uns gut. Wenn es in Parks und auf Balkonen blüht, finden Insekten Nahrung und diese wiederum sind Futter für die Vögel. Blühende Wiesen statt Betonwüsten tun aber auch uns gut“, sagt Koch. Hausbesitzer haben zudem weniger Probleme mit anderen Mitbewohnern, wenn sie viele der fliegenden Untermieter auf ihrem Grundstück haben: Sie sind äußerst nützliche Kleininsektenfresser. So kann eine Fledermaus über Nacht bis zu 2.000 Mücken vertilgen, Mauersegler fressen pro Tag bis zu 10.000 Mücken oder Blattläuse.

Die Bedeutung des Insektenschutzes – vor allem der Honigbiene – hat in den letzten Jahren große mediale Aufmerksamkeit gefunden. Das wünscht sich der NABU auch für die Vögel. Noch fühlen sich in Berlin im Vergleich zu anderen Großstädten viele Gebäudebrüter wohl, aber wenn weiter so viele Grünflächen verschwinden und wenn ersatzlos gedämmt wird, wird sich das ändern. „Deshalb wollen wir das jetzt in die Köpfe der Berliner bringen und nicht erst aufschreien, wenn es zu spät ist“, warnt Katrin Koch.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen