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Die WahrheitSchutzheilige des Brexits

Ralf Sotscheck
Kolumne
von Ralf Sotscheck

Solange Knallchargen wie der Tory-Abgeordnete Daniel Hannan uns mit abstrusen Brexit-Ratschlägen beglücken, bleibt der EU-Austritt wenigstens unterhaltsam.

D ie britische Regierung muss den Brexit stoppen. Das EU-Parlament verlöre nämlich an Unterhaltungswert, wenn Knalltüten wie der Tory-Euopaabgeordnete Daniel Hannan ihren Unfug nur noch auf lokaler englischer Ebene zum Besten gäben.

Hannan ist Brexit-Befürworter der ersten Stunde, er war schon Anfang der neunziger Jahre für den Austritt aus der EU. Seine Vision verkündete er im „Daily Torygraph“, wie das Blatt Daily Telegraph eigentlich heißen müsste. „Im Jahr 2020 blüht das Vereinigte Königreich außerhalb der EU auf. Britannien ist die erfolgreichste wissensbasierte Wirtschaft in der gesamten Region. Unsere Atlantik-Häfen, vor allem Liverpool, erleben ein zweites goldenes Zeitalter.“ Dafür müsste er aber Irland versenken, denn das liegt zwischen Liverpool und dem Atlantik.

Hannan kennt sich mit Irland aus. Die konservative Partei Fianna Fáil habe zwischen 1932 und 2008 jede Wahl in Irland gewonnen, behauptete er. Tatsächlich hat in dem Zeitraum die genauso konservative Fine Gael sechs Mal die Wahlen gewonnen. Von solchen Fakten ließ sich Hannon aber nicht beirren. Mit einer Herablassung, wie sie vielen englischen Politikern zu eigen ist, erklärte er seinen Kritikern: „Ich habe mein Examen in Oxford mit einer doppelten Bestnote in Geschichte der Neuzeit bestanden. Und dort habe ich gelernt, dass Historiker notwendigerweise unterschiedliche Interpretationen derselben Ereignisse haben. Bitte akzeptiert, dass eure Interpretation nicht die einzig mögliche ist.“

In Irland akzeptierte man das gerne. Auf Twitter hagelte es historische Interpretationen à la Hannan, die halbe irische Nation beteiligte sich daran. Einer schrieb, dass Michael Collins, der militärische Anführer des irischen Unabhängigkeitskriegs gegen England, 1922 seinen eigenen Tod vorgetäuscht habe, um die Versicherung zu kassieren. Danach sei er in den USA untergetaucht und später mit Apollo 11 zum Mond geflogen. Sein Bruder, der Musiker Phil Collins, habe ihm mit den Lied „In the Air Tonight“ ein Denkmal gesetzt.

Ein anderer erklärte, dass Irlands Schutzpatron St. Patrick, dessen Ehrentag vor acht Tagen von Iren in der ganzen Welt gefeiert wurde, in Wirklichkeit der Schutzheilige des Brexits sei: Er stammte aus Wales, das für den Ausstieg aus der EU gestimmt hat, und vertrieb später alle Schlangen aus Irland, weil er die EU-Vorschriften über Artenvielfalt verachtete.

Hannan hat bereits seinen nächsten Artikel für den Daily Torygraph verfasst. Der taz liegen Auszüge vor. Es geht darin um einen Mann, der nach dem Brexit aus einem Buchmachergeschäft rennt und schreit: „Stellt euch vor, England hat gerade die Fußballweltmeisterschaft, das Grand National und die Cricket-Trophäe gewonnen. Und das Beste: Boris Johnson hatte in aller eurer Namen Wetten darauf abgeschlossen. Ihr seid alle Millionäre!“ Und Schweine können fliegen.

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Ralf Sotscheck
Korrespondent Irland/GB
Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net
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