Leukämie-Häufung in Rotenburg: Klingbeil will Erdgas-Bohrstopp

Wegen der Häufung von Krebsfällen im niedersächsischen Rotenburg fordert der SPD-Politiker Klingbeil, Projekte zur Gasförderung auszusetzen.

Silhouette einer Gasförderungsanlage vor Abendhimmel.

Sieht schön aus, macht aber vielen Sorgen: Gasbohranlage Foto: dpa

Hamburg taz | Einen vorläufigen Stopp für die zusätzliche Erdgasförderung im Raum Bad Fallingbostel hat SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil gefordert. „Wir brauchen ein Moratorium, bis die auffälligen Krebsfälle in räumlicher Nähe zur Erdgasförderung im Nachbarlandkreis Rotenburg aufgeklärt sind“, findet Klingbeil, der die Region als Wahlkreisabgeordneter im Bundestag vertritt.

Klingbeil bezieht sich auf Erkenntnisse aus dem Epidemiologischen Krebsregister Niedersachsens. Demnach sind in der Samtgemeinde Bothel bei Rotenburg in den Jahren 2003 bis 2012 fast doppelt so viele Männer an Blutkrebs erkrankt wie statistisch zu erwarten gewesen wäre. In dem Gebiet gibt es sehr viele Gasförderanlagen, sodass die Vermutung nahe liegt, hier könnte es einen Zusammenhang geben.

„Vor einem Jahr ist öffentlich geworden, dass der kanadische Erdgaskonzern Vermilion im Heidekreis Probebohrungen für eine mögliche Erdgasförderung durchführen möchte“, begründet Klingbeil seinen Vorstoß. Diese Planungen konkretisierten sich gerade. Die SPD im Heidekreis, der Klingbeil vorsitzt, habe sich daher in einer Resolution am 15. Februar für das Moratorium ausgesprochen.

Als die Häufung der Blutkrebsfälle, ein sogenanntes Krebscluster, bekannt wurde, startete der Landkreis zunächst eine Umfrage, um den Ursachen auf die Spur zu kommen. Tausende Bürger beteiligten sich. Aus der Studie, die im ­April 2017 vorgelegt wurde, ergaben sich zwar Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen dem Wohnort in der Nähe von Förderanlagen und der Krebshäufigkeit, daraus ließ sich unterm Strich allerdings nicht ableiten, dass Menschen, die in der Nähe von Bohrschlammgruben oder Gasförderanlagen leben, verstärkt damit rechnen müssen, Blutkrebs zu bekommen.

Kein genereller Zusammenhang

Das Gleiche gilt für eine größer angelegte Studie des niedersächsischen Gesundheitsministeriums, für die in 15 Landkreisen im Erdöl- und Erdgasfördergebiet Niedersachsens 4.000 Erkrankte mit 16.000 zufällig gewählten Personen verglichen wurden. Aus dieser sogenannten Abstandsstudie ergab sich kein genereller Zusammenhang zwischen dem Wohnen in der Nähe von Bohrschlammgruben sowie Erdöl- oder Erdgasförderanlagen und Krebserkrankungen.

Carola Reimann, Gesundheits­ministerin

„Viele Menschen sind besorgt und das kann ich gut verstehen“

Mit dem speziellen Blick auf die Erdgasförderung seien jedoch statistisch auffällige Zusammenhänge – „Hinweise“ – entdeckt worden. Hatten in Bothel die Männer überdurchschnittlich häufig Blutkrebs, waren es in der Abstandsstudie allerdings die Frauen. Letztlich, so das Fazit der Studie, könne aber alles Mögliche die Ergebnisse erklären: vom Zufall über unbekannte weitere Risikofaktoren bis eben zur Gasförderung.

„Viele Menschen, die in der Nähe von Förderanlagen wohnen, sind besorgt und das kann ich gut verstehen“, kommentierte Gesundheitsministerin Carola Reimann (SPD). Die aufgeworfenen Fragen machten weitere Untersuchungen notwendig. „Wir wollen ausschließen, dass es auslösende Faktoren gibt, die bislang noch nicht beseitigt wurden“, sagte sie.

An einer weiteren Studie wird derzeit noch gearbeitet. Dabei lässt das niedersächsische Gesundheitsministerium untersuchen, wie stark Menschen, die in der Nähe von Förderanlagen wohnen, tatsächlich belastet sind. Dazu wird bei ihnen und einer Vergleichsgruppe erfasst, wie viel zum Beispiel von dem Krebs erregenden Benzol in ihrer Lebensumwelt auftaucht. Erste Ergebnisse dieser Humanbiomonitoring-Studie sollen im laufenden Jahr vorgestellt werden.

Kein Grund aufzugeben

Dass auch der Zufall für die Krebshäufung verantwortlich sein könnte, ist für Bothels Bürgermeister Dirk Eberle kein Grund, mit der Ursachenforschung aufzuhören. „Es ist bewiesen, dass wir eine klare Abweichung von der Normalität haben“, sagt er mit Blick auf die Krebsfälle. Und die zweite Besonderheit der Region seien die vielen Bohrstellen.

Die Nachricht von dem Krebscluster sei fatal für die Gemeinde. Neubürger, die sich im Landkreis ansiedeln wollten, würden zweimal überlegen, ob sie in Bothel eine Immobilie erwerben. „Es wäre schade, wenn es bei diesem Zustand bliebe“, sagt Eberle. „Wir sind noch nicht an dem Punkt angekommen, wo man sagen könnte: Wir haben genug gesucht, wir finden’s nicht.“

Krebscluster haben Bürgern, Forschern und Behörden auch schon andernorts Rätsel aufgegeben. Am bekanntesten ist das Cluster in der Elbmarsch bei den Geesthachter Atomanlagen. Dort erkrankten zwischen 1991 und 2006 dreimal so viele Kinder an Leukämie, wie „normal“ gewesen wäre. Dass die Atomanlagen die Ursache dafür gewesen wären, ließ sich nicht nachweisen.

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