heute in hamburg: „Viele Anwälte raten von einer Anzeige ab“
Diskussion „Rechtswidrige Polizeiarbeit und ihre Aufarbeitung“: 19 Uhr, Bucerius Law School, Jungiusstraße 6, Heinz Nixdorf-Hörsaal, Eintritt frei
Interview Marinus Reuter
taz: Frau Abdul-Rahman, Sie haben vor vier Wochen die Befragungen für eine Studie zu unverhältnismäßiger Polizeigewalt abgeschlossen. Wie sind Sie vorgegangen?
Laila Abdul-Rahman: Wir meinen, normale Bürger*innen können durchaus entscheiden, ob Dinge verhältnismäßig sind oder nicht. Deswegen ist unser Ansatz die erste quantitative Studie zu unverhältnismäßiger Polizeigewalt aus Opferperspektive in Deutschland.
Bei Körperverletzung im Amt kommt es zu zehn Mal weniger Verurteilungen als bei anderen Straftaten. Warum?
Die wenigsten Fälle werden überhaupt zur Anzeige gebracht. Gleichzeitig ist die große Diskrepanz zwischen den Anklagequoten auffällig. Das war auch ein ausschlaggebender Punkt für unsere Studie.
Woran könnte das liegen?
Laila Abdul-Rahman, 28, forscht an der Ruhr Universität Bochum zu „Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamte“.
Wenn Körperverletzung im Amt überhaupt zur Anzeige gebracht wird, werden die allermeisten Fälle eingestellt. Das zeigt sich in unseren Daten. Andererseits geben uns die Befragten auch Gründe an, weshalb sie von einer Anzeige absehen. Sie sagen dann zum Beispiel, sie haben gar keine Beschwerdemacht, ihnen wird nicht geglaubt. Sogar viele Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte raten davon ab, eine Anzeige zu erstatten. Und Betroffene haben in fast allen Fällen nach einer Anzeige mit einem gegenläufigen Verfahren wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu rechnen.
Die Studie untersucht auch Unterschiede im Verhalten verschiedener Personengruppen. Was zeichnet sich da ab?
Wir können zum jetzigen Zeitpunkt noch keine endgültigen Ergebnisse herausgeben. Aber die Betroffenen müssen zur Polizei gehen, um Anzeige zu erstatten. Je höher der Organisierungsgrad, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit für eine Anzeige. Zum Beispiel im Fußball sind die Menschen ganz gut organisiert untereinander, zum Beispiel in Fanprojekten. Es gibt sogenannte Fananwälte, die sich bestimmter Fälle annehmen. Im Jahr 2017 haben zwei Fußballfans vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erfolgreich geklagt. Schwieriger wird es für Menschen, die nicht so gut organisiert sind, die keine finanziellen Mittel haben oder für bestimmte marginalisierte Gruppen wie Geflüchtete, drogennutzende Personen und wohnungslose Personen. Und das sind natürlich auch die Personengruppen, die für uns schwer erreichbar sind.
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