Ausstellung „Heimat und Exil“: Der Weltenwanderer
Das Osnabrücker Erich-Maria-Remarque-Friedenszentrum komplettiert seine Ausstellungsserie über den Aktivisten und Schriftsteller Armin T. Wegner.
Armin T. Wegner hat ihn niedergeschrieben, 1974. Der Dichter, der ein Weltenwanderer war, ein Sehnsuchtsreisender, hungrig nach neuen Begegnungen, Landschaften, Kulturen. Der Wirklichkeitssucher, der 1915, als deutscher Sanitätsoffizier, in der mesopotamischen Wüste Augenzeuge des türkischen Völkermords an den Armeniern wird, ihn öffentlich macht – seine Anklage findet kein Gehör. Der Menschenrechtskämpfer und Pazifist, der sich 1933 in einem Protestbrief an Hitler gegen die Judenverfolgung einsetzt – die Gestapo verhaftet und foltert ihn, Monate verbringt er in Gefängnissen und KZs.
Armin T. Wegner – nach dem Dunkel der NS-Zeit vergessen, hochbetagt stirbt er fern des Landes, in dessen Sprache er bis zuletzt schreibt – hat uns zum Thema „Heimat und Exil“ viel zu sagen. Düsteres und Melancholisches. Hartes und Augenöffnendes. Und wer sich die gleichnamige Wanderausstellung im Osnabrücker Erich-Maria-Remarque-Friedenszentrum ansieht, lernt viel dazu, auch für Gegenwart und Zukunft. Jetzt in keinem mehr: Auch dieser todtraurige Satz fällt in ihr.
„Heimat und Exil“ ist nicht die erste Wegner-Schau, die das Friedenszentrum zeigt. 2015 hat es „Widersetzt Euch viel und gehorcht wenig“ nach Osnabrück geholt, über den Aktivisten Wegner, 2016 „Fotograf eines Völkermords“ – Wegners erschütternde Armenien-Dokumentation.
Parallelen zu Remarque
Thomas Schneider, der das Zentrum leitet, betont: „Er war schon immer eine wichtige Persönlichkeit für uns.“ Verständlich, denn die Parallelen zwischen Wegner und Remarque sind augenfällig: beide Weltbürger, beide Exilanten, beide Anti-Kriegs-Mahner. Schneiders Dauerpräsentation zu Remarques Leben und Werk, nur wenige Schritte entfernt, lässt sich also als Ergänzung zu „Heimat und Exil“ betrachten, und wer mag, dem steht das Remarque-Archiv offen, die „Forschungsstelle Krieg und Literatur“. Stadt und Universität Osnabrück sind gemeinsam die Betreiber.
„Durch die inhaltliche Klammer zu Remarque“, sagt Judith Schönwiesner von der Armin-T.-Wegner-Gesellschaft in Wuppertal, die Kuratorin von „Heimat und Exil“, „ist das einfach ein perfekter Ort für uns.“ Sie setzt nicht auf Spektakuläreffekte. Sie setzt auf ruhiges Sicheinlassen. Auf die Bereitschaft zu lesen – viel zu lesen. Einige wenige, meist biografische Fotos. Ein paar Textfaksimiles. Ein paar Kunstfaksimiles, wie Lea Grundigs Kaltnadelradierung „Flüstern und Lauschen“ – das legendäre Blatt 7 ihrer Serie „Unterm Hakenkreuz“ von 1936. Betont sparsam ist das alles, sehr zurückhaltend.
Schönwiesners blau-weiße Infowürfel bieten allerdings auch Hörstationen an. Das Gedicht „Einwanderer“ der Zionistin Lola Landau etwa, bis 1939 war sie mit Wegner verheiratet: „Wir tragen von fremden Ländern die Spuren / ins Antlitz geschnitten mit schmerzhaftem Schnitt …“ QR-Codes verlinken zu Zusatzquellen – auch zu einem Youtube-Video, das den palästinensischen Pianisten Aeham Ahmad zeigt, der 2015 in den Straßenruinen des belagerten Jarmuk Klavier spielt, des Flüchtlingsstadtteils in Damaskus, in dem er geboren ist. Stark ist das, würdig.
Bis 24. März, Osnabrück, Erich-Maria-Remarque-Friedenszentrum
Die Schau beginnt mit Wegners Biografie. Und sie endet mit einem Aufruf zur Partizipation: mit Block und Stift, und mit einer leeren Fläche, die auf des Besuchers eigene Gedanken zum Thema Heimat wartet.
Dazwischen ein Bogenschlag über Bert Brecht und Mascha Kaléko bis zu den Regimekritikern der DDR und dem chinesischen Autor Liao Yiwu, der 1989 über das Massaker auf dem Pekinger Platz des Himmlischen Friedens schrieb: „Im Namen des Vaterlands massakrieren wir die Verfassung. / Im Namen der Verfassung massakrieren wir die Gerechtigkeit.“
Wer sich auf all das einlässt, geht sehr nachdenklich nach Hause. Gut, manchmal lässt die technische Qualität zu wünschen übrig, etwa beim sehr unscharfen Video „Was soll ich hier?“, dem legendären Soloabend von Ulrike Schloemer als Else Lasker-Schüler, 1991 im Schauspielhaus Bochum („Ich suche allerlande eine Stadt / die einen Engel vor der Pforte hat.“). Aber das tut der Wirkung keinen Abbruch.
Exemplarische Geschichte
„Wir wollen greifbar machen, nahebringen“, umreißt Judith Schönwiesner ihr „Denkangebot“, das Schicksale zeigt, nicht abstrakte Zahlen. Wegner ist dafür nur der Einstieg. „Seine Geschichte steht exemplarisch. Ihre Perspektivlinien weisen weit hinaus bis auf das, was derzeit im Mittelmeer geschieht.“
Die Crux des Ganzen ist die Location, baulich. Ein Foyer zwischen Büros, Fenstern, Türen, Treppen. Gut, wenigstens gibt es für „Heimat und Exil“ ein paar Punktstrahler – Remarque muss sich mit trüben Neonröhren begnügen. Aber der Fußboden ist wirklich ein Problem: Nachkriegs-Schwarz-Weiß, brachial großmustrig, in Steinsplitteroptik. Schönwiesners Informationswürfel fallen darauf fast nicht auf.
Erinnerung erneuert
Aber das Ende dieses erbarmungswürdigen Zustands ist zumindest abzusehen. Denn das Zentrum wird baulich saniert. Wichtiger noch: Es wird eine moderne Dauerausstellung bekommen, die die jetzige, reichlich angestaubte, ersetzt. 220.000 Euro wird sie kosten. Eine Erneuerungsphase, die sich auf die gesamte Erinnerungskultur der Stadt erstreckt und schon lange überfällig ist. „Jahrzehnte gab es hier einen katastrophalen Stillstand“, sagt Thomas Schneider. „Wegen der desolaten Finanzsituation der Kommune.“
Für die Villa Schlikker, einst Osnabrücks NSDAP-Zentrale, steht ein neues Ausstellungskonzept an. 1,2 Millionen Euro fließen in die Gedenkstätte Augustaschacht, einst Arbeitserziehungslager der örtlichen Gestapo, und die Gedenkstätte Gestapokeller im Osnabrücker Schloss – 2020 eröffnen hier zwei hoch aufwendige neue Dauerausstellungen.
2023 bricht dann auch Schneiders Zentrum auf in seine neue Zeit. „Eines der wichtigsten Elemente ist die Klimatisierung. Solange die fehlt, können wir Remarques Originale nicht zeigen. Und Originale bauen ja eine intensive Aura auf …“
Eine Aura? Auch von Wegner geht sie aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!