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Urteil des EGMRLinker Aktivist ist „keine Gefahr“

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt Großbritannien. Dort wurden Daten eines 94-jährigen Friedensaktivisten gespeichert.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg Foto: dpa

Der 94-jährige linke Aktivist John Catt hat einen Erfolg beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) errungen. Die britische Polizei habe zu Unrecht gespeichert, an welchen Demonstrationen er teilnahm, hieß es am Donnerstag. Er gehöre nicht in eine Datei für „inländische Extremisten“.

John Catt aus Brighton ist ein Urgestein der britischen Friedensbewegung. Seit 1948 engagierte er sich bei vielen Gelegenheiten, in jüngerer Zeit vor allem gegen das US-Rüstungsunternehmen EDO und dessen Fabrik in Brighton. Die Aktivisten der Gruppe Smash EDO (Zerschlagt EDO) werfen der Firma unter anderem vor, dass sie Waffenkomponenten an Israel lieferte, die im Gaza-Konflikt eingesetzt wurden.

Vor acht Jahren fragte Catt unter Berufung auf das britische Datenschutzgesetz, ob die Polizei Daten über ihn gespeichert hat. Die Antwort fiel umfangreich aus. In der Datei „domestic extremists“ (inländische Extremisten) fanden sich Einträge zu 66 Demonstrationen und Kundgebungen, an denen Catt teilgenommen hatte. Meist waren nur Name und Adresse Catts registriert, teilweise wurde aber auch vermerkt, dass er auf einem Klappstuhl saß und zeichnete.

Catt klagte auf Löschung aller Daten über seine politischen Aktivitäten. Er habe das Recht, nicht überwacht zu werden. Beim Court of Appeal hatte der Brite zunächst Erfolg, doch der Supreme Court, das höchste Gericht Großbritannien, gab im Jahr 2015 der Polizei recht. Es sei verhältnismäßig, Daten über John Catt zu speichern, denn die Polizei brauche ein vielfältiges Bild.

Catt verlangte von Großbritannien keinen Schadensersatz, es gehe ihm nur um die Feststellung, dass die Polizei seine Rechte verletzte.

Der EGMR gab nun aber im wesentlichen der Menschenrechtsbeschwerde des Aktivisten statt. Zwar habe es gute Gründe gegeben, die Informationen zu sammeln. Denn die Proteste gegen EDO seien teilweise gewalttätig gewesen und damit „potenziell kriminell“. In der fortdauernden Speicherung der Daten sahen die Straßburger Richter aber eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention. Dies sei ein unverhältnismäßiger Eingriff in Catts Recht auf Privatleben.

Anwaltskosten in Höhe von 27.000 Euro

Die Speicherung seiner Demo-Teilnahmen in einer Datei für inländische Extremisten sei unverhältnismäßig, so der EGMR. John Catt habe sich noch nie strafbar gemacht, er sei „keine Gefahr für irgendjemanden“, nicht zuletzt aufgrund seines hohen Alters. Die Daten über politische Überzeugungen seien auch besonders sensibel und daher besonders schützenswert.

Für die britische Politik hat das Urteil grundsätzliche Bedeutung, denn die EGMR-Richter kritisieren auch, dass die Extremisten-Datei generell zu wenig Sicherungen aufweise. So vermissen die Richter vor allem eine zeitliche Obergrenze für die Speicherung.

Catt verlangte von Großbritannien keinen Schadensersatz, es gehe ihm nur um die Feststellung, dass die Polizei seine Rechte verletzte. Der EGMR sprach ihm daher nur den Ersatz seiner Anwaltskosten in Höhe von 27.000 Euro zu.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Großbritannien kann noch die 17-köpfige Große Kammer des EGMR anrufen.

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4 Kommentare

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  • Heinrich jetzt Böll'erts - hätte seine helle Freude gehabt. Newahr.



    Normal. Na & Max Frisch erst.

    “Meist waren nur Name und Adresse Catts registriert, teilweise wurde aber auch vermerkt, dass er auf einem Klappstuhl saß und zeichnete.…“

    Heinrich Böll - Berichte zur Gesinnungslage der Nation ist eine satirische Kurzgeschichte von Heinrich Böll, die 1975 in Köln erschien. Der Autor hatte am 21. September desselben Jahres im NDR3auszugsweise daraus gelesen.

    Die Spitzel Rotgimpel, Ackergaul und Rotmolch I schreiben sieben Berichte über "Gesinnungsobservationen" an die "Geheimdienstbeauftragten" Rotkopfwürger, Stallmeister und Majordomus. Stallmeister macht eine Aktennotiz. Die drei Beauftragen ihrerseits schreiben darauf schließlich in ihrem Amtsdeutsch einen "Vertraulichen Bericht" an ihre Vorgesetzten, die im "Vertrauensmännergremium" sitzen. Die drei Spitzel bedienen sich manchmal einer verzwickten Abkürzungssprache.



    Jeder der drei Spitzel berichtet – über jeweils die beiden anderen und über die Menschen an seinem Einsatzort – eine schwer überschaubare Menge von Nichtigkeiten. Ihre Aktivitäten sind lächerlich bis verabscheuenswürdig. Während der "Aktion Lehrerpult" z. B. werden Tischkästen nach kommunistischem Schriftgut durchstöbert.



    Die Geheimdienstbeauftragten schätzen in ihrem Abschlussbericht das "Gesinnungsermittlungsverfahren", in dem bei über siebenhundert Geistesschaffenden und höheren Beamten die Stimmung erkundet und die Neigungen – z. B. zu Radikalität – erfasst wurde, als vollen Erfolg ein. So beantragen sie mit gutem Gewissen Mittel für den nächsten "Gesinnungserfassungseinsatz". Dann soll der Gesichtsausdruck von Menschen bei Demonstrationen einer der Schwerpunkte sein. Es steht die "Gesinnungsphysiognomik" auf der Tagesordnung.

    Eine Inspirationsquelle Bölls für diese Geschichte, insbesondere für die Namengebung, war das Grimmsche Wörterbuch (Deutsches Wörterbuch)

    de.wikipedia.org/w...ngslage_der_Nation

    ff - aber gern

    • @Lowandorder:

      ff & Däh! Na & er - darf nicht fehlen wa!



      Mr. Fichen.



      Normal.

      Max Fisch - Ignoranz als Staatsschutz?



      www.faz.net/aktuel...urde-14158976.html



      &



      de.wikipedia.org/w...ls_Staatsschutz%3F



      “Ignoranz als Staatsschutz? ist ein unvollendetes Buchmanuskript des Schweizer Schriftstellers Max Frisch aus dem Jahr 1990. Frisch arbeitete darin die so genannte Fichenaffäre auf, in deren Rahmen Schweizer Behörden rund 900.000 Fichen zu zahlreichen in- und ausländischen Personen anlegten, um deren Überwachung zu dokumentieren. Auch Frisch wurde von 1948 an 42 Jahre lang vom Schweizer Staat überwacht. Als er 1990 Einsicht in seine Fiche erhielt, kommentierte er diese unter dem Titel Ignoranz als Staatsschutz? Das Projekt wurde wegen der fortgeschrittenen Krankheit des Schriftstellers nicht zu Ende geführt. Erst 2015 erschienen Frischs Aufzeichnungen zusammen mit einem Faksimile der Fiche sowie ausführlichen Kommentaren der Herausgeber David Gugerli und Hannes Mangold im Suhrkamp Verlag.



      Bereits bei den persönlichen Daten auf dem Deckblatt der Fiche weist Frisch zahlreiche Ungenauigkeiten und Fehler nach. So scheint dem Staatsschutz sein zweiter Vorname ebenso unbekannt wie seine Kinder. Adressen und Straßennamen sind verkürzt oder falsch angegeben, viele langjährige Wohnorte werden nicht aufgeführt. Frisch kommentiert, dass es anscheinend eine ausreichende Qualifikation für einen Beamten im Staatsschutz sei, Adressen falsch abzuschreiben. Der erste Eintrag stammt aus dem August 1948, als Frisch einen Friedenskongress in Polen besuchte. Der Name des Informanten ist in der Fiche geschwärzt, was im Bespitzelten die Frage aufwirft, ob die Information vom Schweizer Botschafter oder seinem Begleiter François Bondy stammen. Auch spätere Einträge sind zum Teil vollständig geschwärzt.

      ff gern & rest

      • @Lowandorder:

        ff

        Frisch kommentiert dies mit der Bemerkung, der unkenntlich gemachte Inhalt stimme so sicher wie jedes Staatsgeheimnis.

        Die leserlichen Einträge sind hingegen oft banal und geben nicht preis, was der Staatsschutz an den Informationen bemerkenswert fand. An der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1976 scheint möglicherweise bereits das Wort „Frieden“ verdächtig. Immer wieder verraten die Überwacher ihre vollkommene Kenntnislosigkeit der Werke des Schriftstellers. So dient ihnen ein Beitrag in der Gratis-Zeitung Silva Revue als Beleg für Aussagen, die jedermann in Frischs Publikationen hätte nachlesen können. Der letzte Eintrag stammt aus dem Januar 1990, als ein DDR-Botschafter den Schweizer Schriftsteller kontaktierte. Der Zeitpunkt des Eintrags beweist Frisch, dass die Fichen auch nach ihrem Bekanntwerden und öffentlichen Versprechungen zu ihrer Einstellung unbeirrt weitergeführt wurden.

        Enttäuscht von den zahlreichen Lücken in seiner Fiche stellt Frisch am Ende eine lange Liste von Ereignissen aus seinem Leben auf, die nicht in der Fiche vermerkt sind. In einem abschließenden Kommentar hält er fest, dass keiner der Einträge in seiner Fiche irgendeine verfassungsfeindliche Handlung dokumentiere. Es gehe bei der Überwachung offensichtlich nicht um eine Verfolgung von Straftätern, sondern um die Observation aller Personen, deren Äußerungen von der herrschenden Meinung, insbesondere jener der Freisinnig-Demokratischen Partei, abweichen. Dies reiche bereits aus, um als Staatsfeind und Landesverräter angesehen zu werden. Walter Gut, der Fichen-Delegierte, habe eine Herkulesaufgabe übernommen. Doch sei er anscheinend in erster Linie mit dem Schwärzen der Akten und einer daraus resultierenden Verzögerung ihrer Einsichtnahme beschäftigt.

        ff - sorry - a weng - so schön -

        • @Lowandorder:

          ff - geschafft - so schön: Däh!

          ”…Nur ein offener Umgang mit den Fichen könne die Schweizerische Bundesanwaltschaft vor dem Ruf bewahren „als ein Feme-Institut, das strotzt vor Ignoranz, vor Borniertheit über vier Jahrzehnte, vor Provinzialismus und Impertinenz“

          Wer bitte - wollte in allen drei Fällen^!^ Dieser geistigen Höhenflüge Uschiser Rohrkrepierer vander Lie-ingscher Ausmaße widersprechen^¿^ - wa!

          kurz - Sehnse - Nobody - Niemand*!* Newahr. Normal & Liggers - endlich -

          Ende des Vorstehenden