Gastkommentar Friedensbewegung: Weg von der Sicherheitslogik
Die Friedensbewegung ist nicht zu zahm. Innenpolitisch hat sie großen Einfluss, Deutschland ist ein toleranteres Land geworden.
E s ist wieder so weit: Die Kirschbäume blühen, der Frühling ist da – und schon stehen auch die alljährlichen Ostermärsche an. Zeit, sich mal wieder mit der Lage der „Friedensbewegung“ zu befassen. Die meisten Kommentare dazu sind allerdings wenig schmeichelhaft (so etwa im Artikel „Die Friedensbewegung hat sich verirrt“ in der taz vom 25. 3. 2019): zu klein, zu alt, zu zerstritten, zu unprofessionell, zu naiv sei sie, die Friedensbewegung, die Welt versinke in Krieg, und die Zahl der Ostermarschierenden schrumpft. So wird jedes Jahr zu Ostern der Niedergang der Friedensbewegung heraufbeschworen.
Wer oder was ist eigentlich „die Friedensbewegung“? Ein Verein mit Mitgliedern, einer Geschäftsstelle und vielen Angestellten? Sicher nicht. Zu groß ist die Zahl der friedensbewegten Organisationen, zu unterschiedlich ihre Strukturen, Ziele und Arbeitsweisen. Und die allermeisten „Friedensbewegten“ sind wohl in gar keinen Organisationen eingebunden, sondern setzen sich ganz privat für Frieden ein. Carl Friedrich von Weizsäcker sagte 1967: „Friedfertig ist, wer Frieden um sich entstehen lassen kann. Das ist eine Kraft, eine der größten Kräfte des Menschen.“
Die Friedensbewegung auf die Teilnehmenden der Ostermärsche zu beschränken, wird also dem Einfluss Frieden schaffender Kräfte in unserer Gesellschaft nicht gerecht. All diejenigen, die im Alltag Integrationsarbeit leisten, sich für Sicherheit, Toleranz, Gesundheit, Bildung und Gerechtigkeit einsetzen oder durch ihr Handeln Vorbilder sind, tragen dazu bei, den gesellschaftlichen Frieden zu erhalten und auszubauen. Sie lassen Frieden entstehen – konkret und greifbar.
Dasselbe gilt für diejenigen, die sich gegen deutsche Rüstungsexporte engagieren, etwa in Kampagnen wie „Aktion Aufschrei“, oder für jene, die den Abzug der Atombomben aus Büchel fordern und sich für eine völkerrechtliche Ächtung von Atomwaffen einsetzen. Friedensschaffer sind auch die Friedensdienste, die in Krisenregionen tätig sind, dort gemeinsam mit Betroffenen die Wurzeln von Konflikten aufarbeiten, Menschenrechte schützen, Versöhnungsprojekte organisieren und helfen, Konflikte zu befrieden. Ebenso wie viele der Menschen, die eine neue Entspannungspolitik gegenüber Russland einfordern, die gegen deutsche Kriegseinsätze auf die Straße gehen oder sich dem wachsenden Einfluss der Bundeswehr in Schulen und Universitäten widersetzen.
geboren 1980, ist Kinderarzt und Vorsitzender der ärztlichen Friedensorganisation IPPNW. Er ist Mitbegründer des MediNetzes Düsseldorf, einer Anlaufstelle für Menschen ohne Papiere mit gesundheitlichen Problemen. Seit 2017 leitet er die Kindernotaufnahme der Berliner Charité.
Das amorphe Wesen der Friedensbewegung macht es so schwer, pauschal über sie zu urteilen. Man sollte sie nicht daran messen, wie viele an Demonstrationen teilnehmen, sondern daran, wie diese vielen unterschiedlichen Menschen und Organisationen es schaffen, Politik, Gesellschaft und öffentlichen Diskurs zu beeinflussen und zu verändern.
Es kann nicht die Aufgabe der deutschen Friedensbewegung sein, Einfluss auf andere Länder zu nehmen. Es geht ihr vielmehr darum, vor der eigenen Haustür zu kehren – Adressat ihrer Forderungen ist daher immer die deutsche Regierung.
Auf der Habenseite können die Friedensbewegten verbuchen, dass sich der gesellschaftliche Diskurs in den 20 Jahren seit dem Kosovokrieg deutlich von deutschen Kriegseinsätzen distanziert hat. Nach mehr als 17 Jahren „Krieg gegen den Terror“ finden sich hierzulande keine Mehrheiten mehr für Krieg. Im Gegenteil: Eine große Mehrheit fordert den Abzug aus Afghanistan und Syrien, möchte Rüstungsexporte in Krisenregionen verbieten und ist für eine Bereitschaft zum Gespräch mit Russland. Dieser Wandel in der öffentlichen Meinung ist vor allem ein Erfolg der Friedensorganisationen.
Deren Kampagnen stellen zudem immer wieder wenig beachtete Themen ins Rampenlicht, verweisen auf bessere Alternativen und fordern die Entscheidungsträger zum Handeln auf. Exemplarisch sei hier die Kampagne „Macht Frieden – Zivile Lösungen für Syrien“ zu erwähnen, die konkrete Forderungen an die Bundesregierung erarbeitet.
Der Einfluss auf die deutsche Außenpolitik bleibt dabei leider begrenzt. Zwar wurden Waffenexporte nach Saudi-Arabien kurzfristig eingestellt und auch am Irak- und Libyenkrieg beteiligte sich die Bundeswehr nicht direkt. Doch die Kriegseinsätze in Syrien und Afghanistan werden fortgesetzt, und während der Militäretat Jahr für Jahr steigt, wird in zivile Konfliktbearbeitung nicht nennenswert investiert.
Zugleich sollte man aber auf keinen Fall übersehen, wie groß der Einfluss der Friedensbewegten innenpolitisch ist. Harz IV, Finanzkrise und AfD zum Trotz ist Deutschland in den vergangenen zwanzig Jahren ein offeneres, toleranteres und friedlicheres Land geworden. Mehr als 85 Prozent der Deutschen haben gegen die AfD gestimmt und sind nicht auf deren Versuch hereingefallen, auf dem Rücken gesellschaftlicher Minderheiten populistische Politik zu betreiben und sozial Benachteiligte und Geflüchtete gegeneinander auszuspielen. Nicht „Pegida“, sondern „Unteilbar“ war das Motto im vergangenen Jahr. Friedensbewegte leisten hier enorm wichtige Arbeit.
Nur eine Gesellschaft, die im Frieden mit sich selbst lebt, kann auch nach außen eine Friedenslogik vertreten, die die eigene Rolle an Konflikten kritisch reflektiert. Nur sie kann auf kooperative Problemlösungen und Gewaltprävention setzen und Menschen- und Völkerrecht über die eigenen Interessen stellen. Gesellschaften, die unter Friedlosigkeit leiden, vertreten auch nach außen eine Sicherheitslogik, die von Feindbildern, Abschreckung, Eskalation und der Durchsetzung eigener Interessen geprägt ist.
Damit wir in Deutschland künftig in den Kategorien der Friedenslogik denken und handeln, braucht es weiterhin viele friedensbewegte Menschen, die in ihrem Umfeld und nach ihren Möglichkeiten Frieden schaffen – und das nicht nur zu Ostern.
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