Ausstellungsempfehlung für Berlin: Heute wie vor neun Jahrtausenden
In Rossella Biscotti filmte die Ausgrabungen der ältesten Stadt der Welt in der heutigen Türkei. Die taz sprach mit der Künstlerin.
In Çatalhöyük, im heutigen Anatolien, stand vor mehr als 9.000 Jahren eines der ältesten urbanen Zentren der Welt. Eine egalitäre, matrilineare Gesellschaft lebte dort in wabenförmig angelegten Bauten zusammen. Seit 1993 wird die Siedlung von einer Forschungsgruppe um den Sozialanthropologen Ian Hodder erforscht.
Rossella Biscotti verbrachte von 2014 bis 2016 einige Monate inmitten der Ausgrabungen, filmte diese wie auch das Zusammenleben der Forscher*innen. Einer Collage gleicht die Fünf-Kanal-Videoinstallation, die so entstand. Die Bildschirme nehmen die Erzählung im Wechsel auf, sodass man sich hin- und herlaufend immer tiefer hineinarbeitet.
Hinein in die Schichten der neolithischen Gesellschaft, in der sich vermittelt durch das archäologische Team die Gegenwart spiegelt. Erst recht, als mit dem Putschversuch im Sommer 2016 die aktuelle Politik eindringt: Biscotti nimmt daraufhin die bürokratische Abwicklung der Arbeiten auf. Die letzten Bilder zeigen eine verlassene Landschaft, verlassen wie vor Jahrtausenden.
Einblick 757: Rossella Biscotti, Künstlerin
taz: Welche Ausstellung in Berlin hat dich zuletzt an- oder auch aufgeregt? Und warum?
Rossella Biscotti: Wenige Tage nach meiner Ankunft in Berlin fand die Eröffnung des Festivals MaerzMusik in Kollaboration mit Savvy Contemporary statt. Ich kannte Julius Eastman schon, hatte aber vorher nie die Chance gehabt, eine seiner Kompositionen zu hören. Es war beeindruckend.
Reto Pulfer, "Der hausende Zustand (Reticulum Schwarzkümmelmarkt)" bei Blake & Vargas. Bis 28. 2., Mo.–Fr. 11–18 Uhr, Reichenbergerstr. 72
Savvys Programm mit Lectures, Performances, Konzerten und der Ausstellung „We have deliver ourself from the tonal“ nahm die Arbeit des afroamerikanischen Komponisten als Ausgangspunkt, um die Verlagerung von Minimal Music in Richtung Atonalität, Polytonalität und Dissonanz zu untersuchen.
Mittlerweile bin ich eine regelmäßige Besucherin der Ausstellungen und des Programms von Savvy geworden und ich freue mich schon auf die nächste Ausgabe von MaerzMusik.
Welches Konzert oder welchen Klub in Berlin kannst du empfehlen?
Ich habe einige Klubs besucht, kann aber keinen speziell empfehlen. Normalerweise entscheide ich nach Programm. Und ich mag es, kleinere Räume und obskure Klubs zufällig zu entdecken, wenn ich durch die Stadt laufe.
Rossella Biscotti (1978, Italien), lebt und arbeitet in Rotterdam und Brüssel. Zurzeit ist sie Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD. Biscotti nahm an großen internationalen Ausstellungen teil, darunter die 55. Venedig Biennale, die 13. Istanbul Biennale (2013), die DOCUMENTA 13 (2012) und die Manifesta 9 (2012). Einzelausstellungen u. a. in der V-A-C-Stiftung / GULAG Historisches Landesmuseum in Moskau (2016–2017), im Wiels in Brüssel, Sculpture Center in New York (2014), in der Secession Wien und bei E-Flux in New York (2013); Gruppenausstellungen u. a. im IMMA in Dublin (2015), ICA London (2014) und MAXXI, Rom (2010–11). Aktuell läuft in der daadgalerie ihre Ausstellung „The City“.
Welche Zeitschrift/welches Magazin und welches Buch begleitet dich zurzeit durch den Alltag?
Gerade lese ich „Otared“ von Mohammad Rabie, einen Roman, den mir ein Freund gegeben hat, auf meinem Kindle „The Golden Notebook“ von Doris Lessing und in meinem Atelier „Chroma“ von Derek Jarman. Meine Lieblingslektüre aus dem vergangenen Jahr ist definitiv die Xenogenesis-Trilogy von Octavia E. Butler.
Was ist dein nächstes Projekt?
Ich arbeite an einem Projekt über die Repräsentation und Stilisierung von Pflanzen in der Textilgeschichte, kombiniert mit einem sozialen und ökonomischen Blick auf die ehemaligen niederländischen Kolonien und den ausbeuterischen Markt für Pflanzen und Gemüse.
Welcher Gegenstand/welches Ereignis des Alltags macht dir am meisten Freude?
Mein Kindle!
Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer donnerstags in der Printausgabe der taz.
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