Ausstellungsempfehlung für Berlin: Wenn sie zum Gebet ruft
„Ecologies of Darkness“ bei Savvy Contemporary macht Platz für eine diverse, sich verändernde Welt. Die taz sprach mit einem der 15 KünstlerInnen.
„Dann müsste man die Bedingungen der westlichen Welt neu definieren.“ – Man kann sich James Baldwins Zerrissenheit zwischen innerer Aufforderung und Zweifel vorstellen, als er, der schwule Afroamerikaner und literarische Dokumentarist der Rassentrennung in den USA , in einem Gespräch mit Audre Lourde zu dieser Feststellung kam. Ohne Zweifel jedoch erwiderte Lourde: „Und wir beide müssen es tun.“
Dieses Gespräch von 1984, aus dem Passagen im Begleittext zur aktuellen Ausstellung bei Savvy Contemporary abgedruckt sind, kündigt Großes an: den Rückbau gesellschaftlicher Gegebenheiten, das politische und emotionale Platzmachen in einer diversen, sich verändernden Welt. Das ist die visionäre Sphäre, in der „Ecologies of Darkness“ 15 Künstlerinnen zusammenbringt. Die Ausstellung ist poetisch, spekulativ und berührt trotzdem die Realität.
Ana Vaz etwa schwankt in ihrer Videoinstallation zwischen Dokumentarischem und Fiktion, Markues (s. u.) spannt Fallschirme auf, unter denen sich kurzweilige Gemeinschaften zusammenfinden. Festgefahrene Bilder ordnet Mandy El-Sayegh in ihren Vitrinen neu: Plastiken, die wie Innereien aussehen, funktionslose Überbleibsel von Industrieprodukten und Fotografien vermengt sie zu einer sinnfreien Assemblage, aus der wieder neuer Sinn entsteht.
Im Hintergrund ertönt im Loop ein weiches Allahu Akbar. Bahia Shehab ließ den islamischen Gebetsruf von einer Mezzosopranistin aus Kairo interpretieren, nachdem dies 1.400 Jahre lang nur Männer taten.
"Ecologies of Darkness" bei Savvy Contemporary. Bis 26. 1., tgl. 14–19 Uhr, Plantagenstr. 31
Einblick 756: Markues (Künstler_, Autor_)
taz: Welche Ausstellung in Berlin hat dich zuletzt an- oder auch aufgeregt? Und warum?
Markues: Die historische Installation „Wonderland“ von Julia Scher, die gerade bei Esther Schipper zu sehen ist, wird zur richtigen Zeit erneut gezeigt. Heute sind Überwachung und Autorität verschärfter, zugleich erscheinen die empathischen, cyberpunkigen Wege, so wie Julia Scher das angeht, beinahe verspielt. Und ich bin gespannt auf Henrike Naumanns Ausstellung „Ostalgie“ bei KOW, wo sie die Erinnerungskultur an die DDR mit Möbeln in neosteinzeitlicher Anmutung einem forschen Read unterziehen wird. Sie fragt sich, wie eine imaginierte Vergangenheit attraktiver werden konnte als das Versprechen einer besseren Zukunft.
Welches Konzert oder welchen Klub in Berlin kannst du empfehlen?
Markues arbeitet als bildender Künstler_ und Autor_ in Berlin. Die Kunst von Markues schafft implizit politische Räume, in denen die Grundlagen einer feministischen und diversen Gemeinschaft erfahrbar werden können. Derzeit ist die Arbeit „Pressure On Boys“ in der Ausstellung „Ecologies of Darkness“ bei SAVVY Contemporary zu sehen (s. o.). Teil der Installation bei Savvy sind auch zehn literarische Lesungen, während derer die Zuhörer_innen ihre Vorstellungen von einer Boyhood sondieren können. Im Jahr 2016 kuratierte Markues „Father Figures Are Hard to Find“ für die neue Gesellschaft für bildende Kunst.
Zuletzt war ich bei Sun Worship und Yellow Eyes in der Zukunft am Ostkreuz. Als Nächstes gehe ich zu Fatima Al Quadiri und Deena Abdelwahed im Rahmen des CTM ins SchwuZ. Und zu Nicki Minaj.
Welche Zeitschrift/welches Magazin und welches Buch begleitet dich zurzeit durch den Alltag?
Im Moment alle Bücher, die in den Lesungen bei Savvy Contemporary vorkommen. Zudem freut es mich riesig, dass eine Neuauflage von Ronald M. Schernikaus Legende bald im Verbrecher Verlag erscheint.
Was ist dein nächstes Projekt?
Ich gestalte gemeinsam mit Niki Trauthwein vom Lili-Elbe-Archiv eine Ausstellung über die seit zehn Jahren geschlossene Transvestitenbar Chez Nous für das Schwule Museum.
Welcher Gegenstand/welches Ereignis des Alltags macht dir am meisten Freude?
Das Auftragen eines geliebten Parfums kann jeden vermurksten Morgen in einen guten Tag verwandeln.
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