Team-Manager über Handball-WM: „Der Trainer ist lockerer geworden“
Oliver Roggisch sieht vor der Heim-WM „perfekte Voraussetzungen“. Das deutsche Herrenteam habe aus vergangenen Fehlern gelernt.
taz: Herr Roggisch, wenn die Stichworte Handball und Weltmeisterschaft fallen, laufen jedem deutschen Fan wohlige Schauer über den Rücken, weil Erinnerungen an das Wintermärchen 2007 wachgerufen werden. Geht es Ihnen ähnlich?
Oliver Roggisch: Es ist doch schön, dass sich die Fans daran erinnern, was wir damals in diesem Land ausgelöst haben. Aber für die neue Generation ist das nicht so erheblich, die Jungs haben ja schon alle ihre eigene Geschichte geschrieben. Die sind 2016 in Polen Europameister geworden und haben danach in Rio eine Olympiamedaille geholt. Von daher sollte man das mit dem Wintermärchen nicht so sehr thematisieren. Ich lebe in der Gegenwart, ich möchte mit der Nationalmannschaft im Hier und Jetzt Erfolg haben.
Wie vor zwölf Jahren ist Berlin auch dieses Mal der Ausgangspunkt. Sehen Sie Parallelen?
Wir haben damals im Eröffnungsspiel gegen Brasilien gespielt, gegen die wir jetzt wieder in der Vorrunde antreten. Da sind die Parallelen natürlich unverkennbar. Aber der Handball hat sich seitdem enorm entwickelt, das Spiel ist noch schneller geworden. Wie immer bei großen Turnieren geht es darum, gut zu starten, um sich von der ersten Sekunde an das nötige Selbstvertrauen zu holen.
Welchen Eindruck macht das DHB-Team auf Sie während der Vorbereitung?
Einen sehr guten. Man merkt jetzt, dass die Anspannung steigt. Das Kribbeln ist da. Wir haben alles getan, um dieses Team in die richtige Spur zu bringen. Und die Jungs haben super mitgezogen. Aber wir wissen nach den beiden letzten Testspielen auch, dass wir noch Luft nach oben haben. Wir hatten in der zweiten Halbzeit gegen die Tschechen zehn technische Fehler. Wenn wir uns das bei der WM erlauben, gewinnen wir keinen Blumentopf.
Passt das selbst gewählte Etikett „Bad Boys“ der Europameister von 2016 noch?
Das Thema haben wir abgehakt, es macht ja keinen Sinn, ewig die ollen Kamellen rauszuholen. Das war eine Generation, die wir mit Dagur Sigurdsson geprägt haben. Jetzt gibt es einen neuen Trainer und damit eine neue Geschichte.
Tim Suton und Tobias Reichmann sind von Christian Prokop aus dem WM-Kader gestrichen worden, was im Fall von Reichmann doch überraschend kam.
Bei Tim Suton ist es sicherlich so, dass ihm die Zukunft gehört. Der Junge ist 22 Jahre und wird noch viele Länderspiele bestreiten, braucht aber noch ein bisschen Erfahrung. Und auf Rechtsaußen war es eine ganz enge Entscheidung, die am Ende nicht gegen Tobias Reichmann, sondern für Patrick Groetzki gefallen ist. Wir wissen aber auch, dass wir die Turniere in den letzten Jahren nie gespielt haben, ohne Spieler nachzunominieren. Tobi und die anderen sollten sich also in Bereitschaft halten.
40, war Abwehrchef im Weltmeisterteam von 2007. Seit 2014 ist Roggisch Team-Manager der deutschen Handballnationalmannschaft und zudem sportlicher Leiter der Rhein-Neckar Löwen.
Über das Verhältnis von Prokop und der Mannschaft ist nach der verpatzten EM im vergangenen Jahr viel diskutiert worden. Wie nehmen Sie den Bundestrainer in der täglichen Arbeit wahr?
So akribisch wie immer, allerdings hat er jetzt eine gewisse Lockerheit gefunden, die uns allen guttut. Über alles andere müssen wir nicht mehr reden. Das ist Vergangenheit. Wir haben jetzt ein neues Turnier vor der Brust, und die Voraussetzungen sind perfekt.
Es heißt, Prokop habe intensiv an sich gearbeitet, auch mit einem Mentalcoach. Tritt er jetzt anders auf?
Der Umgang mit der Mannschaft ist jetzt sicherlich ein anderer, aber das beruht auf Gegenseitigkeit. Die Stimmung bei uns ist richtig gut, und dazu trägt der Trainer bei. Genau wie jeder andere auch.
Sie sitzen jetzt mit auf der Bank. Ein Zeichen an das Team?
Es ist einfacher so, wobei ich ganz klar betonen muss, dass ich kein Trainer bin. Ich sehe mich eher als Motivator. Ich wollte näher dran sein, und das funktioniert so besser, als wenn ich auf der Tribüne sitze.
Sucht Prokop Ihren Rat?
Wir arbeiten sehr eng als Team zusammen, da gehören Co-Trainer Alex Haase und Sportdirektor Sportvorstand Axel Kromer dazu. Wenn wir zusammensitzen und ich werde gefragt, gebe ich natürlich meinen Senf dazu. Aber das Sportliche gehört nicht zu meinen Hauptaufgaben, dafür sind die Trainer zuständig.
Sie haben 2007 das „Projekt Gold“ ausgerufen und damit das Ziel offensiv formuliert. Gibt es dieses Mal etwas Vergleichbares?
Wir haben uns Hamburg als Ziel gesetzt, wir wollen beim Halbfinale noch dabei sein.
Sehen Sie Akteure, die den Unterschied machen können?
Wir sind eine Mannschaft, die über die Breite ihres Kaders kommt. Natürlich leben wir von unseren exzellenten Torhütern – aber das war in Deutschland immer so. Uwe Gensheimer ist mit seiner Klasse und seiner Erfahrung einer, der als Kapitän vorangeht. Finn Lemke und Patrick Wiencek sind für die Stabilität in der Abwehr enorm wichtig. Aber grundsätzlich haben wir nicht die Superstars wie die Franzosen und Dänen.
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