Kommentar Wahlkampf in Israel: Netanjahus Kalkül geht nicht auf
Israels Regierungschef Netanjahu will eine Neuwahl, weil er Ärger mit der Justiz hat. Er könnte sie gewinnen – aber eine Klage wird ihm trotzdem schaden.
N ach 100 Tagen wird in vielen Ländern nach einer Wahl die erste Bilanz gezogen, in Israel sind die 100 Tage aktuell genau der Zeitraum bis zu den vorgezogenen Wahlen zum Knesset, dem Parlament, am 9. April, bei denen man sich auf einiges gefasst machen darf. Wenn auch kaum auf das Ende der Regierung Netanjahu: Seit der letzten Krise im November stützt sich diese zwar noch auf eine knappe Mehrheit von 61 der 120 Mandate, aber kaum jemand wird daran zweifeln, dass dem Regierungschef nach der Wahl erneut eine ähnliche Koalition gelingen wird. Obwohl seine eigene Partei, der Likud, auch jetzt nur 30 Mandate hat.
So gesehen hatte Benjamin Netanjahu recht, als er noch im November die Forderung nach Neuwahlen ablehnte. Dass er nur kurze Zeit später plötzlich selbst darauf drängte, hatte eher persönliche Gründe: Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln seit Langem gegen ihn wegen verschiedener Korruptionsvorwürfe, und der Generalstaatsanwalt kündigte eine Entscheidung über eine mögliche Klage an. Eine laufende Amtszeit hätte aufschiebende Wirkung für eine Klage – und Netanjahus Kalkül war offenbar: Lieber jetzt wiedergewählt werden, als auf den regulären Wahltermin im Herbst warten, wegen der Klage dann aber nicht kandidieren können.
Am Ende ist das vielleicht eine Milchmädchenrechnung. Denn selbst wenn Netanjahu die Wahlen gewinnt, würde ihm eine Klage-Empfehlung mehr als schaden. Dann nämlich würde ihm auch in der eigenen Partei die Gefolgschaft versagt, Koalitionspartner würden sich lossagen und es käme unweigerlich zu Neuwahlen. Nur ohne Netanjahu.
Auf dieses Szenario setzen jetzt offenbar all die, die noch schnell neue Kleinparteien gegründet und angemeldet haben. Unter ihnen auch ein ehemaliger Generalstabschef und die Führer der rechten Koalitionspartei „Das jüdische Haus“, der bisherige Bildungsminister Naftali Bennet und Ayelet Shaked, amtierende Justizministerin. Sie gründeten „Die neue Rechte“, gaben aber auch bekannt, dass sie nach der Wahl wieder mit ihrer bisherigen Partei zusammengehen wollen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Parteiprogramme für die Bundestagswahl
Die Groko ist noch nicht gesetzt