piwik no script img

Migrantisch geprägter Fußballverein40 Jahre Türkiyemspor Berlin

Finanznot, Homophobie-Vorwürfe und Platzprobleme: Nach 40 Jahren will sich Türkiyemspor neu erfinden und richtet den Fokus auf Frauensport.

40 Jahre Fußballgeschichte: Der von Migranten gegründete Verein Türkiyemspor Berlin, hier 1988 Foto: imago/HJS

Berlin taz | Auf vierzig Jahre Fußballgeschichte blickt Türkiyemspor Berlin in diesem Jahr zurück. Im Mai feierte Deutschlands bekanntester, von Migranten gegründeter Kreuzberger Verein das Jubiläum mit alten und neuen Spie­le­r*in­nen bei einem Freundschaftsspiel gegen den Zweitligisten 1. FC Union Berlin.

Anlass zum Feiern hatte Türkiyemspor auch aus einem anderen Grund: Der Klub hat sich von der finanziellen Pleite seit Ende 2011 erholt, die Insolvenz ist im vergangenen Jahr abgewendet worden. Nun heißt es: „Investieren in den Unterbau“, in den Nachwuchs. „Das hat derzeit Priorität, nicht der Aufstieg in höhere Ligen“, sagt Ecevit Özman, der sportliche Leiter. Insbesondere den Frauen- und Mädchensport will der Klub weiter voranbringen. Bis zu 280 Mädchen kicken bereits heute mit.

Der Verein mit dem Fußballschwerpunkt will sich nun aber auch für andere Sportarten öffnen. „Boxen und Volleyball etwa“, sagt Özman. Seit September gibt es eine Basketballabteilung. Die soll weiter ausgebaut werden. Dafür startete die Abteilung eine Crowdfundingaktion. Das erklärte Ziel sind bis Ende des kommenden Jahres 100 Basketballerinnen. In einer Kreuzberger Schulhalle dribbelt bereits regelmäßig ein U12-Mädchenteam.

In der Kreisliga spielt das erste Basketball-Herrenteam und in der Landesliga das erste Frauenteam. Für einen Wechsel vom Kreuzberger Basketballverein Berlin Tigers zu Türkiyemspor riskierte das bereits bestehende Frauenteam sogar den Abstieg aus der Regionalliga. „Wir haben uns bei Türkiyemspor sehr willkommen gefühlt. Dass jemand explizit Lust darauf hat, Frauen- und Mädchensport zu fördern, das kannten wir so bisher nicht“, sagt Lena Demke vom Basketball-Frauenteam.

Bruch mit dem LSVD

Nicht nur die Frauen- und Mädchenarbeit des Traditionsklubs, der 1978 aus einer Gruppe Kreuzberger Freizeitfußballer hervorgegangen ist und zuerst Izmirspor hieß, gilt mittlerweile als vorbildlich. Für sein soziales Engagement gewann der Klub auch mehrere Preise, so zum Beispiel den 2007 erstmals vergebenen Integrationspreis des DFB. 2010 bekam er die „Berliner Tulpe für deutsch-türkischen Gemeinsinn“ für sein Engagement gegen Homophobie. Türkiyem arbeitete jahrelang eng mit dem Berliner Lesben- und Schwulenverband (LSVD) zusammen. Der Verein ist nach wie vor Teil des Berliner „Bündnisses gegen Homophobie“.

Doch Ende 2014 wurden Homophobie-Vorwürfe laut. Der Konflikt entzündete sich daran, dass die dritte Herrenmannschaft Trikots mit dem Logo des LSVD trug. „Einige im Verein störten die Trikots“, erinnert sich der Geschäftsführer vom LSVD, Jörg Steinert. Es kam zu einem Bruch mit dem LSVD. Steinert trat von seinem Aufsichtsratsposten bei Türkiyemspor zurück.

„Homophobie gibt es überall in der Gesellschaft. Warum sollten Mitglieder von Türkiyemspor davon frei sein?“, fragt sich Ecevit Özman heute. Dass Lesben und Schwule im Verein mitmachten, sei, wie überall auch, selbstverständlich. „Unser vor Kurzem verstorbener Schatzmeister zum Beispiel war schwul. Er hat sich in unseren schwierigsten Zeiten mit Leib und Seele für den Verein eingesetzt.“ Kritik und Vorwürfe kämen aber nicht nur vom LSVD, sondern von allen Seiten.

„Wir können es nicht allen recht machen“, sagt Özman. Würde der Verein an sein Engagement gegen Homophobie von damals wieder anknüpfen? „Wir arbeiten mit jedem zusammen, der mit unserer Vereinsphilosophie einverstanden ist. Derzeit haben wir aber ganz andere Sorgen.“ Und die sind nicht unerheblich: Der Klub braucht ein eigenes Vereinsheim. Ein Sponsor würde die Kosten übernehmen. Uns fehlt nur noch die Baugenehmigung vom Bezirksamt“, sagt Ecevit Özman.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!