Streit um armutsfeste Löhne: Nur noch über 12 Euro
Die Linkspartei beantragt, den Landesmindestlohn in Bremen sofort zu erhöhen – SPD und Grüne haben das lieber erst mal nur ins Wahlprogramm geschrieben.
Bremen führte zwar 2012 als erstes Bundesland einen Mindestlohn ein – für Unternehmen, die öffentliche Gelder bekommen, für alle Beschäftigten des Landes sowie als Bedingung für staatliche Zuwendungen, doch seit 2015 gibt es einen bundesweiten Mindestlohn. Der rot-grüne Senat setzte deshalb – trotz massiver Kritik der Gewerkschaften – seine eigene Regelung 2016 de facto wieder aus. Sowohl für den Bund als auch für Bremen gelten also 8,84 Euro momentan als Lohnuntergrenze.
Im Herbst erklärte Bürgermeister Carsten Sieling (SPD) dann, er sei mit diesem Mindestlohn „absolut nicht zufrieden“, auch nicht mit der für 2020 geplanten Erhöhung auf 9,35 Euro. Ihm schwebe deswegen eine Erhöhung „zunächst auf 10,80 Euro“ vor. Anderswo ist man da schon weiter: In Hamburg haben SPD und Grünen bereits im Mai beschlossen, den städtischen Mindestlohn auf zwölf Euro zu erhöhen.
Armutsfest ist das aber auch nicht: Nach Angaben der Bundesregierung ist derzeit ein Stundenlohn von 12,63 Euro notwendig, um bei einer Vollzeitbeschäftigung nach 45 Arbeitsjahren im Alter nicht auf Grundsicherung angewiesen zu sein. Der Staat selbst zahlt mitunter jedoch deutlich weniger. Das ergibt sich aus einer Antwort des rot-grünen Senates auf eine Große Anfrage der Linkspartei: Laut Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes verdient man in der untersten Lohngruppe bei einer Vollzeitstelle 10,78 Euro, der Tarifvertrag der Länder zahlt ein paar Cent weniger.
Wie viele BremerInnen heute weniger als zwölf Euro in der Stunde verdienen, kann der Senat aber gar nicht so genau sagen. Die aktuellsten Zahlen stammen aus einer Studie von 2014 – zwar gab es im laufenden Jahr eine neue Befragung, die Ergebnisse liegen aber noch nicht vor. Vor vier Jahren gab es – Auszubildende nicht eingerechnet – in Bremen 112.000 Beschäftigungsverhältnisse, bei denen der Bruttostundenlohn maximal zwölf Euro betrug.
In 25.000 Fällen wurden demzufolge weniger als acht Euro, in weiteren 24.000 maximal neun Euro in der Stunde gezahlt. Knapp 21 Prozent der Beschäftigten in Bremen lagen laut der Erhebung von 2014 mit ihrem Verdienst unterhalb der definierten Niedriglohnschwelle. Wie sich der hiesige Niedriglohnsektor seit der Einführung des Mindestlohns 2012 entwickelt hat, kann der Senat indes nicht sagen.
Und wer genau von einer Erhöhung des Landesmindestlohns profitieren würde, weiß der Senat auch nicht so genau: „Eine Ermittlung, welche Branchen inwieweit betroffen wären, ist nicht möglich“, schreibt die Landesregierung. Für die öffentliche Auftragsvergabe in Bremen wären wohl vor allem GebäudereinigerInnen von Bedeutung. Dort liegt der Mindestlohn laut Senat momentan bei 10,30 Euro, bis 2020 sollen es 50 Cent mehr werden.
Aber auch die rund 3.000 studentischen Hilfskräfte an den Bremer Hochschulen und der Uni müssten besser bezahlt werden, wenn der Mindestlohn steigt. 9,19 Euro in der Stunde kosten laut Senat etwa 300.000 Euro zusätzlich, 12,50 Euro Stundenlohn sogar mehr als drei Millionen Euro.
Der Linkspartei reicht das noch nicht aus – sie fordert in ihrem Wahlprogramm einen Landesmindestlohn von 12,63 Euro. Die Grünen bleiben da lieber vage: „Wir wollen den Bremer Mindestlohn deutlich erhöhen und auf ein armutsfestes Niveau anheben“, steht in ihrem Wahlprogramm, ganz ohne Angaben von Zahlen. Nach Berechnungen der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung müssen alleinstehende BremerInnen mindestens 10,53 Euro in der Stunde bekommen, um nicht von aufstockenden Transferleistungen abhängig zu sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!