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Das Geschenk des königlichen Bruders

Sultan Njoya von Bamun schenkte vor 110 Jahren Kaiser Wilhelm II. seinen Thron. Von dieser Schenkung lässt sich viel über die deutsche Kolonialgeschichte lernen

Von Marlene Militz

Die Geschichte des Throns „Mandu Yenu“ wurde schon oft erzählt: in seiner Heimat, dem westafrikanischen Königreich Bamun, das heute ein Teil von Kamerun ist, und auch in Deutschland, in dessen Besitz sich der Thron nun schon seit 110 Jahren befindet. Aber es sind sehr unterschiedliche Geschichten, die vom Schicksal „Mandu Yenus“ berichten, eines konfliktbehafteten Geschenks. Der König des Bamun-Volkes, Sultan Njoya Ibra­him, der auch den Titel eines offiziellen Statthalters des deutschen Gouvernements führte, übergab den Thron im Jahre 1908 dem deutschen Gouverneur als Geburtstagsgeschenk für Kaiser Wilhelm II., seinen Kolonialherrn.

Von der Küste Kameruns wurde der Thron nach Berlin ins Königliche Museum für Völkerkunde transportiert. Er befindet sich bis heute im Bestand der Nachfolgeinstitution, des derzeit geschlossenen Ethnologischen Museums. Bald soll er ins Humboldt Forum umziehen. Anlässlich seines bevorstehenden Umzugs in das wiedererrichtete Stadtschloss lohnt es sich, die Geschichte des bamunischen Throngeschenks anders zu erzählen, als sie bis jetzt im Museum präsentiert wird.

Man könnte dem Anfang der Geschichte gleich ein Ende setzen. Ein Geschenk ist ein Geschenk und die rechtliche Lage damit klar. Das Ethnologische Museum spricht in einem Begleittext zum Thron von einem „Geschenk Njoyas an seinen ‚Amtskollegen‘“, um „die besonderen Beziehungen zur Kolonialmacht zu unterstreichen“. Man könnte am Anfang der Geschichte des Throns von Bamun aber auch die Frage stellen, wie freiwillig ein Geschenk sein konnte, das unter den Bedingungen kolonialer Abhängigkeit überreicht wurde.

Der Thron entstand in der Regierungszeit des Vaters von Njoya in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Er ist aus Holz geschnitzt und mit wertvollem Stoff überzogen. Sein Name „Mandu Yenu“ bedeutet „reich an Perlen“. Die gesamte Fläche des bunten Stoffes ist mit Glasperlen und Kaurischnecken bestickt. Die runde Sitzfläche wird von Schlangen getragen, einem königlichen Symbol. Sitzt der König auf dem Thron, wird er von zwei großen Figuren, einem Zwillingspaar, flankiert, denen in Bamun übernatürliche Kräfte zugesprochen werden. Die Fußbank des Throns schmückt eine Reihe aus fünf Figuren, sie stellen die Diener des Königs dar. Nur seine höchsten Berater durften sich in tief gebeugter Haltung dem Thron nähern. Berühren durfte „Mandu Yenu“ niemand. Den Bamun ist er heilig.

Die Geschichte des Königreichs Bamun reicht bis in das 14. Jahrhundert zurück. Der gegenwärtige König, im mehrheitlich muslimischen Bamun gilt er offiziell als Sultan, ist der 19. Herrscher der Dynastie. Zur Zeit der deutschen Besatzung regierte sein Großvater, der im Volk verehrte König Njoya. Dieser schloss einen Schutzvertrag mit dem deutschen Kaiserreich, durch den Bamun einen teilautonomen Status erlangte.

Unter deutschen Kolonialbeamten galt König Njoya als kooperativ. Doch in einem Lied der Bamun, in dem Njoya zu seinem Volk spricht, erkennt man darin eher diplomatisches Kalkül: „Wenn sie ein Ei nehmen, sagt nichts. König Njoya wird es schon machen. Und wenn sie euch schlagen, wehrt euch nicht, der König wird es regeln.“ Zwar gilt der, wie es von deutscher Seite damals hieß, „weit über Neger-Durchschnitt begabte König Njoya“ offiziell als Bündnispartner. Doch seine Macht wird schnell zersetzt. Er wird angehalten, sein Volk zu „Produzenten“ umzuerziehen, die auf Baumwollplantagen arbeiten müssen. Bamunische Güter werden mit großem Gewinn nach Europa verkauft, ohne dass die Bamun daran teilhaben. Besonders begehrt sind deren Holzschnitzarbeiten und Bronzen.

Als 1906 die deutsche Zeitschrift Globus ein Bild von König Njoya auf seinem Thron publiziert, fokussiert sich die Aufmerksamkeit deutscher Museen, Privatsammler und Kolonialhändler auf „Mandu Yenu“. Der Direktor des Völkerkundemuseums Berlin schrieb seinem bevorzugten Lieferanten aus Afri­ka: „Werter Hauptmann Glauning, nun wird von allen Seiten die Jagd auf den Bamun-Thron beginnen. Wir würden natürlich das Stück auch selbst gerne haben, wenn es auf friedliche und legale Weise in die Berliner Museen kommen kann.“ Er sollte ihn bekommen.

Nach jahrelangem Drängen der deutschen Missionare und trotz starken Protests seiner Berater bricht König Njoya im Jahr 1908 mit seinem Thron nach Buea auf. Dort residiert seit 1901 der deutsche Gouverneur. Er veranstaltet anlässlich des Geburtstags von Kaiser Wilhelm II. große Festlichkeiten. Njoya reist mit einer Karawane aus 20 Soldaten und 200 Trägern, die Kostbarkeiten aus Holz und Edelstein transportieren. Dort angekommen, überreicht er die Geschenke dem Gouverneur.

Njoya bittet im Gegenzug um Waffen und Unterstützung gegen die wirtschaftliche Umklammerung der deutschen Zwischenhändler, die sein Volk ausbeuten. Doch seine Bitten stoßen auf taube Ohren. Die Gewehre seiner Soldaten werden von den Deutschen beschlagnahmt, und Njoya kehrt mit leeren Händen nach Bamun zurück. Der Palast hat das wertvollste Symbol seiner Macht im Zuge der gescheiterten Transaktion verloren, verschenkt.

Das Volk der Bamun weiß nicht, dass „Mandu Yenu“ von seinem König weggegeben wurde und man bereits davor begonnen hatte, ein Duplikat des Throns anzufertigen, auf dem Njoya nun regiert. Schon dieser Akt der Geheimhaltung lässt die Freiwilligkeit der Gabe in zweifelhaftem Licht stehen. Zwar geht auch König Njoya nicht leer aus: er erhält im Gegenzug eine Kürassieruniform, ein Ölgemälde und ein Orchestrion. Die Uniform ist aber eher als symbolhafte Aufforderung zur Eingliederung in das Deutsche Kaiserreich zu verstehen, auch wenn der Kaiser sie als Geschenk an seinen „königlichen Bruder“ bezeichnet. Auch das Ölgemälde des Kaisers ist eine Formalität, und das Orchestrion, ein automatisches Musikinstrument, das ein paar preußische Märsche spielen konnte, ging schnell kaputt.

Bei den Gegengeschenken handelte es sich um vielfach reproduzierte, geradezu beliebige Gegenstände. „Mandu Yenu“ hingegen ist ein Original, der wertvollste Besitz des Königs, ein Unikat und ein Zeugnis der bamunischen Kunstfertigkeit. Ein Thron ist in der Kultur der Bamun wie in Europa heiliges Symbol königlicher Macht und Herrschaft. Was bedeutet es, wenn ein König seinen Thron verschenkt? Und was bedeutet es, wenn ein Kaiser den eigenen Thron behält und stattdessen sein Porträt verschickt?

Dafür, dass Njoya den Deutschen ein „Herrscher auf Augenhöhe“, ein „königlicher Bruder“ oder, wie es das Ethnologische Museum nennt, ein „Amtskollege“ gewesen ist, sprechen die Gegengeschenke nicht. Vielmehr bilden sie die tatsächlichen Machtverhältnisse ab: Der König gibt seinen Thron an den Kolonialherren ab, unter dem er keine souveräne Position mehr innehat.

Die Nachfolger des Königs sagen, wenn Njoya dem Kaiser ein Geschenk gemacht hat, dann sei das so. Damit respektieren sie Würde und Macht Njoyas. Daran ist zu erkennen, dass es sich bei dem Thron eben nicht um Beutekunst handelt, sondern um ein komplexes Konstrukt vergangener Machtstrukturen, das verschieden gedeutet werden kann. Dass das Ethnologische Museum jedoch weiterhin den Begriff des Geschenks benutzt, ohne ihn zu hinterfragen, erscheint angesichts des historischen Kontexts willentlich naiv.

Wie ungleich die Machtbeziehungen zwischen Schenkendem und Beschenktem waren, machen auch die Ausstellungsorte deutlich: Uniform und Gemälde wurden an einem Ort ausgestellt, der kaiserlichen Geschenken gebührt, nämlich im königlichen Palast in Foumban. Dagegen übergab man „Mandu Yenu“ dem Völkerkundemuseum in Berlin. Der Thron wurde weder als königliches Geschenk geschätzt noch als Kunstwerk betrachtet. Ironischerweise kommt „Mandu Yenu“ nun wohl doch noch zur zweifelhaften Ehre, in der ehemaligen Residenz der Hohenzollern ausgestellt zu werden.

Während der amtierende Herrscher Bamuns und Enkel Njoyas, Mbombo Njoya, gerade ein modernes Museum bauen lässt, in dem das Duplikat „Mandu Yenus“ ausgestellt werden soll, zieht der echte Thron ins neue Stadtschloss. Was hat das zu bedeuten, 100 Jahre nach Ende der deutschen Monarchie und Kolonialherrschaft?

Restitutionsanfragen hat Bamun nicht gestellt – wie sollte es auch, da es sich um ein Geschenk handelt. Mbombo Njoya hat allerdings einmal gesagt, man müsse nicht jedes Geschenk annehmen. Doch es wurde angenommen und das Humboldt Forum nimmt es jetzt erneut an. Daher sollte nun die Chance ergriffen werden, seine ganze Geschichte zu erzählen, von der man viel über die kolonialen Verhältnisse lernen kann.

Man könnte neben dem Thron eine kleine Bronzeplastik und ein schwarz-weißes Foto ausstellen: auf diesem Foto von 1912 sitzt König Njoya auf dem Duplikat seines Thrones in der Bildmitte. Hinter ihm hat ein Teil seines Hofstaates Aufstellung genommen. Auf einem kleineren, ebenfalls aus Holz geschnitzten Schemel sitzt ihm in kolonialer Siegerpose ein weißer Mann mit Hut, Hemd und heller Hose zur Seite. Es ist der Österreicher Rudolf Oldenburg, der seinen Fuß demons­trativ an der Sitzbank des Throns abstützt.

Diese auf dem Foto gezeigte Szene kolonialer Machtanmaßung und Respektlosigkeit wurde in Bronze gegossen und im Jahr 2010 der Stiftung Preußischer Kulturbesitz von einem bamunischen Staatsmann geschenkt. Diese subtile Geste des Protestes wurde für kurze Zeit in der Humboldt-Box ausgestellt. Seit 2014 lagert das Geschenk Bamuns im Depot des Museums.

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