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Musik-schlösser für Berlin und L. A.

Eine Ausstellung im Max-Liebermann-Haus zeigt, wie der deutsche Architekt Hans Scharoun seinen kanadisch-amerikanischen Kollegen Frank Gehry beeinflusste – und wie beide auf die Berliner Stadtentwicklung einwirkten

Von Johanna Schmeller

„Musik sollte räumlich und optisch im Mittelpunkt stehen“, sagte Hans Scharoun im Jahr 1957, als er den Entwurf der Berliner Philharmonie plante. Und schon die ersten Holzmodelle des Baus, der 1963 eröffnet wurde, zeigen eindrucksvoll, was der in Bremen geborene Architekt damit meinte: Großflächige Platten sind versetzt zusammengenagelt, die Kanten bohren sich wie die Zinnen eines futuristischen Schlosses in den Himmel. Wer Scharouns ausdrucksstarkes Bauwerk gesehen hat, wird seine Vorstellung von Konzerthäusern zwingend revidieren: Während dort das Orchester frontal vor dem Publikum seine Leistung abliefert, entwarf Scharoun ein Raumschiff, bei dem die Zuhörer erstmals die Musiker umringten.

Die Musik stand also ganz buchstäblich im Mittelpunkt – und der damals schon knapp 70-jährige Scharoun erschuf ein neuartiges Klangerlebnis, das über Dekaden Konzerthäuser inspirieren würde, von Jørn Utzons Sydney Opera House (Baujahr 1959-1973) bis zur Elbphilharmonie von Herzog & de Meuron (Baujahr 2007–2016).

Im Max-Liebermann-Haus zeigen die Stiftung Brandenburger Tor und das Getty Research Institute Los Angeles noch bis Ende Januar, wie Scharouns in Beton gegossene Fantasie besonders einen Kollegen beeinflusst haben soll: den Pritzker-Preisträger Frank Gehry. Auch seine 2003 eröffnete Walt Disney Concert Hall erinnert an Scharouns Bau: In silbrigen Segeln wölbt sie sich in den Stadtkern von Los Angeles hinein.

Scharoun forderte, dass Architektur nicht sensations­getrieben sein sollte

Anlass der Ausstellung „Frank Gehry – Hans Scharoun: Strong Resonances“ ist das 50. Jubiläum der Städtepartnerschaft von Berlin und Los Angeles. Dafür hat das Getty Research Institute, das ein umfassendes Gehry-Archiv besitzt, erstmals einige große Modelle in die deutsche Hauptstadt geschickt, etwa den mit verzinkten Platten ummantelten „Pferdekopf“, in dem die DZ-Bank ihren Sitz hat.

Den Einfluss beider Architekten auf die Berliner Stadtentwicklung nachzuvollziehen ist dabei der interessanteste Teil der Schau: Der 1972 verstorbene Hans Scharoun entwarf in den späten Zwanzigerjahren die Siedlung Siemensstadt, heute Weltkulturerbe, oder das Apartmenthaus am Berliner Kaiserdamm. Seine organisch anmutende Formensprache war ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber der Bauhaus-Architektur. Seinem Verständnis nach musste Architektur die Kraft haben, Gegensätzliches in Einklang bringen – um nach zwei Weltkriegen ein neues Weltbild zu entwerfen und mitzuteilen.

Stararchitekt Frank Gehry war dann ab den 1980er Jahren regelmäßig in Berlin. 1994 reichte er einen Entwurf für den Wettbewerb zur Neugestaltung der Museumsinsel ein. Das dazugehörige Holzmodell hat Kuratorin Maristella Casciato vom Getty Research Institute raumgreifend im Obergeschoss platziert. 2017 eröffnete schließlich sein Pierre-Boulez-Saal, in dem überwiegend Kammermusik gespielt wird. Auch dazu sind Modelle, Fotografien und Tintezeichnungen zu sehen.

Spannend sind auch die Gegenüberstellungen der Skizzen beider: Der eine, Scharoun, arbeitet seine Visionen in zarten Aquarellen aus, der andere, Gehry, mit wilden, sich zu elliptischen Formen verdichtenden Tintenstrichen. Für Scharoun soll Architektur Zeugnis über Raum und Zeit ihrer Entstehung ablegen, selbst aber zeitlos wirken. Gehrys Vision nach soll Architektur vor allem Authentizität zum Ausdruck bringen. Ziel seiner Entwürfe ist es, die eigene Handschrift durchscheinen zu lassen, dabei aber Materialien einzusetzen, die den Architekten umgeben.

Während die Verbindungslinien zwischen Scharoun und Gehry konstruiert wirken – getroffen haben sie sich nie –, zeigt die Schau doch überzeugend, wie fasziniert der heute 89-jährige Gehry in den 1980er und 1990er Jahren von der historisch zerklüfteten, gerade erst zusammenwachsenden deutschen Hauptstadt gewesen sein muss.

Beim Flanieren in der Umgebung des Max-Liebermann-Hauses lässt sich Scharouns und Gehrys Berlin nachspüren – und vielleicht doch noch eine Verbindung finden: So neuartig, eigensinnig und spektakulär ihre Holzmodelle im Museum noch wirkten, so harmonisch fügen sie sich in die Stadtsilhouette ein. Ein Kreativer, so hat es Frank Gehry einmal artikuliert, muss fähig sein, von innen heraus zu arbeiten, um überhaupt Neues schaffen zu können. Hans Scharoun forderte, dass Architektur nicht von Sensationen oder Tagesmoden getrieben sein sollte, sondern von Überlegungen. Und dieser stille Konsens scheint beide zu verbinden, über Raum und Zeit hinweg.

Bis 20. Januar, Stiftung Brandenburger Tor im Max-Liebermann-Haus, Pariser Platz 7, Mo., Mi.–Fr. 10–18 Uhr, Sa.–So. 11–18 Uhr, Katalog (Hirmer Verlag) 28 Euro

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