Die Wahrheit: Zimtland, Zimtland über alles
Für manche politischen Aktivisten gehört Zimt ins Grundgesetz. Eine Verfassungsänderung sei dringend notwendig.
Es ist ungewöhnlich still auf der Bundeskonferenz der Initiativen und Vereine zur Ergänzung des Grundgesetzes. 125 Vereine und Verbände haben sich im Congress Centrum Würzburg zusammengefunden, um ihre Gesetzesvorhaben vorzustellen. Die meisten Angereisten stehen schweigend an ihren Tischen und warten darauf, dass jemand vorbeikommt.
„Die Delegierten betrachten die anderen meist als Konkurrenz“, sagt Stefan Brenner, der Initiator der Bundeskonferenz. „Dabei haben wir alle ein gemeinsames Ziel: Wir wollen unser Anliegen als festes Element im Grundgesetz verankert sehen. Wir haben hier ganz viele und sehr interessante Gäste, zum Beispiel die Initiative ‚Pi muss ins Grundgesetz‘.“
Er selbst ist vom Verein „Zimt muss ins Grundgesetz e. V. i. Gr.“, der sich dafür einsetzt, dass, wie der Name schon sagt, Zimt ins Grundgesetz aufgenommen wird. Der pausbäckige Westfale weiß alles über das Gewürz: „Die meisten Menschen denken, Zimt ist so ein Weihnachtsgewürz, das wird das ganze restliche Jahr nicht gebraucht. Das stimmt aber gar nicht. Zimt ist total wichtig. Zimt schmeckt gut. Zimt ist gesund. Zimt ist Menschenrecht. Zimt dient der Völkerverständigung, denn Zimt taucht nicht nur in der deutschen Küche auf, sondern in der arabischen, der indischen, ja rund um die Welt.“
Von Zimt durchdrungen
Brenners Grundgesetzänderung ist deshalb auch etwas umfangreicher als die der anderen Kongressteilnehmer. „Zimt soll nicht einfach nur einen eigenen Paragrafen bekommen, sondern“, so Brenner, „die Verfassung muss vom Zimt vollständig durchdrungen werden. Also echter Zimt, das heißt: Cinnamomum verum, nicht der minderwertige Cassia oder gar der Cinnamomum burmannii.“
Er blättert in seinem Manuskript herum und liest aus der neuen Fassung vor: „Hier, nur ein paar Beispiele, Artikel 2: Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit und Zimt. Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit und Zimt.
Oder Artikel 3: Alle Menschen und Zimt sind vor dem Gesetz gleich. Männer und Frauen und Zimt sind gleichberechtigt. Niemand darf wegen Zimt, seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.
Oder Artikel 5: Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild und Zimt frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film und Zimt werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
Oder, ganz aktuell, und da stimmen wir mit Friedrich Merz völlig überein, wir brauchen eine Neudiskussion über das Asylrecht. Dann heißt es in unserem Artikel 16a: Politisch Verfolgte genießen Asylrecht – und Zimt. Oder Artikel 62: Die Bundesregierung besteht aus dem Bundeskanzler und aus den Bundesministern – und Zimt. Überhaupt ist es eine Frechheit, dass Zimt noch nie Mitglied einer Bundesregierung war.“
Keine Chance ohne Zimt
Jetzt tritt ein Vertreter der Vereinigung „Der Halbteilungsgrundsatz muss ins Grundgesetz“ ans Rednerpult und beginnt zu sprechen. Der Applaus ist verhalten. Frauen sind hier übrigens in der Minderheit. Das ist vielleicht der Grund, warum Anne Simoneit gleich bei zwei Initiativen arbeitet, die sich zusammengeschlossen haben zur Bewegung „Die Schuldenbremse und die Muttersprache müssen ins Grundgesetz“. So was hat, meint Brenner, selbstverständlich keine Chance, jemals umgesetzt zu werden. Fast klingt so etwas wie Bedauern in seiner Stimme mit. Ist doch Anne Simoneit seine Freundin.
Mit den Worten „Der Halbteilungsgrundsatz muss ins Grundgesetz“, beginnt der Redner seinen Vortrag. „… und Zimt!“, ruft Stefan Brenner dazwischen. Was will der Gewürzkämpfer eigentlich machen, wenn seine Initiative Erfolg hat und Zimt tatsächlich ins Grundgesetz aufgenommen wird?
„Wir brauchen knapp dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung endlich eine neue Nationalhymne – nicht ohne Zimt. Vielleicht ‚Einigkeit und Zimt und Freiheit‘. Oder: ‚Zimtland, Zimtland über alles‘. Dann wäre auch die erste Strophe wieder denkbar. Ich habe bereits eine Initiative gegründet, die demnächst ihre Arbeit aufnehmen wird. Und wenn wir damit fertig sind, nehmen wir uns die Flagge vor. Schwarz-Zimt-Gold könnte ich mir gut vorstellen.“
Wir begleiten Brenner und Simoneit nach draußen, zur Outdoor-Raucherlounge. Brenner holt ein paar Zimtstangen heraus und zündet sich eine an. Auch seine Freundin raucht. Jetzt verstehen wir, warum der gute Mann sein Herz an den Zimt verloren hat.
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