piwik no script img

Mit dem Anruf kommt der Smog

Krebs, Schlafstörungen, Unwohlsein? Ein Risiko, das vom Handy ausgeht, kann bisher niemand beweisen – aber auch nicht ausschließen. Nur so viel steht fest: Protestieren Sie nicht nur gegen Sendemasten, telefonieren Sie doch einfach weniger

VON HANNA GERSMANN

Polizisten im brandenburgischen Hennigsdorf holten vor wenigen Wochen zwei Mädchen aus einem Kellerverschlag. Die beiden hätten geschrien, hieß es. Die Nachbarn waren besorgt. Doch in diesem Fall, so stellte das Jugendamt schnell fest, ging es nicht um zu wenig Fürsorge. Im Gegenteil. In der Umgebung waren in den letzten Jahren immer mehr Mobilfunkmasten aufgestellt worden. Die Eltern wollten ihre Töchter schützen – vor Elektrosmog.

Schon seit mehr als zwanzig Jahren wird vermutet, dass elektromagnetische Strahlen Krebs auslösen. Viele Bürger sind verängstigt und klagen über Kopfweh oder Unwohlsein. Sie protestieren gegen Sendemasten, gründen Bürgerinitiativen, initiieren Volksbegehren – und sind doch arglos.

Denn 80 Prozent der Deutschen nutzen ganz selbstverständlich ihr Handy. Statistisch gesehen bekommt hierzulande ein Kind das erste Funktelefon, sobald es neun ist. Gunde Ziegelberger vom Bundesamt für Strahlenschutz, dem BfS, sagt jetzt aber: „Wenn, dann muss man sich beim Handy sorgen.“

Die Strahlenbelastung, die von Mobiltelefonen ausgehe, sei gefährlicher als die der nächsten Funkmasten. Das gelte selbst dann, wenn die Antenne auf dem Dach des eigenen Hauses montiert ist. Grund: Die Strahlung des Handys könne zwar vergleichsweise gering sein, wirke dafür aber direkt am Kopf.

Wer sich vor der Sendeanlage fürchtet, vermutet das Risiko häufig an der falschen Stelle. Aber wie gefährlich ist dann der Anruf? Mit einer einfachen Formel ist es nicht getan.

Das liegt auch daran, dass Handys erst seit wenigen Jahren auf dem Markt sind, Krebs sich jedoch über eine lange Zeit entwickelt. Das größere Problem aber: Selten zeigen sich Gesundheitsgefahren so eindeutig wie beispielweise beim Rauchen.

Die Untersuchungen, wie elektromagnetische Strahlen wirken, haben die Wissenschaft und die Öffentlichkeit mittlerweile gespalten. Einer Studie folgt sogleich die Gegenstudie, Grenzwerte werden bestätigt – oder widerlegt. „Die Experten haben allein damit viel zu tun, die Ergebnisse zu prüfen“, sagt BfS-Mann Karl Amansberger. Seine Kurzanalyse: „Die bisherigen Daten zeigen, dass Vorsicht angebracht ist, nicht aber Panik.“

Derzeit werden vor allem zwei Arbeiten debattiert. In der weltweit größten Studie, Interphone genannt, haben Forscher in 15 Ländern untersucht, ob Patienten mit Hirntumoren häufiger mobil telefoniert haben als gesunde. Die meisten Ergebnisse stehen noch aus. In Schweden fielen aber bereits zehn kranke Vieltelefonierer auf. Allerdings benutzten sie jahrelang veraltete analoge Geräte. Die Technik gibt es längst nicht mehr auf dem Markt. Das relativiert das Risiko.

Wichtig nehmen Wissenschaftler auch die „Reflex-Studie“. Zwölf Forscherteams aus sieben europäischen Ländern haben dabei Zellen im Reagenzglas Handystrahlen ausgesetzt. Bedenkliche Folge: Chromosomen wurden geschädigt, Stressproteine ausgeschüttet, und der Zellstoffwechsel wurde gestört. Ob solche Blessuren im Körper tatsächlich tragisch sind oder repariert werden können, ist jedoch noch offen. Die Ergebnisse lassen sich nicht einfach auf den Menschen übertragen.

Bislang kann niemand eindeutig ein Risiko beweisen, sicher ausschließen lässt es sich aber auch nicht. Das BfS bereitet nun eine Langzeitstudie an 70.000 Deutschen vor. Mehr als zehn Jahre soll aufgezeichnet werden, wie lange die Probanden das Handy benutzen und wie gesund sie sind, erklärt Rüdiger Matthes vom BfS.

Das Geld kommt aus dem Deutschen Mobilfunk-Forschungsprogramm, in das das Bundesumweltministerium zusammen mit Mobilfunkfirmen wie Vodafone, E-Plus oder T-Mobile 17 Millionen Euro gesteckt haben (siehe www.emf-forschungsprogramm.de). Dänemark, Großbritannien und Schweden wollen sich dem Projekt anschließen. Irgendwann könnte so ein großer Datenpool zusammenkommen.

Inzwischen gehen „die Länder mit den Risiken durch elektromagnetische Felder unterschiedlich um“, sagt Peter Neitzke vom Hannoveraner Institut Ecolog. Deutschland, das oft für besonders vorsichtig gehalten werde, liege bei der Vorsorge nur im Mittelfeld. Versuche, ein generelles Strahlenschutzgesetz zu etablieren, sind gescheitert, auch weil Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) mauerte. Das BfS plädiert immer wieder dafür, Grenzwerte für Handys, Telefonstationen und andere elektrische Geräte in einer Vorschrift zu regeln. Die Bürger würden sich dann womöglich sicherer fühlen.

Mit der Angst macht so mancher ein prima Geschäft. Findige Abzocker versprechen, die Strahlen abzuschirmen – mit zweifelhafter Technik. Für stolze 498,50 Euro gibt es die metallische Daunendecke von Simtex, die gefährliche Wellen abschirmen will. Schon für 30 Euro ist der Gabriel-Chip zu haben. Aufs Handy gepappt, soll er die Strahlung „harmonisieren mit dem Erdmagnetfeld“. Dazu kommen Ketten aus Edelsteinen, die Handys entstören, Insektengitter, die wegen ihrer Metallfäden einen Schutzschild bilden. Die Hersteller versprechen stets, die Wirkung sei „wissenschaftlich geprüft“. Zumeist gibt es auf ihren Websites im Internet eine Studie zum Nachlesen. Die Beweislage in seriösen Wissenschaftsmagazinen hingegen ist dürftig. Ralf Schmidt-Pleschka von der Verbraucher Initiative rät deshalb vom Kauf solcher Produkte dringend ab: „Die wundersame Technik minimiert allenfalls die Furcht, nicht die Strahlung.“

Da hilft nur eins: Wann immer möglich, Handy ausschalten!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen