: Die Maschine für die richtige Wahlentscheidung
Ab heute ist im Internet der „Wahl-O-Mat“ zur Bundestagswahl freigeschaltet. Das Programm testet die politische Einstellung des Nutzers und empfiehlt ihm dann, wen er wählen soll
VON PHILIPP DUDEK
Deutschland sollte SPD wählen. Nach aktuellen Umfragen ist eine Mehrheit des Wahlvolks für die Kernforderungen des SPD-Wahlmanifests. Bürgerversicherung, Mindestlohn, Reichensteuer und einjähriges Elterngeld: Mehr als 60 Prozent der Wähler finden diese Ideen gut. Wählen werden sie die SPD trotzdem nicht. Weil die Menschen glauben, dass Rot-Grün das Land schlecht regiert, stimmen sie lieber für die CDU. „Resignative Wechselstimmung“ heißt das beim Allensbach-Institut, weil niemand wirklich glaubt, dass nach der Wahl alles besser wird.
Dass sich Wählerwille und Wählerwunsch so drastisch unterscheiden, könnte aber auch daran liegen, dass viele Menschen vielleicht nicht wissen, was genau die Kernforderungen der einzelnen Parteien sind. Wer liest schon dröge Wahlprogramme? Wahlhilfe im Namen der politischen Bildung gibt da der Wahl-O-Mat – ab heute unter www.wahl-o-mat.de im Internet. Das Programm verlangt von seinen Nutzern Antworten zu Standpunkten wie „Der Kündigungsschutz soll gelockert werden“. Insgesamt 30 Thesen werden aufgestellt, jede kann mit „stimme zu“, „stimme nicht zu“, „neutral“ oder „weiß nicht“ beantwortet werden. Am Ende spuckt das Programm aus, welche Partei zu einem passt. „Wir freuen uns über jeden, der den Wahl-O-Mat ausprobiert“, sagt Pamela Brandt von der Bundeszentrale für Politischen Bildung (BpB) in Bonn. Zur letzten Bundestagswahl 2002 wurde das Programm rund 3,2 Millionen Mal abgerufen.
Die Thesen zum aktuellen Wahl-O-Mat hat die BpB zusammen mit 17 Jungwählern im Alter zwischen 18 und 26 Jahren entworfen. In erster Linie soll das Programm schließlich ein spielerisches Mittel sein, sich mit Politik zu beschäftigen und vor allem junge Wähler begeistern. Deshalb fragt der Wahl-O-Mat auch Standpunkte zu Themen ab, die im Wahlkampf bisher keine große Rolle gespielt haben: Wahlrecht ab 16, generelle Tempolimits auf Autobahnen und die Legalisierung von Haschisch, beispielsweise. Über Kopfpauschale, Steuerreform und Eigenheimzulage will das Programm nichts wissen.
Dass liegt aber nicht unbedingt an einem eingeschränkten Interessenfeld der jugendlichen Mitentwickler. Ein Nebeneffekt der Wahl-O-Mat-Programmierung ist, dass sich die Parteien auf ausgewählte Thesen festlegen müssen. Ausreden, schwammige Formulierungen und reines Wahlkampfgequatsche zählen nicht. Insgesamt 71 Thesen seien zunächst aufgestellt und den Parteien vorgelegt worden, sagt die BpB-Referntin Brandt. 41 wurden später wieder aussortiert. „Entweder weil sich die Antworten nicht deutlich genug unterschieden haben, sich die Parteien noch nicht entschieden hatten oder zu viele der Thesen mit ‚neutral‘ bewertetet wurden“, sagt Brandt. „Neutral“ kann natürlich auch heißen, dass man sich einfach nicht festlegen lassen will. Welche Thesen am Ende aussortiert wurden, will Brandt deshalb lieber nicht sagen.
Und so bleibt es bei Sätzen wie: „Von allen Straftätern sollen DNA-Daten zentral erfasst werden.“ „Der Wahl-O-Mat macht schließlich nur dann Sinn, wenn sich die Parteiansichten bei den einzelnen Thesen wirklich unterscheiden“, sagt Brandt. Trotzdem können die Antworten überraschend ausfallen. Die Tempolimit-Frage wird von den Grünen beispielsweise mit „neutral“ beantwortet. Und die Union stimmt für den Erhalt des Dosenpfands. Zum offiziellen Start zur Bundestagswahl 2005 probieren heute Vertreter aller großen Parteien den aktuellen Wahl-O-Mat bei einer Pressekonferenz aus, darunter auch SPD-Generalsekretär Klaus Uwe Benneter. Für Wähler ist der Wahl-O-Mat Entscheidungshilfe, bei Politikern sorgt er für Prüfungsangst. Schließlich soll am Ende die richtige Partei rauskommen – vor allem, wenn das Fernsehen dabei zuschaut. Der Wahl-O-Mat kann gemein sein.
Das Programm ist eine holländische Erfindung. Entwickelt wurde es vor 18 Jahren am Instituut voor Publiek en Poltiek in Amsterdam. Seit 1998 gibt es die Internet-Version. Vor allem in Deutschland und Österreich ist das Programm mittlerweile nicht nur bei der klassischen Internetgemeinde beliebt: „Unsere Nutzer werden immer älter“, sagt Brandt. Rund die Hälfte sind älter als 30.
Zuletzt gab es den Wahl-O-Mat zur NRW-Landtagswahl im Mai dieses Jahres auf den Internetseiten der BpB. Mehr als 300.000-mal wurde der Entscheidungshelfer damals aufgerufen. Bis dahin gab es auch nach jedem Thesen-Durchgang eine kurze Zusammenfassung, wie oft welche Partei bereits empfohlen wurde. Mitten im Wahlkampf verteilte damals das Sofwareunternehmen Convit eine Pressemitteilung, wonach mit einem simplen Programm das Ergebnis einer jeden Partei in dieser Abschlussstatistik verbessert und damit die Wahlabsicht der Wähler beeinflusst werden könnte.
Alles Quatsch, hieß es daraufhin aus der BpB. Dass das Wahl-Spiel manipuliert worden sei, ließe sich nicht nachweisen. Trotzdem hat man daraufhin die Zusammenfassung vorsichtshalber aus dem Netz genommen. Bei der aktuellen Version zur Bundestagwahl wird eine Abschluss-Statistik überhaupt nicht mehr angeboten. „Repräsentativ war dieses Auswertung sowieso nicht. Da kann man sie auch einfach weglassen“, sagt BpB-Mitarbeiterin Brandt. Letztendlich spiegelte die Statistik nur den durchschnittlichen Internet-Nutzer wieder: jung, männlich, gebildet, links. Unions- oder FDP-Wähler waren demnach unterrepräsentiert. Das lässt sich dieses Mal ganz einfach ändern. Sie wollen eine schwarz-gelbe Wahlempfehlung? Kreuzen Sie einfach überall „stimme nicht zu“ an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen