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Kolumne Einfach gesagtUnscheinbar an die Macht

Jasmin Ramadan
Kolumne
von Jasmin Ramadan

Wer in Deutschland ernst genommen will, sollte lieber keine erotischen Fantasien wecken. Das passt einfach nicht zusammen. Ein Obama wäre hier nicht drin gewesen.

Einfach zu scharf: Ein Obama wäre hier nicht drin gewesen. Foto: dpa

Das hat doch einen Grund, dass es in Deutschland immer nur die uncoolen Frauen nach ganz oben schaffen“, sagte der Typ in Jeansjacke, Strickpullover, Jeanshose, nackten Knöcheln und löchrigen Chucks vorm Pudel Club bei null Grad.

„Merkel?“ fragte sein Kumpel im Glitzerparka.

„Ich mein Kramp-Karrenbauer, für die läufts doch mega.“

„Stimmt, und die sieht aus wie ein unniedlicher Monchichi mit Brille.“

„Merkel war ja auch nie ein Hottie, selbst nicht, als die jung war!“

„Ihr labert doch scheiße“, mischte sich ein blondgelocktes Mädchen im rosa Teddymantel ein „was soll denn das überhaupt heißen?“

„Ganz einfach, Baby, die unscheinbaren Frauen werden beim Weg an die Spitze übersehen und deshalb nicht weggemobbt.“

Roberta Sant‘anna
Jasmin Ramadan

ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr letzter Roman „Hotel Jasmin“ ist im Tropen/Klett-Cotta Verlag erschienen. Alle zwei Wochen verdichtet sie in dieser taz-Kolumne tatsächlich Erlebtes literarisch.

„Warte mal, Arthur“, sagte der Glitzerparka, „vielleicht kriegen die Schönen, seit sie vierzehn sind, nur zu viel Bestätigung und die Unscheinbaren haben einfach mehr Ehrgeiz.“

„Kleine Männer haben ja auch oft so einen krassen Ehrgeiz, so wie Prince oder Tom Cruise!“, sagte Arthur.

„Napoleon“, fügte der Glitzerparka hinzu.

„Als würde sich im Leben alles nur darum drehen, wie man zufällig aussieht“, sagte das Mädchen und zündete sich eine Menthol-Zigarette an.

Eine blassschöne Frau im schwarzen Kapuzenmantel ließ sich Feuer für ihre Tüte geben und sagte: „Weniger verächtlich formuliert haben deine Freunde gar nicht so unrecht, als Frau in Deutschland ist es klüger, sich zu stylen, als wäre man gar kein sexuelles Wesen, wenn man intellektuell Karriere machen will. Aus diesem Grund hätte ich mich manchmal am liebsten voll verschleiert.“

„Was machst du?“, fragte das Teddymädchen.

„Seit zwanzig Jahren Journalismus – und Gastronomie.“

Der Strickpulli nickte kurz betroffen, dann erhellte sich sein jugendlich schönes Antlitz:

„In Frankreich! Da kommt mein Dad her, da gab es Ségolène Royal, die hatte tolle lange Haare und war auch sonst sehr weiblich.“

„Aber die ist nicht Präsidentin geworden“, sagte der Glitzerparka.

„War aber nahe dran“, sagte Arthur mit Stolz.

Die Frau zog an ihrem Joint, zuckte mit den Schultern und sagte: „Deutschland hat’s nicht so mit wahrhaftiger Sinnlichkeit, wer ernst genommen werden will, sollte keine erotischen Fantasien wecken, das gehört hier einfach nicht zusammen in eine Schublade, so wie Unterhaltung und Hochkultur. Aber ich würd sagen, das gilt auch für Männer. Ein Obama wäre hier auch nicht drin gewesen, nicht nur, weil er schwarz ist, der ist einfach zu scharf.“

Arthur sagte: „Hier gilt ja auch Veronika Ferres als Sexsymbol, Italien hat Monica Bellucci, Frankreich Emmanuelle Beart und Sophie Marceau, was für krasse Milfs sind das bitte! Aber wer steht auf Veronika Ferres?“

„Mein Vater!“, sagte die Blondine, „der steht aber auch auf Brokkoli-Cremesuppe aus der Dose.“ Alle lachten – sie sagte: „Lasst mal reingehen, es ist arschkalt und ich muss mal aufs Klo.“

„Falls du dir den Lippenstift nachziehen willst, hier gibt es keine Spiegel auf den Toiletten“, sagte der Glitzerparka.

Die Frau grinste: „Irgendwie schön, so unterm Strich.“

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