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Vom Konsumieren zum Produzieren

COMPUTERSPIELE Fantasie statt Abarbeiten von vorgegebenen Levels: Die Initiative „Creative Gaming“ zeigt: Es kommt nicht darauf an, ob man am PC spielt – sondern wie

Positiv spielen

„Creative Gaming“: Medienkünstler, Festivalmacher und Pädagogen aus ganz Deutschland engagieren sich für die Ende 2007 gegründete Initiative, die Computerspielen mit Kreativität verbinden will. Gefördert wird sie unter anderem von der Bundeszentrale für politische Bildung und der Medienanstalt Berlin-Brandenburg.

14 Workshops finden im Oktober und November im Raum Berlin-Brandenburg statt. Auf dem Festival „play09“ werden vom 3. bis 6. Dezember in Pots- dam die Ergebnisse präsentiert.

Mehr Infos unter: www.creative-gaming.eu

VON SASCHA CHAIMOWICZ

Sekunden vor der Geburt steht die ganze Schulklasse um den Bildschirm herum. „Mach mal die Hygiene ganz hoch“, sagt Daniel, 12, besorgt um das Wohl des nahenden Babys. „Es kommt, es kommt!“, ruft Jacqueline atemlos, während auch sie auf den Bildschirm starrt. Und dann ist es so weit: Um 13.17 Uhr kommt das erste „Sims2“-Baby der Klasse 7 der Lenné-Gesamtschule in Potsdam zur Welt. Es ist eine Welt, in der vor allem die Jugend zu Hause ist, eine Welt, von der Erwachsene sagen, in ihr fließe zu viel Blut. Es geht um die Welt der Computerspiele. In Schulen kommt sie bisher kaum vor.

„Es macht pädagogisch keinen Sinn, vor dem Thema PC-Spiele die Augen zu verschließen“, sagt Jana Dugnus, die heute an der Lenné-Schule den Workshop „Creative Gaming“ leitet. „Wir wollen die Jugendlichen nicht wegbringen vom Spielen, sondern ihnen einen kritischen Umgang ermöglichen“, sagt die 28-Jährige, die gerade Filmschnitt in Babelsberg studiert. Die Schüler sollen die Mechanismen der Spiele verstehen und dadurch dem Willen der Hersteller nicht mehr so ausgeliefert sein, wünscht die Workshop-Leiterin. Konkret sieht das zum Beispiel so aus, dass Jugendliche ein Ballerspiel als Vorlage nutzen, um ein virtuelles Ballett aufzuführen. Oder sie erfinden Geschichten, die sie dann mithilfe von Computerspielen in kleine Filme verwandeln, wie heute an der Lenné-Schule.

Das Konzept kommt an: 14 Schulen und Jugendzentren in Berlin und Brandenburg haben den Workshop gebucht. „In der Öffentlichkeit ging es bisher immer nur um Sucht und Gewalt“, sagt Sabine Kühnel von der Medienanstalt Berlin-Brandenburg, die das Projekt unterstützt. Bei „Creative Gaming“ gehe es endlich einmal darum, zu erkunden, was man Positives mit den Spielen bewirken kann. „Computerspiele haben ein großes Potenzial, das es zu nutzen gilt“, sagt Arne Busse von der Bundeszentrale für politische Bildung, die ebenfalls an „Creative Gaming“ beteiligt ist.

Mit einem Projektor wirft Dugnus zu Unterrichtsbeginn die „Sims“-Nachbarschaft an die Wand. Die animierten Häuser, Wiesen, Straßen und Menschen sind den Schülern aus ihrer Freizeit bekannt. Laut Hersteller hat sich das Spiel über 100 Millionen Mal verkauft.

Die Schüler sitzen jeweils zu zweit vor einem Bildschirm. Sie wählen die passenden Haarfarben aus für ihre Protagonisten, stellen vielleicht noch ein Sofa ins virtuelle Wohnzimmer oder schenken der Tochter „ihrer“ Familie einen Bruder, indem sie auf „New Teen Male“ klicken. Den Konflikt, den sie sich ausgedacht haben, können sie in Echtzeit steuern. Auf „Play“ geht’s los.

Der Blick für die Kameraperspektiven ist an diesem Tag entscheidend. Er soll den Schülern eine Art Backstage-Raum eröffnen, einen Sinn für die Welt hinter der virtuellen Kulisse. „Die Jugendlichen werden vom bloßen Konsumenten zum Produzenten“, sagt Dugnus.

Die Kameras kann Sarah zwar bedienen, doch ihre Protagonisten machen nicht, was sie will. Sie beschwert sich bei ihrer Teamkollegin: „Klick da mal drauf, Jacqueline, wenn die da drei Tage rumsteht, ist doch klar, dass ihr Spaßbalken weniger wird.“

„Computerspiele haben großes Potenzial, das es zu nutzen gilt“

ARNE BUSSE, BUNDESZENTRALE FÜR POLITISCHE BILDUNG

Eine Jungs-Gruppe ist als Erstes dran mit dem Präsentieren der Filme. Als ein Mann in einer Szene zu weinen beginnt, zoomt die Kamera in eine Nahaufnahme. „Für einen 12-Jährigen ist das doch keine schlechte Filmgestaltung“, sagt Dugnus. Dieser kreative Prozess stehe für sie auf einer höheren Stufe als das, was der Hersteller als Ziel vorgebe: verschiedene Levels zu durchlaufen.

„Ich finde das toll mit dem Filmemachen“, sagt Sarah, „ich würde das daheim auch gerne machen.“ Daniel sagt, er habe die Filmfunktion zwar schon gekannt, fände es aber interessant, zu sehen, was für Fehler man so machen könne.

„Genau solche Reaktionen sind unser Ziel. Die Jugendlichen sollen sich kreativ ausdrücken“, sagt Dugnus. Die Bewahrpädagogik, die besagt, dass Jugendliche überhaupt keinen Zugang zu Computerspielen haben sollten, empfindet sie als falsch und gestrig.

Auch Nina hat der Workshop gefallen, nur mit ihrem Video ist sie nicht ganz zufrieden. Die Geburt des zweiten Klassen-Babys hat sie nicht festhalten können, sie war zu spät mit der Kamera. „Vielleicht das nächste Mal“, sagt sie. Jetzt sind erst mal Schulferien. Mit „Sims2“ möchte sie die nicht verbringen, zumindest nicht nur, obwohl sie das Spiel gerne spielt. Die meiste Zeit verbringe sie nämlich nicht mit Computerspielen, sondern im Internet.

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