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Referendum gegen Schulreform

VOLKSBEGEHREN Am Mittwoch startet die Initiative „Wir wollen lernen“ das Volksbegehren gegen die Primarschule. Bei einem Erfolg gibt es nächsten Sommer einen Volksentscheid

Das Abiturniveau werde derart sinken, dass Privatschulen wie Pilze aus dem Boden schießen, sagt die Initiative

VON KAIJA KUTTER UND SVEN-MICHAEL VEIT

Auf der Reeperbahn nachts um null Uhr startet am Mittwoch das Volksbegehren gegen die schwarz-grüne Schulreform, die am 7. Oktober von der Bürgerschaft beschlossen wurde. Danach sollen 1.700 ehrenamtliche Helfer in ganz Hamburg Unterschriften sammeln, sagt Initiator Walter Scheuerl aus Blankenese.

Der Text des Volksbegehrens reduziert sich auf zwei Sätze: „Ich fordere die Bürgerschaft und den Senat der Freien und Hansestadt Hamburg auf, von einer Ausgliederung der Klassen vier und sechs aus den Gymnasien (…) abzusehen“, heißt es dort. Eltern sollten „auch in Zukunft das Recht behalten, die Schulform für ihre Kinder nach der Klasse vier zu wählen“. Der Senat solle etwaige getroffene Maßnahmen „unverzüglich rückgängig“ machen.

Drei Wochen, bis zum 17. November, hat die Initiative „Wir wollen lernen“ Zeit, um mindestens 62.000 Unterschriften für ihr Anliegen zu sammeln. Sollte dies gelingen, kann die Bürgerschaft innerhalb von vier Monaten das Volksbegehren übernehmen. Allerdings gilt es als undenkbar, dass die grüne Bildungssenatorin Christa Goetsch die Reform zurücknimmt.

Deshalb würde es zu einem Volksentscheid vermutlich im Juni nächsten Jahres kommen. Für einen Erfolg müssen mehr als die Hälfte der Abstimmenden und mindestens ein Fünftel aller Wahlberechtigten – also etwa 240.000 – zustimmen. Volksentscheide sind bindend; Goetsch hat bereits erklärt, das Ergebnis zu akzeptieren.

Inhaltlich argumentieren die Primarschulgegner, dass die Kinder heute schon am Ende der vierten Klasse „Lernstandsunterschiede von ein bis anderthalb Jahren“ haben. Ließe man sie weiter zusammen, würden „die Leistungsstarken nicht entsprechend gefördert“.

Die Reformgegner bangen um die Profile der Gymnasien. Begännen diese erst in der siebten Klasse, gingen zwei Jahre für musische, humanistische oder bilinguale Schwerpunkte verloren. Den gleichen Stoff in einem auf sechs Jahren verkürzten Gymnasium zu vermitteln, sei „nicht denkbar“. Der schwarz-grüne Senat hingegen will alle Kinder schon ab der ersten Klasse in Englisch und ab der fünften Klasse in einer zweiten Fremdsprache unterrichten lassen.

„Wir wollen lernen“ misstraut dem Urteil der Lehrer bei der Wahl der Schulform. Bisher dürfen Eltern ihr Kind auch ohne Empfehlung auf das Gymnasium geben. Ab der siebten Klasse aber sind bereits 20 Prozent wieder zurückgestuft. Künftig soll die Schule in Absprache mit den Eltern entscheiden, ob ein Kind auf das Gymnasium darf. Die Primarschulgegner fürchten hier eine „Verschlechterung der sozialen Chancengerechtigkeit“, weil Lehrer sich noch stärker von sozialen Kriterien leiten ließen als die Eltern.

Die Schulbehörde will diesem Misstrauen mit Kompetenztests begegnen, um die Entscheidung zu objektivieren. Auch werde die Schulform nicht mehr entscheidend sein, da auch an der Stadtteilschule das Abitur nach 13 Jahren möglich ist. Doch auch in diesen Abschluss haben die Gymnasialkämpfer kein Vertrauen. Die Qualität des Abiturs werde „dermaßen sinken“, prophezeien sie, „dass Privatschulen wie Pilze aus dem Boden schießen“.

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