: Die große Freiheit
Keiner dürfte das Tempelhofer Feld besser kennen als Michael Krebs. Er verwaltet es seit der Öffnung und erklärt den Mythos der größten innerstädtischen Freifläche
Von Manuela Heim (Text) und Wolfgang Borrs (Fotos)
Man vergisst doch immer wieder, wie groß das Ding ist. Genau 303 Hektar. Macht umgerechnet rund 425 Fußballfelder, fast so groß wie der New Yorker Central Park und 100 Hektar mehr als das Fürstentum Monaco, in dem immerhin mehr als 38.000 Menschen wohnen. Auf dem Tempelhofer Feld gibt es, aus bekannten Gründen, weder dauerhafte Einwohner oder Wohnbauten noch nennenswerten Baumbestand, es ist die wohl größte innerstädtische Freifläche der Welt. Von der Tempelhofer bis zur Neuköllner Seite sind es zweieinhalb Kilometer ungehemmter Blick. Auf der früher als Verbindungsstraße zu den Landebahnen genutzten Rollbahn kann man sich auf sechseinhalb Kilometern die Hacken ablatschen. Einmal rund ums Feld.
Michael Krebs macht das eher selten, das mit dem Hacken-Ablatschen. Mit dem Auto cruist der Parkmanager des Tempelhofer Felds über Asphalt und alte Basaltitplatten aus den 1930ern. Ist auch ungemütlich heute. Es regnet, kaum Besucher, der Wind pfeift. Hier spüre man das Wetter wie kaum anderswo in Berlin, sagt Krebs. Im Hochsommer kein Schatten, im Herbst kein Schutz vor Stürmen, und „im Winter, da denken Sie sich auf dem Rollfeld: So muss es in Sibirien sein.“
Krebs ist angestellt bei der Grün GmbH, einer landeseigenen gemeinnützigen Gesellschaft zur Verwaltung verschiedener Berliner Grünflächen. Eine davon, die größte freilich, ist das Tempelhofer Feld. Zur Bewirtschaftung gibt es die Parkmanager, und Michael Krebs hat mit dem Feld sozusagen den Hauptgewinn gezogen. „Das ist ja keine klassische Grünfläche hier, das ist viel mehr.“ 2,8 Millionen Euro kostet die Bewirtschaftung des Tempelhofer Felds im Jahr – für Naturschutz, Erinnerungskultur, Freizeitangebote.
Krebs ist eigentlich Agrarwissenschaftler, er hat zu Bodenbiologie promoviert. „Von der grünen Seite“ komme er und kann sich entsprechend begeistern für die Feldlerche, die inzwischen fast ein Maskottchen ist und nach deren Brutzeiten von April bis August sich die Mahd auf dem Feld richtet. Oder für den Steinschmätzer, einen seltenen Zugvogel, von dem im letzten Jahr zwei Pärchen hier residierten und dem man in diesem Jahr niedrige Steinhaufen errichtete, weil er am liebsten in Steinritzen brütet. 23 Hektar des Felds sind komplett gesperrt für Besucher, auf den übrigen Flächen werden sie subtil weggelotst von den naturschutzrelevanten Flächen – durch hüfthohes Gras und Flatterband.
Bei der Öffnung vor 8 Jahren sei es alles andere als gewiss gewesen, ob sich die im Schutz des abgesperrten Flughafens entwickelte Natur mit Menschenmassen verträgt. Im Naturmonitoring alle zwei Jahre lässt Krebs deshalb unter anderem den Bestand der Feldlerche, geschützter Pflanzen wie der Sandsonnenblume und Schmetterlingen aus der Familie der Widderchen von Experten begutachten.
Das Resümee 10 Jahre nach der Flughafenschließung und 8 Jahre nach der Öffnung für Besucher: Sehr erquicklich. Oder am Beispiel der Feldlerche: 161 Nester waren es auf dem Feld im Jahr 2010, über 200 bei der letzten Zählung im vergangenen Jahr. Ist also nicht nur karges, weites Land hier, sondern seltener Pflanzen- und Tierverbund. Trockenrasen und Frischwiesen, beides geschützte Biotope, in dieser Dimension – ein Fest für Naturliebhaber.
Zwei Millionen Menschen pro Jahr
Der Parkmanager ist aber auch Berliner, aufgewachsen in Charlottenburg. „Meine Eltern haben mir schon als Kind von der Luftbrücke erzählt, die waren damals so alt wie die Kinder auf den berühmten Bildern mit den Rosinenbombern.“ Die Geschichte als Flughafen, die Zeit der Luftbrücke – zum Mythos Tempelhofer Feld gehört das dazu und lässt sich auf mehr als 20 Tafeln zur Geschichte vor Ort nachlesen. „Auch in 50 Jahren sollte man noch erkennen, dass das mal ein weltberühmter Flughafen war“, sagt Krebs.
Ein Kleinod in diesem Sinne: die rot-weißen Oberflurhydranten der Flughafen-Feuerwehr, noch in der Zeit der Amerikaner Anfang der 1950er errichtet. Die Herstellerfirma aus dem Schwäbischen hat sie im vergangenen Jahr restauriert, die alten Dichtungssätze hatten sie noch im Lager. Die Landebahnen und die alte Rollbahn sind inzwischen denkmalgeschützt. Nächstes Jahr soll die Bemalung erneuert werden und damit auch die riesigen Kreuze, die man vor 10 Jahren auf den Asphalt der Landebahnen pinselte, damit kein Pilot mehr auf die Idee kommt, hier zu landen.
Und dann sind da noch die Menschen. Geschätzte zwei Millionen Hundebesitzer, Kinderwagenschieber, Jogger, Kiteboarder, Spaziergänger, Gemeinschaftsgärtner, Grillgäste, Drachenliebhaber, Inlineskater kommen im Jahr hierher. Für Krebs, den Verwalter, heißt das: funktionierende Toiletten, Gewährleistung der Verkehrssicherheit, Müllbeseitigung, Durchsetzen des Leinenzwangs … An gut besuchten Sommerwochenenden patrouillieren dafür bis zu 16 Parkwächter, sammeln verlorene Kinder ein, ermahnen renitente Hundebesitzer, kehren Scherben zusammen und haben auch schon mehrere Leben gerettet.
Die vielen Menschen, die sich das Feld jeden Tag aufs Neue zu eigen machen – Volkseigentum im besten Sinne nennt das ein Kollege –, stehen aber auch für einen besonderen Aspekt dieses seltenen Biotops: Partizipation. Dass hier die Berliner der Politik einen Strich durch die Rechnung gemacht, eine Bebauung verhindert und die Beteiligung an der künftigen Gestaltung erwirkt haben – auch das gehört zur Attraktion Tempelhofer Feld.
Wie kann es eine so große Freifläche inmitten einer Millionenstadt, die an fast allen Ecken zu eng ist, überhaupt geben? „Das interessiert vor allem Kollegen und Gäste aus dem Ausland sehr“, sagt Parkmanager Michael Krebs. Und wenn das Feld nun doch irgendwann bebaut wird? „Dazu habe ich eine private Meinung, aber die spielt hier keine Rolle“, sagt Krebs. Er verwalte hier nur.
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