: Die taz und ihre Häuser
Ganz zu Anfang wohnte man zur Miete im Stadteil Wedding – in Räumen, die zuvor von IKEA als Abhollager genutzt worden waren. Kurz vor dem Fall der Berliner Mauer wurde dann das erste eigene Haus um die Ecke des „Checkpoint Charlie“ bezogen. Nun also: Friedrichstraße
Text: Karl-Heinz Ruch
Die Entscheidung für West-Berlin als Standort der Zentralredaktion der zu gründenden neuen Tageszeitung trafen die taz-Initiativen auf einem „nationalen Treffen“ am 10. Dezember 1978 in Frankfurt am Main. Noch im selben Monat wurden Gewerberäume im Berliner Wedding angemietet.
Die taz zog in ein Gebäudeensemble, das als Verwaltungsgebäude für die Hermann Meyer AG, einem der traditionellen Berliner Lebensmittelhändler (Slogan: Keine Feier ohne Meyer), in den Jahren 1955-57 errichtet wurde. Es zeigt den Stil der an der internationalen Moderne orientierten Geschäftshausarchitektur der Nachkriegszeit. Der Entwurf stammte aus dem Architekturbüro Paul Schwebes, das mit seinen Bauten aus den 1950er Jahren, wie Zentrum am Zoo mit Bikini-Haus, Kempinski und Hilton, Telefunken-Hochhaus am Ernst-Reuter Platz oder Hardenberghaus (früher Buchhandlung Kiepert, heute Manufaktum) die westliche City bis heute prägt.
Als die taz kam, war Meyer schon ausgezogen und IKEA beendete gerade eine Zwischennutzung des Hauses als Abhollager, um sein erstes Berliner Einrichtungshaus in Spandau zu eröffnen. Die taz nutzte zunächst das erste Obergeschoss entlang der Voltastraße, später auf der gleichen Ebene eine weitere Etage entlang der Wattstraße. Watt Ecke Volta, das klang noch nach Elektropolis, zu dem die Industriestadt Berlin nach der Jahrhundertwende wurde. Der Blick aus den Fenstern der neuen taz-Räume fiel auf die Montagehalle für Großmaschinen, erbaut 1911/12 nach Plänen von Peter Behrens, eines der beeindruckenden Gebäude auf dem ehemaligen AEG-Gelände an der Brunnenstraße.
Die hellen Büroräume wurden über einen Mittelgang erschlossen, alle Trennwände waren oberhalb einer hölzernen Brüstung gläsern und transparent. Es machte einen sehr amerikanischen Eindruck. Für die Kommunikation war das gut, denn alles spielte sich auf einer Ebene ab. Der Begriff „Flurfunk“ machte die Runde. Die Postille des Flurfunks, regelmäßig für die Treffen des Vereins Freunde der alternativen Tageszeitung gedruckt, wurde „P3“ genannt, nach der Tradition italienischer Geheimlogen. Die taz blieb zehn Jahre in diesen Fluchten. Zeitweise gab es einen Raum für Kinderbetreuung. Die schlechte gastronomische Versorgung im Umfeld ließ uns zur Selbsthilfe greifen und eine Kantine eröffnen. Erster Koch war der spätere Chefredakteur Norbert Thomma (Thömmes).
Mit den sozialen Bewegungen der 1980er Jahre wuchs auch die taz. Nach dem Atom-GAU von Tschernobyl stiegen die Abos und es sah so aus, dass die taz entgegen vieler Erwartungen bleiben würde. Woher der Wunsch kam, sich räumlich zu verändern? Vielleicht waren es die langen Wege, wenn man die Berliner Mitte (damals Ost-Berlin) mit dem Auto umfahren musste, um vom Hotspot der Hausbesetzer-Szene in Kreuzberg in den abgelegenen Wedding zu kommen. Irgendwann begann die Suche nach neuen Räumen für die taz in Kreuzberg. Vieles war möglich im West-Berlin der 1980er Jahre. Es waren auch die Jahre der Internationalen Bauausstellung IBA, in denen überall Bauprojekte realisiert wurden.
Die Idee mit dem Altbau in der Kochstraße 18 (jetzt Rudi-Dutschke Str. 25) kam vom damaligen Leiter des Kreuzberger Stadtplanungsamtes. Das Kontorhaus von 1909 mit großen stützenfreien Etagen wurde für die IBA als Werkstatt- und Ausstellungsgebäude genutzt. Als eines der wenigen Häuser in der Kochstraße hat es die städtebauliche Exekution überlebt, als nach dem Krieg die Trasse der Kochstraße um gut 21 m nach Süden erweitert werden sollte. Weil der Platz in dem denkmalgeschützten Gebäude nicht für die taz reichte, schlug der Stadtplanungsamtsleiter die Errichtung eines Erweiterungsbaus vor, an Stelle eines von der IBA geplanten, aber nicht realisierten Studentenhotels, mit dem der Blockrand wieder geschlossen werden sollte. Entworfen wurde der Anbau an den Altbau von dem Berliner Architekten Gerhard Spangenberg. Das alte denkmalgeschützte Gewerbegebäude erhielt an seiner östlichen Brandwand 1992 einen Neubau, der sich auf den Altbau bezieht, ohne sich ihm anzupassen. Wechselrede hieß das Prinzip.
Finanziert wurden die Kosten von etwa 5 Millionen DM für den Neubau mit Investitionszulagen nach dem Berlinförderungsgesetz und durch Kommanditisten, die Einlagen in eine taz-Gesellschaft zeichneten und mit Hilfe der in Berlin möglichen Sonderabschreibungen Steuern sparen konnten. Der Umzug von der Wattstraße in das ehemalige Zeitungsviertel in der Kochstraße fand am 17. Juni 1989 statt, damals noch der arbeitsfreie Tag der Deutschen Einheit. Ein halbes Jahr nach dem Umzug fiel die Mauer und die Einheit kam tatsächlich. Die taz war nun zur richtigen Zeit am richtigen Ort, Geschichte spielte sich vor ihrer Haustür ab.
Der Redaktions- und Zeitungsbetrieb musste sich umstellen von der Horizontalen in die Vertikale. Gearbeitet wurde nicht mehr auf einer Ebene, sondern in sechs Etagen. Es gab keine Flure mehr, sondern drei Treppenhäuser. Die Kommunikation veränderte sich, wegen der Vertikalen, aber auch wegen neuer Hierarchien, die mit der Genossenschaft Einzug in das Unternehmen taz hielten. Erst mit dem Intranet, dem digitalen internen Kommunikationsnetz, gab es Jahre später wieder eine Plattform für den Flurfunk. Am Anfang wurde im Erdgeschoss des Altbaus Kochstraße 18 noch selbst gekocht, dann speisten die tazler für wenige Jahre im Restaurant „Blumhagen“. Seit 1996 ist das „SALE E TABACCHI“ eine feste Institution der guten Berliner Gastronomie. Im Erdgeschoss des Anbaus wurden von 1992 bis 2006 Architekturbücher im „Bücherbogen“ verkauft. Seit 2006 gibt es dort im taz.Café mittags Essen und abends Veranstaltungen.
Vierzig Jahre nach ihrer ersten Nullnummer bezieht die taz nun in knapp 500 Metern Entfernung von der Dutschke-Straße ihr neues Domizil in der Friedrichstraße 21. Der Grund für den erneuten Umzug heißt Standortsicherung. Der Raum in den beiden taz-Häusern reichte nicht mehr aus. Mit der digitalen Transformation kamen neue Unternehmensbereiche wie taz.de, taz.shop oder taz.am wochenende, für die weitere Flächen angemietet wurden.
Das Standortentwicklugskonzept Kunst- und Kreativquartier rund um die ehemalige Blumengroßmarkthalle bot für die taz die Chance, ein modernes Medienhaus zu bauen, in dem wieder alle unter einem Dach arbeiten können. Von der ersten Idee im Sommer 2013, dem Beschluss zur Direktvergabe des Grundstücks an die taz zum Verkehrswert im November 2013, der Auslobung eines Architekturwettbewerbs im Februar 2014 bis zur Kür des Büro E2A als Gewinner dieses Wettbewerbes im Juli 2014 verging nur ein Jahr.
Ein Jahr, das erfolgreich genutzt wurde, um die Finanzierung des Bauvorhabens durch die taz-Genossenschaft zu sichern. Finanziert werden 23 Millionen Euro für Grundstück und Gebäude aus Genossenschaftskapital, Stillen Beteiligungen von taz-GenossInnen, Fördermitteln aus dem GRW-Programm und einem Darlehen der GLS-Bank. Für die Mitarbeitenden verbessern sich die Arbeitsbedingungen in diesem modernen und energieeffizienten Haus. Der Kommunikation eröffnen sich ganz neue Perspektiven, denn die transparente Struktur des Gebäudes bietet den horizontalen und vertikalen aber auch den schrägen Blick durch das ganze Haus. Und Gastronomie, der Bereich Veranstaltungen und de Shop werden sich in Zukunft gemeinsam, ohne sich zu behindern, im öffentlichen Erdgeschoss entfalten können.
Die taz-Genossenschaft, die im Jahr 1991 gegründet wurde, um die Eigenkapitalbasis der taz zu stärken, hat mit dieser Investition in den taz.Neubau wieder einen großen Schritt getan, die publizistische Zukunft der taz zu sichern.
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