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Rockt für Jamaika

Die CDU hat einen Außenseiter zum Spitzenkandidaten gemacht. Wer ist der Unternehmer Carsten Meyer-Heder?

Foto: Til Mette, taz-Zeichner, 1986 bis heute

Der Kandidat ist ein bisschen spät dran. Stau und zäher Verkehr auf dem Weg von der Überseestadt, wo er wohnt und seine Firma ihren Sitz hat, ins idyllische Borgfeld. „Tingeln gehen“ nennen Politikberater salopp das heutige Tagesprogramm. Ziel: Bekanntheitsgrad step-by-step steigern, Bürgernähe zeigen, Sympathiepunkte sammeln, Wahlkampf üben, Warmlaufen. Wahlkampf für Anfänger in der beschützenden Werkstatt. Borgfeld ist ziemlich fest in CDU-Hand.

Als der Kandidat sich in den kleinen Halbkreis vorm Hoftor von Bauer Dehlwes eingereiht hat, überragt er die meisten um Haupteslänge. Man sieht: Der Mann hat mal Rockmusik gemacht. Aufrecht, sicherer Stand, immer ein bisschen breitbeinig wie Westernhelden vorm Showdown, die Daumen links und rechts locker in die Taschen der engen Röhrenjeans eingehängt. Statur, Sichtbarkeit, sonore Stimme, lockeres Lachen – keine schlechten Basics im Kampf um Aufmerksamkeit und Wählerstimmen wissen Kommunikationsprofis und Wahlkampf-Coaches. Trotzdem lässt sich natürlich auch ein „Bürgerdialog in Borgfeld“ vermasseln: Leute zutexten statt zuzuhören, den King raushängen lassen, langatmig Wahlprogramme runterbeten, das Blaue vom Himmel versprechen, wenn man’s erst ins Rathaus geschafft hat oder (am schlimmsten) gelangweilt in die Gegend oder auf die Uhr gucken. Carsten Meyer-Heder passiert nichts von alledem. Er hört lange und interessiert zu, ab und an eine wache Nachfrage oder ein vorsichtiger Lösungsvorschlag, mal ein Schnack oder ein Witz – auch über sich selbst. Und ’nen Schnaps trinkt er auch mit. Einen. Am Ende einer langen Fahrradtour kreuz und quer durch die Wümmewiesen wird er in der kuscheligen Dorfkneipe vor rund 30 wohlmeinenden Borgfelder*innen einräumen: „Politische Reden vor großem Publikum – da muss ich noch besser werden.“ „Stimmt!“, tönt eine Stimme aus dem Hintergrund. Sie gehört der Lebensgefährtin von Carsten Meyer-Heder. Eine ältere Dame tröstet: „Ist aber schon viel besser geworden.“

Meyer-Heder hört an diesem Nachmittag viele Geschichten des Alltags aus der Rubrik „Wenn Bürokratie auf Bürger trifft“. Bauer Dehlwes zum Beispiel ist der letzte in Borgfeld, der heute noch Milchwirtschaft treibt. Wenn er mal aufhört, wird auch auf seinem Hof die Kette nach vielen Generationen endgültig abreißen. 40 Milchkühe auf der Weide, das lohnt sich nicht mehr. Schon Dehlwes senior hat immer wieder über Zukunftsperspektiven nachgedacht und erzählt von den vielen Beamten auf seinem Hof, die ihm immer wieder wortreich erzählt haben, was alles nicht geht, was er nicht darf. „Wäre Umstellung auf Bio-Landwirtschaft eine Lösung?“, fragt Meyer-Heder. Biohof im Naturschutzgebiet – eine Frage, die nur für Laien naheliegt und bei Profi-Bauern ein Scheunentor des Frusts öffnet. Dehlwes darf ja nicht mal ein paar Bäume hinterm Kuhstall fällen oder ein paar Kiebitze oder Krähen abschießen, die sich zur Plage entwickelt haben: „In meiner Jugend haben wir hier noch Lerchen gehört oder Entenfamilien gesehen. Gibt’s nicht mehr. Die Krähen räubern die Nester aus und der Naturschutz hat die Natur zu Tode geschützt.“

Oder der einzige Baumarkt in Borgfeld. Hier gibt’s Schrauben noch einzeln und nicht nur im 100er-Pack. Auch ein Familienbetrieb. Als sie jung waren, haben die heutigen Chefs Pläne geschmiedet und noch von einem großen Wurf geträumt. Ein großzügiger Neubau? Keine Chance! 14 Jahre haben sie am Ende resigniert wenigstens auf die Genehmigung für einen Anbau gewartet. „Wenn ich im Rathaus sitze, würden Sie ganz fix einen Termin kriegen“, sagt Meyer-Heder und augenzwinkernd: „Das würde Carsten Sieling jetzt vermutlich auch sagen.“

Und dann ist da Ulrike Kleemeyer. Die freie Handelsvertreterin im Baustoffgeschäft mit Home-Office arbeitet in Timmersloh im Tal der Ahnungslosen. Das Internet ist so langsam, dass man beim Download von Bauzeichnungen zwischendurch entspannt Kartoffeln schälen kann. Seit Jahren kommen immer mal wieder Behördenvertreter zu Beirats- und Bürgerversammlungen nach Timmersloh. Aber nie zweimal der gleiche. Ein anderer muss den Scheißjob übernehmen und erklären, warum es immer noch nicht geklappt hat und erneut um Geduld bitten – aktuell bis 2020.

Casten Meyer-Heder nimmt aus Borgfeld vor allem mit, dass er richtig liegt mit seinem Kernanliegen auf dem Weg ins Bremer Rathaus. „In Bremen haben wir kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem!“ Als Unternehmer hat Meyer-Heder es vom jungen Software-Entwicklungs-Junkie erst zum Start-up-Gründer und inzwischen zum Chef einer der größten IT- und Consulting-Agenturen in Deutschland gebracht. Teamfähigkeit, flache Hierarchien, kurze Wege, Eigenverantwortung zählen zur DNA seines Führungsstils. Der Spirit junger, kreativer, dynamischer Nerds als Blaupause für bedächtig-seriöse Ämter und Beamtenapparate? Das Bremer Amt für Straßen und Verkehr z. B. künftig im Geist einer hippen Softwarebude? Bange machen gilt nicht. Meyer-Heder will sich seinen Optimismus nicht als rührende Naivität eines unbeleckten Seiteneinsteigers kaputt reden lassen. „Man muss es versuchen. Ich weiß, das ist ein dickes Brett, aber einer muss wenigstens anfangen es zu bohren.“ Vier Jahre im Bremer Rathaus – die Chance wünscht er sich. „Und wenn ich dann nichts bewegen konnte, dann war ich vielleicht auch nicht der richtige und ein anderer muss es versuchen.“

Parlamentarische Rituale und pawlowsche Reflexe im Parteienstreit sind dem Quereinsteiger eher fremd. Als Opposition auf jeden Fall „Hott“ zu rufen, wenn die Regierungsfraktion „Hüh“ sagt und umgekehrt, so tickt er nicht. „Entscheidend ist doch nicht, wer eine Idee als erster hatte. Entscheidend ist, ob wir zu dem Ergebnis kommen, dass sie für Bremen gut ist.“

Jamaica wäre Meyer-Heders Lieblingskoalition für ein Regierungsbündnis – auch wenn er weiß, dass das in der Bremer CDU nicht unumstritten ist. Aber immerhin hat er das christdemokratische Bremer Dogma abgeräumt, dass jeder zusätzliche Euro aus dem Finanzausgleich ausschließlich in die Schuldentilgung fließen darf. „Für gute Projekte müssen wir auch finanzielle Spielräume haben. Das ist Konsens in der CDU.“ Und was, wenn es im ersten Anlauf doch nicht klappt mit dem Einzug ins Rathaus? „Auch dann kann ich mir gut vorstellen weiter in der Politik zu bleiben.“ „Dann werden Sie also Fraktionsvorsitzender?“ „Nee, in die Falle tappe ich jetzt nicht und sage naiv ja. Dann hätten Sie ’ne Schlagzeile und ich einen Riesenärger in der CDU.“

Carsten Meyer-Heder mit Autor Klaus Schlösser Foto: Klaus Wolschner

Für die kurze Lehrzeit hat Carsten Meyer-Heder schon einiges gelernt über Fallstricke und Fettnäpfchen in der Politik.

Klaus Schloesser, war taz-Redakteur von 1986 bis 1989.

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