Hausbesetzung in Berlin-Moabit: Mit Sympathien geräumt
Die Polizei beendet eine Besetzung in Moabit. Die Politik reagiert hilflos auf den Leerstand der ehemaligen Unterkunft für Wohnungslose.
Gegen 20 Uhr, mehr als sechs Stunden nach Beginn der Besetzung, sind die Umrisse eines Polizeihelms im Fenster neben den letzten BesetzerInnen zu erkennen. Kurz sind Geräusche wie von einer Kettensäge zu hören. Wenig später haben die BeamtInnen das verbarrikadierte Zimmer gestürmt. Die BesetzerInnen werden durch den Hinterausgang auf den Hof geführt, wo ihre Personalien aufgenommen werden. 13 sind es, wie die Polizei später sagt.
Es ist das Ende eines Versuchs, den geradezu skandalösen Leerstand des Hauses zu beenden. Jahrzehntelang diente es als gut funktionierende Unterkunft für wohnungslose Männer. Mehr als 30 hatten hier in ihren eigenen Zimmer ein sicheres Zuhause. Ende 2015 wurden sie gekündigt.
Der Hauseigentümer, die Berolina Grundbesitz GmbH, hatte zuvor den Vertrag mit dem Betreiber des Wohnheims gekündigt. Mit der Firma Gikon übernahm ein neuer Betreiber zu einer deutlich erhöhten Miete. Die Wohnungslosen, für die das Jobcenter pro Nacht 22,50 Euro zahlt, wollte Gikon durch Flüchtlinge ersetzen – für deren Unterbringung zahlte der Senat bis zu 50 Euro. Ein Geschäft auf dem Rücken der Ärmsten.
Mit Schikanen und Klagen
Doch die Männer gingen nicht, wohin auch. Als ihnen mitten im Winter Heizung und Warmwasser abgestellt wurde, half Mittes Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) persönlich. Dafür haben ihn die Eigentümer verklagt. Die letzten Wohnungslosen, die die unhaltbaren Zustände ausgehalten hatten, wurden nach einem Gerichtsentscheid im September 2017 geräumt.
Seitdem steht das Haus leer; die neuen Betreiber wollen aus dem Vertrag aussteigen – und streiten mit dem Eigentümer vor Gericht, ob sie das dürfen. Am Samstag sagte von Dassel der taz: „Die Besetzung ist das kleinere Übel gegenüber dem ewigen Leerstand. Der stört den sozialen Frieden.“
Am Mittag gelangten die AktivistInnen der #besetzen-Kampagne ungehindert ins Haus; sie verbarrikadierten die Türen, hängten Transparente aus den Fenstern. Zwei Dutzend UnterstützerInnen setzten sich vor die Haustür. Auf der Straße spielten Bands, es gab Wraps und Popcorn. Die neuen HausbesetzerInnen sind gut organisiert.
Nach dem Auftakt der Kampagne zu Pfingsten, als etwa ein Wohnhaus in Neukölln besetzt wurde, vergeht seit Herbstbeginn kaum ein Wochenende ohne neue Besetzung. Google Campus, Großbeerenstraße, Wohnungen des Eigentümers der Liebigstraße 34, ein Uni-Gebäude in Potsdam. Am Samstag wurden zugleich Räumlichkeiten in der Skalitzer Straße 106 in Kreuzberg in Beschlag genommen. Auch dort ging es bis zum Abend hin und her, schließlich gingen die BesetzerInnen unerkannt, kurz vor der bevorstehenden Räumung.
Sympathisierende Politiker
Nicht geräumt werden, das Durchbrechen der Berliner Linie, der polizeilichen Maßgabe, innerhalb von 24 Stunden jede Besetzung zu beenden, das war auch die Hoffnung der AktivistInnen in der Berlichingenstraße. Zumindest verbal gab es dafür Unterstützung: Katrin Schmidberger, wohnungspolitische Sprecherin der Grünen, appellierte an Innensenator Andreas Geisel (SPD) nicht zu räumen. Sie forderte, das Haus per Treuhändermodell in die öffentliche Hand zu überführen. Doch sie wusste auch: Auf Gewerbeimmobilien ist das Zweckentfremdungsverbotsgesetz nicht anwendbar.
Auch vor Ort versuchten Politiker von Grünen und Linken Partei für die BesetzerInnen zu ergreifen. Doch als die breitschultrigen Eigentümervertreter am frühen Abend aufkreuzten und die Räumung forderten, stand Mittes Baustadtrat Ephraim Gothe (SPD) hilflos daneben.
Zwei Telefongespräche des Linken-Abgeordneten Tobias Schulze und der grünen Bundestagsabgeordneten Canan Bayram mit einem der Eigentümer halfen auch nicht weiter. Schulze zufolge solle das Haus womöglich verkauft werden. Er forderte via Twitter: „Bezirk und Land sollten im #Berlichingen12 im Milieuschutzgebiet Enteignung prüfen. Auch wenn es rechtlich Gewerbe ist, so doch für soziale Wohnnutzung nutzbar.“
Empfohlener externer Inhalt
Geisel duckte sich weg, ließ die Polizei machen. Als es dämmerte, verschaffte die sich durch den Hintereingang Zugang in das Haus. Den Besetzerinnen werden sich nun wegen Hausfriedensbruch verantworten müssen.
Taylan Kurt, Grünen-Abgeordneter der BVV Mitte, sagte der taz: „Dass geräumt wird, zeigt, wie machtlos wir sind.“ Er forderte die Bezirksämter auf, niemanden im Haus unterzubringen und damit dem Eigentümer die Taschen zu füllen. Auch verlangte er schärfere Gesetze: „Gewerblicher Leerstand muss sanktioniert werden können.“
Gesetzesverschärfung nötig
Aus der SPD äußerte sich Fraktionschef Raed Saleh auf Anfrage der taz: „Hausbesetzung geht gar nicht und Häuser grundlos Jahre lang leerstehen zu lassen geht auch nicht.“ Die BesetzerInnen hätten auf ein echtes Problem hingewiesen „Womöglich muss man gesetzlich neue Wege schaffen, um gegen unbegründeten Leerstand vorzugehen, die bisherigen Instrumente reichen nicht aus“, so Saleh.
Vorerst fehlt das Haus weiterhin für die Unterbringung von Wohnungs- und Obdachlosen – jenen wollten die BesetzerInnen es wieder zur Verfügung stellen und hatten dafür eigens ein Konzept entwickelt. Unterstützung kam von der Berliner Obdachlosenhilfe e. V. In einem Statement hieß es: „Wir freuen uns, dass die Besetzer*innen das Haus für obdach- und wohnungslose Menschen öffnen wollen.“ Begrüßt wurde das Konzept der Selbstverwaltung, „welches vielen Problemen der ‚klassischen‘ Wohnungslosenhilfe mit alternativen Ansätzen begegnen möchte“.
Die Besetzer zeigten sich wütend auf den Senat und twitterten: „Wollen wir wetten, dass beim Herbst der Besetzungen 2019 die #Berlichingen12 immer noch leer steht?“
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