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Das gedruckte Wort in digitalen ZeitenWie die Zeitung lebt

Die Zeitung ist nicht tot, sie ist ein wundervoll lebendiges Wesen. 15 Gedanken über Print, Journalismus und die Zukunft.

Drei-Wetter-taz: Perfekter Halt für's Haar Foto: André Wunstorf

1. Die Zeitung ist ein wundervoll lebendiges Wesen. Was sie alles kann! Sie lässt uns die Welt verstehen, verbindet Menschen, lotst uns durch den Wust der Informationen, rückt Ereignisse nah an uns ran, rührt an, rührt auf, regt auf, regt ab, macht schlau und manchmal auch dumm, sie ärgert dich und bringt dich zum Lachen.

2. Die Demokratie braucht sie. Thomas Jefferson, einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten, schrieb 1787, vor die Entscheidung gestellt, ob es eine Regierung ohne Zeitungen geben solle oder Zeitungen ohne eine Regierung, er würde nicht zögern: Letzteres. Als er selbst Präsident werden wollte und sich Kritik einfing, hat er die Zeitung verflucht, ja vertrumpt, aber da hat die Zeitung gelacht, weil die Wut hoher Herren ihre Lebendigkeit beweist.

3. Die Zeitung ist ein Druckwerk – diese Definition ist verbreitet, weil sie schon so lange aus Papier und Farbe gemacht wird. Aber das Wort stammt eigentlich woanders her. Um 1300 kam es auf, zīdunge, das auf den mittelniederdeutschen und mittelniederländischen Begriff tīdinge zurückgeht: Nachricht, also Neuigkeiten zum Danachrichten. Diese verschütt gegangene Definition ist die bessere, weil sie in die Zukunft weist: Sie zeigt das Herz der Zeitung, den Journalismus.

4. Aber wann ist dann ein Medium eine Zeitung? Die Forschung beschreibt die vier wichtigsten Gliedmaßen ziemlich präzise: Sie muss aktuell sein, regelmäßig erscheinen, thematisch vielfältig und öffentlich für alle zugänglich sein. Fachdeutsch: Aktualität, Periodizität, Universalität, Publizität.

5. Früher, in den 1920ern, die für die Zeitung golden waren, erschienen in Berlin Morgenausgaben, Mittagsausgaben, Abendausgaben und Nachtausgaben. Heute kommen Tages- und Wochenzeitungen werktäglich auf den Markt, am Donnerstag, am Samstag oder am Sonntag. Und eben nicht mehr nur auf Papier, sondern auch hinter Glas, auf einem Tablet als ePaper oder als Zeitungs-App auf dem Smartphone. Periodizität?

Klar, zum Beispiel erscheint die taz an sechs Abenden der Woche um kurz nach 19 Uhr als ePaper und App. Sie liefert dann einen Blick auf den Tag durch die taz-Brille. Ein Lesepaket für den Tag. Dagegen passt auf Websites wie zeit.de, t‑online.de oder taz.de der Begriff Zeitung nicht, weil dort laufend etwas Neues erscheint.

6. Die Zeitung hinter Glas musst du nicht morgens aus dem Briefkasten holen, sie lässt sich jeden Abend in Sekunden aufs Smartphone oder Tablet herunterladen. Sie ist schon deshalb aktueller. Du hast sie im Handy und kannst beim Anstehen in der Kaufhalle eine packende Reportage lesen. Viele Zeitungen bieten auf Tablet oder Smartphone mehr: bewegliche Grafiken, Autorenbios, Videos, Audios.

Außerdem kannst du sie am Strand, wenn du schwimmen gehst, unbeaufsichtigt lassen, ein iPhone eher nicht

7. In der Zeitung aus Papier kannst du allerdings über Titel, Untertitel und Zwischentitel fliegen und dir einen Überblick verschaffen, manche erfassen sogar Texte quasi im Flug, das sind die Querleser. Weil die Papierzeitung dir nicht ins Gesicht leuchtet wie eine zu flach geratene Stablampe, schont sie die Augen. Außerdem kannst du sie am Strand, wenn du schwimmen gehst, unbeaufsichtigt lassen, ein iPhone eher nicht.

8. Nur rumliegen und trotzdem was arbeiten, das schafft auch bloß die Zeitung auf Papier. Eine gute Titelseite liegt in der Küche oder im Café und interessiert, inspiriert, amüsiert oder provoziert. Manche Titelillustrationen machen Menschen im Vorbeigehen Mut, etwa jene zu Donald Trump von Edel Rodriguez, den Klaus Brinkbäumer für den Spiegel entdeckte.

Die digitale Zeitung begegnet dir, wenn du im Netz herumstreifst, Titelseiten und Zitate werden auf Twitter, Facebook und Instagram geteilt und machen die Runde. Aber so ganz zufällig geschieht das nicht. Wo du dich hinbewegst, das beeinflussen dort Maschinen und jene, die sie programmieren.

9. Doch bei alledem bleibt die Zeitung die Zeitung. Zeitungsleute sind keine Papierleute oder Handyleute. Zeitungsleute sind Nachrichtenleute, Kommentarleute, Reportageleute. Fehden im Journalismus zwischen digitalen Hoodie-Helden und hochmögenden Print-Päpsten schwächen beide. Für das Wesen Zeitung sind die Eitelkeiten und Eifersüchteleien wie chronischer Schnupfen, der mal auskuriert werden müsste.

10. Die Frage ist: Was ist der richtige Mix von Print und Digital? Jeff Bezos, Amazon-Gründer und Verleger der Washington Post, bezweifelt, dass die gedruckte Zeitung überhaupt dauerhaft existiert. „Wenn doch, vielleicht als Luxusartikel, den sich bestimmte Hotels erlauben, als extravaganten Service.“ Die Luxusthese ist gängig: Wie Vinylschallplatte, wie analoge Armbanduhr, so was. Aber wäre die Zeitung dann noch öffentlich zugänglich? Eines ihrer vier Gliedmaßen, die Publizität, wäre ziemlich verkümmert.

11. Papier täglich, Papier Wochenende, digital als Handy-App, Wochenende digital, ePaper fürs Tablet, Kombi – sogar Fachjournalistinnen und -journalisten geraten da durcheinander. Keine Angst: Die Menschen finden die Form der Zeitung, die zu ihnen passt. Nicht nur technisch.

12. Eine Menge Leute haben Journalistinnen und Journalisten vorgeworfen, dass sie ihre Meinungen anderen aufdrücken. Es hieß, dass auch deshalb Zeitungen Kundschaft verloren hätten. Aber jetzt, in polarisierten Zeiten, diskutieren die Leute mehr und merken, dass ihnen manchmal die Argumente ausgehen. Das betrifft auch jene, die ein Unbehagen verspüren angesichts der vielen antiliberalen Regierungen auf der Welt.

Die Diskussionen zwischen den Anhängern von Gauland, Orbán, Putin, Trump einerseits und andererseits denen, die die Demokratie bedroht sehen, finden ja statt: in Familien, Firmen, kleinen Ortschaften. Wer die Aufklärung verteidigen will, den dürstet es nach Fakten oder Gedanken für die eigene Argumentation. Diese Funktion erfüllt niemand so gut wie die Zeitung.

13. Push-Meldungen und TV-Berichte sind schnell konsumiert. Aber das Gefühl zu erzeugen, den handelnden Personen nahe zu kommen, ein Ereignis auf allen Ebenen zu durchdringen, das kann am besten eine Textreportage. Die immer komplexer erscheinende Welt, die einem schon Angst machen kann, erlebt man in einer guten Reportage ganz klar.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

14. Es heißt, Informationen gebe es doch an allen Enden und Ecken. Und umsonst. Aber viele haben festgestellt, dass die Qualität der Information großen Wert hat, weil es so viel Desinformation gibt, und viele Menschen schon mal damit auf die Schnauze geflogen sind. Zeitungen, die es schaffen, richtige und präzise Informationen zu liefern, stellen einen Mehrwert dar.

15. Die Zeitung hat ihren Stolz zu recht. Sie verdient verdammt noch mal Respekt. Man sollte ehrlich darüber sprechen, dass die Zeitung aus Papier bestimmte Fähigkeiten und Eigenschaften hat, die der Zeitung hinter Glas fehlen. Und dass es umgekehrt ganz genauso ist.

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3 Kommentare

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  • 9G
    90857 (Profil gelöscht)

    Eine "Zeitung", welche gar in einem die eigene Zunft lobenden Nabelschauartikel gleich einen Teil der qua Definition Bösen nennt:

    "Gauland, Orbán, Putin, Trump"

    von einer derartigen "Zeitung" muss man nichts mehr erwarten, ist zur Ideologiepostille geronnen.

  • Wunschdenken. Die gedruckte Zeitung wird aussterben. Der Wegfall der Distributionskosten macht Verlage weitgehend öberflùssig. Die Grenze zwischen Journalisten und Influencern wird verschwimmen. Die Zeitung ùberlebt in Form einer mit weltanschaulichem Spin gebrandeten Nachrichtenquelle. Aufgrund der durch Digital geringen Markteintrittshürde wird die Vielfalt steigen und die Qualität sinken. Geld wird sich nur schwer verdienen lassen. Schutzmassnahmen zur Erhaltung des historischen Medienökosystems können diese Entwicklung bestenfalls verlangsamen

    • @r Möller:

      Hm. Wahrscheinlich. Wäre ein Szenario. Aber Gerüchte von Wahrem zu unterscheiden ist doch nicht das erste Mal in der Geschichte schwer.



      Nichts Neues: Ideen, Wissen, Nachrichten müssen umso mehr eingeordnet, hinterfragt, diskutiert, provisorisch festgehalten und ggf verworfen werden.



      Zum provisorisch Festhalten sind Printmedien zugegebenermaßen gut. Zum diskutieren sind digitale dann besser, klar. Verwerfen - ja.



      Aber bei zunehmender Fülle wird es selbst für Menschen mit Zeit schwierig, zu entscheiden, was lese ich, was verschwendet meine Zeit.



      Mir bleibt, auf das Urteil derer zu vertrauen, die ich einschätzen kann - und da dennoch sich gegenseitig widersprechende Positionen abzuwägen. Netterweise kontrollieren sich viele Blätter wahrscheinlich gegenseitig (Ein Skandal verkauft sich sicher gut auch auf Kosten der Konkurrenz).



      Wie nun das Ganze? Zeitung gelesen, Artikel fotografiert, via Social Media durch die halbe Welt, träge Diskussionen... Thema vergessen, neues erlebt, Zeit vergeht, Zeitung gelesen o neues gehört - Artikel hervorgekramt, hitzige Diskussionen... So mach ich es zmd.



      Was sich nicht als resolute Quelle zeigt, wird verworfen. Aber zu einer Art antürlicher Auslese kommt es nur, wenn wir konsequent Medien konsumieren:



      Gelesenes einordnen, hinterfragen, diskutieren, ggf provisorisch festhalten... ja.



      Und für Print spricht, dass es diese Auslese hinter sich hat. So denke zmd ich.