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25 Jahre Berliner TafelRauf und runter Mensch

Wo der Sozialstaat versagt: Die Berliner Tafel feiert am Sonntag ihren 25. Geburtstag. Zu Besuch in einer Ausgabestelle in Neukölln.

Die Ausgabestelle in der Neuköllner Dreieinigkeitsgemeinde Foto: Karsten Thielker

Gerda Dellbrügge steht aufrecht inmitten der Obstkisten und begutachtet den Pfirsich in ihrer Hand. Er ist gelb-rot und samtig, hat aber auf einer Seite eine große faule Stelle. Nein, der ist nicht zu retten. Sie schmeißt ihn in den Müllsack. Der nächste Pfirsich sieht besser aus, er landet in der Kiste auf dem Tisch. „Es soll möglichst nichts verkommen“, sagt die weißhaarige 78-Jährige. Das scheint ihr Motto.

Es ist Montagvormittag, in zwei Stunden startet die Essensausgabe der Berliner Tafel in der Dreieinigkeitskirche, einem modernen Bau nahe der Neuköllner Gropiusstadt. Im hellen, geräumigen Foyer der Kirche sortieren Dellbrügge und zwei Dutzend andere Frauen mit roten Schürzen das von benachbarten Supermärkten ausrangierte Obst und Gemüse.

Draußen auf dem Vorplatz versammeln sich die ersten Abholer, ausgestattet mit Einkaufstrolleys und Tragetaschen. Es gibt Kaffee aus der Thermoskanne. Aus einem Lieferwagen räumen Männer die nächste Ladung: leicht fleckigen Blumenkohl, grüne Paprika, duftende Basilikumpflanzen.

Vor 25 Jahren begannen ein paar Berlinerinnen, bei Hotels und Restaurants übrig gebliebene Lebensmittel einzusammeln, um sie an Obdachlose zu ­geben. Aus der Initiative Einzelner wurde ein großer Verein. Inzwischen verteilen ­HelferInnen jeden Monat bis zu 660 Tonnen Essen an insgesamt 125.000 Bedürftige. An diesem Sonntag feiert die Berliner Tafel ein Geburtstagsfest vor dem Rathaus Schöneberg. Ihr Prinzip fand zahlreiche Nachahmer: Bundesweit gibt es inzwischen fast 1.000 Tafeln.

Nicht immer läuft die Verteilung der Lebensmittel reibungslos ab. Zu Jahresbeginn war die Essener Tafel in die Schlagzeilen geraten, weil sie einen Aufnahmestopp für Ausländer verhängt hatte.

Es gibt auch Neid

Die vielen Flüchtlinge würden die Tafel überfordern, erklärten die Organisatoren dort. Es komme zu Gerangel in der Schlange, die „deutsche Oma“ werde verdrängt. Kritiker warfen der Tafel daraufhin ethnische Diskriminierung vor, selbst die Bundeskanzlerin sprach sich gegen die „Kategorisierung“ der Menschen aus. Seit April dürfen sich auch Ausländer wieder bei der Essener Tafel anmelden.

Wie aber schafft man es, die Verteilung der Lebensmittel so zu organisieren, dass es eben nicht zum Streit um die besten Stücke kommt – und im schlechtesten Fall gar zur Konkurrenz zwischen verschiedenen Gruppen? Wie lässt sich verhindern, dass die Alteingesessenen Neuankömmlinge als Bedrohung wahrnehmen?

Natürlich gebe es auch bei ihnen Neid, sagt Karsten Böhm. In Poloshirt und Sandalen sitzt er im gläsernen Büro des Kirchenfoyers. Böhm ist Sozialpädagoge und Diakon der Gemeinde und hat die Ausgabestelle mit aufgebaut, als einziger Hauptamtlicher, alle anderen arbeiten ehrenamtlich. „Wir sind hier Mensch, rauf und runter Mensch“, sagt er.

Es seien gar nicht so viele Flüchtlinge zu ihnen gekommen. „Manche hatten trotzdem die Befürchtung: Es bleibt für uns nix übrig. Sie fanden, wir müssen da einen Riegel vorschieben.“ Böhm erzählt, er habe klargemacht, dass er das nicht wolle. „Unser Ansatz ist: Hier geht keiner ohne Lebensmittel vom Platz, wenn er welche braucht.“ Allerdings sei schon wichtig, dass bei der Essensausgabe bestimmte Regeln akzeptiert werden – von allen.

25 Jahre Berliner Tafel

Die Geschichte 1993 hören Berlinerinnen von einer New Yorker Initiative, die Lebensmittel für bedürftige Menschen sammelt. Sie übernehmen die Idee und unterstützen fortan als „Berliner Tafel“ Obdachlose in einer Moabiter Notunterkunft zwei Mal pro Woche mit warmen Mahlzeiten aus den Küchen verschiedener Hotels und Restaurants. Andere soziale Einrichtungen bitten die Frauengruppe ebenfalls um Unterstützung. Sabine Werth, damals Sozialarbeiterin, heute Chefin der Berliner Tafel, sagt zu. Schon im ersten Jahr gründen sich weitere Tafeln im Bundesgebiet. Um auch Privatpersonen zu unterstützen, entsteht 2005 die Essensausgabe „Laib und Seele“, eine Aktion der Berliner Tafel, der Kirchen und des RBB. Dort können bedürftige Menschen aussortierte Lebensmittel für zu Hause bekommen. 2004 eröffnet die Berliner Tafel ihr erstes Kinderrestaurant, seit 2010 bietet sie mit „Kimba“ Kochkurse an, in denen künftige Erwachsene den bewussten Umgang mit Lebensmitteln lernen.

Aktuelle Zahlen Die Berliner Tafel ist ein gemeinnütziger Verein, der von rund 2.000 Ehrenamtlichen getragen wird; 26 hauptamtliche MitarbeiterInnen begleiten und koordinieren die Arbeit. Die Tafel verteilt jeden Monat bis zu 660 Tonnen Lebensmittel und unterstützt damit monatlich 125.000 bedürftige Menschen: 50.000 kommen in die 45 Ausgabestellen für Privathaushalte, 75.000 werden über soziale Einrichtungen erreicht. Rund 4.000 Kinder nehmen jedes Jahr an den Kimba-Angeboten teil. Im September 1995 hat Sabine Werth die Gründung des Tafel-Bundesverbands initiiert. Damals waren es 35, heute sind es 937 Tafeln bundesweit.

Die Feier Die Berliner Tafel feiert ihren 25. Geburtstag an diesem Sonntag, dem 9. September, von 11 bis 15 Uhr vor dem Rathaus Schöneberg. Mit dabei: Autor Horst Evers, der Berliner Soulchor und der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) mit einem Grußwort. Außerdem geplant sind ein Kinderprogramm, ein Flohmarkt und Infostände, auch gibt es Speisen und Getränke für kleines Geld. (all)

Zum Beispiel das Losprinzip. „Da sind wir ganz eisern“, sagt Böhm. Wer kommt, muss am Tisch neben dem Eingang zunächst seine Bedürftigkeit nachweisen – per Jobcenter- oder Rentenbescheid. Auch wer weniger verdient als rund 950 Euro netto im Monat, darf teilnehmen – für einen Unkostenbeitrag von einem Euro. Jeder zieht eine Nummer aus einem Korb: In der Reihenfolge der Zahlen werden die Lebensmittel später dann ausgegeben. Drängeln hat also gar keinen Sinn.

Aber vielleicht ein bisschen Schummeln? Am Mittag steht eine Frau an der Rezeption, sie hat ein Kind an der Hand und wühlt lange im Loskorb herum. Sie schaut auf die Nummer – und zieht dann eine neue. Das dürfe sie nicht, weist die Helferin hinter dem Tisch sie mit strengem Blick zurecht.

Während die Ehrenamtlichen im Foyer die letzten Gemüsekisten durchsortieren, warten die AbholerInnen mit ihren Nummern in der Kirche. Viele Ältere sitzen in den Stuhlreihen. Eine junge Mutter mit Kinderwagen hat ihre Freundin mitgebracht, die soll später auf das Baby aufpassen. Ein Student ist zum ersten Mal da. Vor drei Monaten sei er aus dem Irak zurückgekehrt und wohne noch in einem Hostel, erzählt er in akzentfreiem Deutsch. Im Irak habe er nur ein paar Jahre gelebt, aufgewachsen sei er in Kiel, erklärt er. Er möchte Lehrer werden, für Englisch und Latein.

Ein Stück weiter stützt sich ein großer, schwerer Mann in beiger Weste auf seinen Rollator. Mehrere Jutebeutel hängen daran, er will Essen für sich und Bekannte holen. Früher habe er als Bäcker gearbeitet, sagt er, aber weil er eine Allergie gegen Roggenmehlstaub bekam, musste er eine Umschulung machen. Man merkt, der Verlust seines Jobs schmerzt ihn noch immer.

Zwei Schlaganfälle hatte er, heute ist er erwerbsunfähig. Er bekomme Grundsicherung, sagt er. „Keinen Cent zu viel, damit der Staat abkassieren kann, vor allem die Politiker.“ Da ist sie wieder, die Angst, andere würden sich mehr unter den Nagel reißen.

Auftakt mit Poesie

Um 13 Uhr stellt sich Diakon Böhm in der Kirche vor die Menschen, er sagt immer ein paar Worte zum Auftakt. Heute trägt er ein Gedicht von Hilde Domin vor. „Nicht müde werden / sondern dem Wunder / leise / wie einem Vogel / die Hand hinhalten“, liest er laut. Und gleich noch einmal, damit die Zuhörenden, von denen manche tatsächlich müde wirken, es verstehen. Die meisten verziehen keine Miene. Erst als Böhm die Essensausgabe eröffnet, kommt Bewegung in die Reihen.

„Hübsch sehen Sie heute aus“, begrüßt eine der Helferinnen die junge Mutter im Foyer. Die hat sich die blonden Haare an beiden Seiten zu Kringeln hochgebunden, das passt zum verschmitzten Lächeln. Sie habe die Ausbildung als Verkäuferin gerade abgeschlossen, als das erste Baby kam, erzählt sie. Einen Job zu suchen habe sich nicht gelohnt. Im Moment ist sie mit dem zweiten Kind in Elternzeit – und kann die Lebensmittel der Tafel gut gebrauchen. „So hab ich die ganze Woche was zum Kochen.“

Gemüse und Obst sind schon in ihrem Trolley. Gemeinsam mit Gerda Dellbrügge überlegt sie nun, welches Fleisch sie mitnehmen soll. „Ich könnte Ihnen noch Hähnchenmedaillons anbieten, in Aioli-Sauce“, sagt Dellbrügge. Das Verfallsdatum ist abgelaufen, aber das Fleisch scheint in Ordnung. Die junge Frau schaut aufmerksam in die Kiste vor ihr. „Oder Hackfleisch? Dann können Sie Buletten machen“, schlägt die Weißhaarige vor.

Buletten oder Chili?

Das ist eine weitere Regel der Ausgabestelle: Keiner darf sich selbst nehmen, die „Kunden“, wie sie hier heißen, werden bedient. So kann niemand zu viel einpacken. Ein schöner Nebeneffekt: Es entstehen persönliche Gespräche, wie an der Verkaufstheke eines Tante-Emma-Ladens. Die Frau mit den blonden Haarkringeln nimmt die Hackfleischpackung dankend an, wenn auch nicht für Buletten. „Daraus mache ich Chili con carne“, sagt sie und rückt auf, zum Tisch mit dem Brot.

Dellbrügge stammt aus einer Arbeiterfamilie im Wedding, sie wohnt in der Nähe der Kirche und kam vor vielen Jahren über die Gemeinde zur Tafel. Sie ist eine der Organisatorinnen der Ausgabestelle. Im Kalender vermerkt sie, wer wann helfen kann. Ihre 78 Jahre hindern sie nicht daran, von 8 bis 17 Uhr im Foyer zu stehen. Sie zeigt auf ihre bunt gemusterten Turnschuhe: Mit denen gehe das.

Unser Ansatz ist: Hier geht keiner ohne Lebensmittel vom Platz, wenn er welche braucht

Karsten Böhm, Gemeinde-Diakon

Dellbrügge sagt, sie mache die Arbeit vor allem, um Essen zu retten. „Ich habe den Hunger als Kind voll miterlebt. Ich habe eine große Ehrfurcht vor Lebensmitteln.“ Helfen wolle sie den Menschen natürlich auch. „Ich bin Christ.“

Um 14 Uhr sind 70 Wartenummern vergeben. Die Ehrenamtlichen können nun ungefähr abschätzen, wie viele AbholerInnen noch kommen, und portio­nieren das Essen entsprechend. Dellbrügge gibt die Schokoladenriegel nicht mehr als ganze Packung raus, sondern öffnet sie und reicht jeweils eine Handvoll Riegel über den Tisch. Sie sagt: „Man will ja, dass alle was kriegen.“

Zigmal erklärt sie, dass es keinen normalen Käse gibt heute. Dass man sich nur eine Sache aus jeder Kiste aussuchen darf. Sie empfiehlt Ricotta für Lasagne, sucht für Muslime Geflügelfleisch raus, bietet dem ehemaligen Bäcker vegane Wurst an. Der schüttelt den Kopf. Möchte er Eier? „Gerne.“ Sojasoße? „Auch gerne, danke.“ Dellbrügge hält ihm Schokolade hin, „für die schlanke Linie“. Beide lachen. Auch einen Beutel voll Brötchen nimmt er mit. Dass sie vom Vortag sind, mache ihm nichts aus, sagt er.

Die Rente ist zu klein

Ein Mann mit Hornbrille und Jackett ist an der Reihe. 40 Jahre habe er als Selbstständiger ein Friseurgeschäft betrieben, gearbeitet, Lehrlinge ausgebildet. Weil er zu wenig für die Altersvorsorge einzahlte, sei die Rente nun sehr klein.

„Die Tafel ist ein Muss“, sagt er. Er meint das positiv, die Essensausgabe ist für ihn und seine Frau eine große Hilfe. Aber auch der Zwang schwingt in dieser Formulierung mit: Sie müssen hier herkommen, weil sie mit der Rente allein nur knapp über die Runden kommen. Seine Frau rechnet vor: Nach Abzug von Miete und Krankenversicherung haben sie zusammen rund 600 Euro zum Leben.

Manche kommen als AbholerInnen zur Tafel – und bleiben als HelferInnen. Mehr als ein Drittel der Ehrenamtlichen seien selbst Bedürftige, sagt Böhm. Etwa die Frau, die rechts von Dellbrügge am Obsttisch steht und mit vollen Händen Bananen verteilt. Sie ist als koptische Christin aus Ägypten geflohen und hilft seit einem Jahr bei der Tafel. Die Arbeit sei schön, sagt sie. „Wenn ich Leute glücklich mache, bin ich auch glücklich.“

Der Ton der Ehrenamtlichen ist herzlich auf sehr berlinerische Art. „Was mach ich denn jetzt?“, fragt Dellbrügge, als sie für einen Moment mal ausnahmsweise nichts zu tun hat. „’n juten Eindruck“, gibt die Frau neben ihr zurück. Und weiter geht’s.

In der Dreieinigkeitskirche versorgt die Tafel an diesem Montag 40 Arbeitslose, 73 RenterInnen, 16 AsylbewerberInnen und 31 andere Bedürftige mit geringem Einkommen mit Lebensmitteln, so zeichnen es die Frauen am Empfang auf. Die Herkunft wird nicht erfasst. Böhm schätzt, dass generell ein Drittel bis die Hälfte der AbholerInnen Migranten sind. Trotz der vielen Menschen gibt es kein Gedrängel, trotz der Stunden, die vergehen, warten alle geduldig, bis sie an der Reihe sind.

Sicher: Wenn man eine Weile mit den Menschen redet, klingen auch Vorbehalte durch. Sie könne nicht verstehen, warum manche Russlanddeutsche, die Essen holten, auch nach Jahrzehnten in Berlin kaum Deutsch sprechen, sagt eine Helferin. Ein anderer zeigt auf eine füllige Frau mit Kopftuch, die etwas abseits auf einer Bank sitzt. Die könne nicht genug kriegen, sie wühle sogar im Biomüll und hole dort die Reste raus, raunt er, es klingt abfällig. Die Frau, die aus der Türkei stammt, zeigt wiederum auf den Ehrenamtlichen und sagt, er sei „böse“.

Anteil nehmen am Leben der Anderen

Doch im direkten Umgang begegnet sich den allermeisten mit großer Höflichkeit. Mehr noch: Sie nehmen Anteil am Leben der anderen.

Sie wohne schon lange in der Gegend, erzählt eine Ehrenamtliche, eine Labor­assistentin in Rente. „Früher war ich ganz anders orientiert, zur Stadt hin. Ich wusste gar nicht, was hier stattfindet.“ Jetzt treffe sie Leute von der Tafel auch mal beim Einkaufen oder in der Bahn. „Dann unterhalten wir uns. Das hat meinen Blick schon geweitet.“ Manchmal reichten ihr die Abholenden mit dem Brotbeutel auch eine Süßigkeit rüber – als Dankeschön für sie persönlich.

Böhm sagt: „Die Menschen setzen sich hier – gewollt oder ungewollt – einem hohen sozialen Lernen aus.“ Laib und Seele, so heißen die Ausgabestellen der Berliner Tafel für Privatleute. Das passt tatsächlich, zumindest an diesem Montag nahe der Gropiusstadt.

Hätte auch die Essener Tafel mit Regeln wie dem Losverfahren die Situation befrieden und den Skandal vermeiden können?

Böhm sagt, sie hätten in Neukölln schlicht Glück gehabt. Vor vier Jahren, also schon vor dem Flüchtlingssommer, seien sie an dem Punkt gewesen zu sagen: Wir können nicht mehr Menschen aufnehmen. 210 Familien seien damals zur Essensausgabe gekommen. „Die Ehrenamtlichen beschwerten sich, das Hobby arte zur Arbeit aus. Wir waren kurz davor, die Reißleine zu ziehen.“ Um einen Aufnahmestopp kamen Böhm und seine MitstreiterInnen aber herum – weil mit der Zeit wieder weniger kamen. Heute seien es im Schnitt pro Montag 170 Haushalte. „Das hat sich zum Glück über die natürliche Fluktuation geregelt.“

Genug für alle

Es hätte auch anders laufen können. Wenn sehr viele Flüchtlinge nach 2015 auf einmal Essen hätten holen wollen. Wenn die Lebensmittel für so viele Menschen knapp geworden wären. Sabine Werth, die Chefin der Berliner Tafel, erklärte in der Debatte über die Essener Tafel im Frühjahr, es könne aufgrund der begrenzten Ressourcen schon passieren, dass Ausgabestellen einen Aufnahmestopp verhängen müssten. Sie betonte jedoch auch: Allein die Bedürftigkeit entscheide darüber, wer Unterstützung erhält und wer nicht. „Ein Aufnahmestopp kann nur für alle oder für niemanden gelten.“

In der Dreieinigkeitskirche gibt es genug für alle. Die junge Mutter hat nicht nur Lebensmittel, sondern auch einen Blumenstrauß ergattert und ist mit Freundin und Baby längst nach Hause. Der ehemalige Bäcker schiebt seinen Rollator hinaus, prall gefüllte Jutebeutel baumeln daran. Und auch die Türkin mit Kopftuch scheint zufrieden, als sie am Ende der Tische anlangt.

Gerda Dellbrügge steht noch bis nach 16 Uhr hinter den Kisten, verteilt das restliche Essen und räumt dann auf. Sie weiß schon: In der nächsten Woche werden weniger Menschen kommen. Dann beginnt der September, am Monatsanfang haben die meisten wieder etwas Geld.

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2 Kommentare

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  • Eine 25 Jahre währende Schande für Deutschland

  • Als man im Mittelalter nach dem sonntäglichen Kirchgang den Armen Almosen gespendet hat fürs eigene Seelenheil, waren die wenigstens selbst erarbeitet und nicht gespendet.

    Na, immerhin ist ja auch den Kirchgängern von heute die akute (Über-)Lebenshilfe wichtig. Wichtiger, leider, als das Verändern der Zustände, die Menschen zu Bettlern machen - und zu erbitterten Konkurrenten um die Krümel, die von den Tischen der Wohlhabenden abfallen.

    Macht eben immer noch ein gutes Gefühl, freiwillig geben zu können. Ein Gefühl, das einen glauben macht, man wär endlich gut und erwachsen und hätte "es" geschafft.